Jede Silvesternacht gibt es Verletzte, überlastete Notaufnahmen und Angriffe auf Polizisten. Viele Menschen fordern ein Böllerverbot. Gegner haben Angst um Traditionen.
Festlich, nervig, bedrohlich? Die große Böller-Kontroverse

Initiativen, Verbände, Politik und Privatleute diskutieren zunehmend über ein potentielles Verbot von privatem Feuerwerk. Es wird über geliebte Traditionen auf der einen Seite, sowie den Missbrauch von Böllern und Raketen in den Innenstädten, illegale Pyrotechnik, verängstigte Tiere und Umweltverschmutzung debattiert.
Ein Bundesgesetz regelt den Verkauf und das Abbrennen von Feuerwerk an Silvester. Einige Bundesländer versuchen nun, dies zu ändern, um die Möglichkeit zu haben, Verbote zu erlassen.
Ein Bündnis #böllerciao, bestehend unter anderem aus der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dem Deutschen Kinderhilfswerk und einem Tierschutzverein, plant, die Innenminister unter Druck zu setzen. Heute werden sie in Berlin Forderungen präsentieren. Diese Argumente werden sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern vorgebracht:
Pro Verbot
Privates Feuerwerk ist gefährlich und verletzt viele Menschen
Jedes Jahr führen Böller und Raketen zu zahlreichen Verletzungen, von leichten Verbrennungen bis hin zu schweren Augen- und Handverletzungen. Viele dieser Unfälle ereignen sich aufgrund unvorsichtigen Zündens von Böllern. Auch Unbeteiligte sind unter den Opfern, manchmal werden Kracher gezielt auf andere geworfen.
Krankenhäuser sind Silvester überlastet
Einige Krankenhaus-Notaufnahmen sind besonders um den Jahreswechsel herum mit Verletzten von Feuerwerkskörpern überlastet. Insbesondere Hand- und Augenverletzungen sind häufig. Die Behandlung anderer Notfälle wird dadurch verzögert. Ohne privates Feuerwerk wäre das Risiko solcher Verletzungen deutlich niedriger.
Zahlreiche Angriffe mit Böllern auf Polizei
In problematischen Vierteln von Großstädten wie Berlin werden in der Silvesternacht immer wieder auch Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter von aggressiven Gruppen vor allem junger Männer mit Böllern beworfen. Die Täter sind in der Dunkelheit schwer zu fassen. Ein generelles Verbot würde die Arbeit der Polizei erleichtern. Ein Verbot sei nötig, «damit die Kollegen von Polizei und Feuerwehr gesund aus der Nacht kommen», betont die Berliner Gewerkschaft der Polizei: «Wir können nicht warten, bis eine Polizistin oder ein Feuerwehrmann in der Nacht sein Leben lässt.»
Zu hohe Feinstaubbelastung
In der Silvesternacht steigt die Feinstaubkonzentration in vielen Städten durch Zehntausende Raketen und Böller auf das Vielfache des Normalwertes. Diese Belastung kann insbesondere für Menschen mit Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen problematisch sein. «Das Abbrennen von Feuerwerkskörpern führt dazu, dass wir immer wieder mit schlechter Luft ins neue Jahr starten», kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Zusätzlich bleiben Müll auf den Straßen und in Parks zurück.
Weniger Brände und Sachschäden
Gerade in dicht besiedelten Stadtgebieten können glimmende Raketen oder Funkenflug leicht Brände verursachen. Jedes Jahr entstehen Schäden an Fassaden, Balkonen, Autos oder Grünanlagen, die hohe Kosten verursachen. Oftmals sind es Unachtsamkeit oder Alkohol, die zu gefährlichen Situationen beitragen. «Jeder einzelne dieser Einsätze war vermeidbar und jeder einzelne war ein Einsatz zu viel», sagt Karsten Homrighausen, Chef der Berliner Feuerwehr.
Schutz von Haus- und Wildtieren vor Stress
Der laute Krach von Feuerwerken löst bei zahlreichen Tieren Angst- und Panikreaktionen aus. Haustiere verstecken sich, essen nicht oder geraten in Stress. Wildtiere sind häufig noch stärker betroffen, da sie instinktiv fliehen und dabei Unfälle oder Verletzungen erleiden können.
Mehrheit der Bevölkerung gegen private Böllerei
Laut einer Umfrage von YouGov Ende Oktober sind die meisten Menschen gegen private Böller und Raketen. 60 Prozent lehnen das Feuerwerk entweder überhaupt nicht oder eher ab. 26 Prozent betrachten es als positiv. Außerdem gaben 63 Prozent der Befragten an, dass sie persönlich sicherlich kein Feuerwerk zünden würden. 58 Prozent sind der Meinung, dass es ein generelles Böllerverbot oder zumindest ein Verbot von privatem Feuerwerk geben sollte.
Contra Verbot
Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte
Viele Menschen betrachten das Zünden von Feuerwerk als persönlichen Ausdruck – ein Verbot wird von einigen als zu starken staatlichen Eingriff angesehen, der die individuelle Freiheit einschränkt. Gerade beim Feiern möchten viele lieber selbstbestimmt sein.
Verlust kultureller Tradition und emotionaler Bedeutung
Feuerwerk ist eine traditionelle Praxis, die fest im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Viele Menschen sehen das Knallen als Symbol für den Übergang in ein neues Jahr und verbinden es mit positiven Kindheitserinnerungen, die sie gerne weitergeben. Traditionen spielen eine wichtige Rolle bei der Bildung sozialer Identität.
Der Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk e.V. erklärt: «Menschen wollen zum Jahreswechsel sichtbar und gemeinsam feiern – sicher, legal und rücksichtsvoll.» Es gebe dabei einen Trend zu Qualitätsbewusstsein und auch leiseren Produkten. «Feuerwerk markiert das Besondere und stiftet Gemeinschaft.» Erst so werde Silvester «zu mehr als einem bloßen Datum».
Ein Verbot trifft auch die Falschen
Die Schwierigkeiten mit privatem Feuerwerk treten hauptsächlich in den Innenstädten auf. Am Stadtrand, in Kleinstädten und auf dem Land gibt es kaum Angriffe auf Polizei und Feuerwehr, weniger Brände und weniger Verletzte. Viele Familien zünden abends friedlich ein paar Raketen für die Kinder auf der Straße oder im Garten. Sie alle müssten darauf verzichten, weil in Großstädten randaliert wird.
Wirtschaftliche Belastung
Die Feuerwerksbranche erwirtschaftet jedes Jahr hohe Umsätze, vor allem in der kurzen Zeit vor Silvester. Ein Verbot würde Hersteller, Händler und Zulieferer beeinträchtigen.
Schwierige Durchsetzung durch Behörden
Ein vollständiges Verbot privater Feuerwerke ist kaum flächendeckend zu kontrollieren. In vielen Städten fehlt es an Personal, um Regeln konsequent durchzusetzen. Verbote, die nicht umgesetzt werden, können das Vertrauen in staatliche Institutionen schwächen. Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen, sagte dem Sender WDR: «Dann müssen sie an jeder Ecke einen Polizisten stehen haben, der dafür sorgt, dass keiner einen Böller wirft. Das schaffen wir ja nicht mal im Fußballstadion.»
Risiko der Verlagerung zu illegalem oder selbstgebautem Feuerwerk
Ein absolutes Verbot könnte bewirken, dass Menschen vermehrt auf illegale Produkte aus dem Internet zurückgreifen, die oft deutlich gefährlicher sind. Darüber hinaus könnte es zu einer Zunahme von selbstgebauten Böllern kommen, deren Risiken kaum kontrollierbar sind.








