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«Ich vermisse nichts» – Prämien belohnen autofreies Leben

Wer in Frankfurt am Main sein Auto verkauft, erhält ein Jahresabo für Bus und Bahn. Auch andere Städte wollen mit solchen oder ähnlichen Anreizen die Verkehrswende vorantreiben.

Julia Koenen hat ihr Auto abgeschafft - im Tausch gegen die Prämie der Stadt.
Foto: Boris Roessler/dpa

Julia Koenen hat sich von ihrem Auto getrennt. Die 37-Jährige fährt jetzt nur noch Straßenbahn, U-Bahn oder Regionalzug, um zur Arbeit zu gelangen oder in ihrer Freizeit mobil zu sein. Der ausschlaggebende Grund war eine Aktion der Stadt Frankfurt am Main, in der sie lebt. Seit Juli letzten Jahres erhalten hier Personen ein einjähriges Deutschlandticket, wenn sie nachweisen können, dass sie ihren Pkw mit Verbrennungsmotor verkauft haben.

«Ich vermisse nichts», sagt Julia Koenen mit Blick auf ihr autofreies Leben. «Ich brauche selten ein Auto und wenn, dann nehme ich meistens eines aus dem Carsharing.» Die Bahn sei auch nicht immer so unpünktlich, wie es oft heiße. Ihr Auto habe schon vor dem Verkauf meist in der Garage gestanden. 

Stadt will Wirkung nach einem Jahr ermitteln

Rund 340 Menschen haben es Koenen bis Ende Januar gleich getan, wie die Stadt Frankfurt mitteilt. «Damit sind wir sehr zufrieden», sagt eine Sprecherin des Mobilitätsdezernats. 

Es sind bisher keine Fälle von Missbrauch bekannt. Die Auswirkungen der Prämie werden nach einem Jahr bewertet. Es steht ein Budget von einer halben Million Euro zur Verfügung. Die Stadt betont, dass es sich um eine kleinere Maßnahme im Rahmen eines größeren Gesamtplans zur Förderung des klimafreundlichen Verkehrs handelt.

Auch andere Städte haben schon solche oder ähnliche Prämien ausgelobt. Darmstadt zahlte seit September 2022 ein dreimonatiges «Klimaticket» für Bus und Bahn bei Abschaffung des eigenen Autos. Im Januar 2024 endete das Programm aus Spargründen, auch waren die Teilnehmerzahlen immer weiter gesunken. Rund 200 abgemeldete Autos zählte die südhessische Stadt in der Zeit. 

Die Stadt Marburg musste aufgrund einer Haushaltssperre die zweite Runde ihres Anreizprogramms trotz hoher Nachfrage Ende des letzten Jahres nach nur wenigen Monaten vorübergehend aussetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten insgesamt 89 Bürgerinnen und Bürger jeweils 1.250 Euro in Form von Gutscheinen erhalten, um ein Jahr lang auf ein privates Auto zu verzichten.

500 Euro bei Kauf eines Fahrrads

In Heidelberg in Baden-Württemberg wurde zwischenzeitlich die Abmeldung des eigenen Autos mit einem Jahresabo für den öffentlichen Nahverkehr oder einer 500-Euro-Zuzahlung bei Kauf eines Fahrrads belohnt. Die Art der Fortführung des Förderprogramms «Umweltfreundlich mobil» hängt derzeit von Haushaltsberatungen ab, wie ein Sprecher mitteilt. 

Fallzahlen wie in Frankfurt seien angesichts der großen Gesamtzahl von Autos ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt der verkehrspolitische Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Michael Müller-Görnert. Es gebe dringendere Aufgaben wie einen guten öffentlichen Nahverkehr, effektives Parkraummanagement und sichere Radwege. «Das muss Hand in Hand gehen», sagt Müller-Görnert. Viele Städte seien auf einem guten Weg, andere unternähmen gar nichts in die Richtung und andernorts gebe es Rückschritte. 

Städte fordern ausreichend Geld zur Finanzierung

Die Städte streben nach mehr Grünflächen, guter Luft und weniger Lärm, wobei die Verkehrswende wichtige Beiträge leistet, so der Präsident des Deutschen Städtetags, Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe (CDU). Um die Menschen zum Umsteigen zu bewegen, sind attraktive und bezahlbare Alternativen wichtig: moderne Busse und Bahnen, ein dichteres Netz im Nahverkehr, bessere Verbindungen ins Umland und eine digitale Verkehrslenkung. Bund und Länder müssen hierfür eine angemessene finanzielle Ausstattung bereitstellen.

Vorrangiges Ziel von Anreizen wie Prämien zur Abschaffung des eigenen Autos sei eine breite Diskussion in der Stadtgesellschaft, sagt Mobilitätsforscherin Levke Sönksen vom Deutschen Institut für Urbanistik. Dazu würden auch Gewinnspiele oder Wettbewerbe veranstaltet wie das «Stadtradeln». 

Berührungsängste abbauen

Die Aktionen bauten Berührungsängste ab und führten weg von der Vorstellung eines Verzichts: «Vielleicht teste ich dann die Bahn einmal aus und merke, das gibt mir auch eine gewisse andere Freiheit, wenn ich ein Buch lesen kann, statt im Stau zu stehen», erläutert die Forscherin. 

Wichtig sei eine Gesamtstrategie, in die die Aktionen eingebunden sind, sagt Sönksen. Anders sei eine dauerhafte Wirkung nicht zu erzielen. Neben der Förderung von Rad- und Fußverkehr komme es auf einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr an: «Man muss sich darauf verlassen können, dass der Bus fährt, dass man sich das Ticket leisten kann und dass das in drei Jahren auch noch so ist.»

dpa