Experten erwarten Wachstum durch staatliche Investitionen, aber warnen vor strukturellen Problemen und fordern Reformen für nachhaltige Dynamik.
Deutsche Wirtschaft erholt sich langsam, fordert grundlegende Reformen

Die deutsche Wirtschaft kommt im nächsten Jahr aus Sicht führender Forschungsinstitute langsam wieder in Schwung. Das Wachstum wird aber vor allem durch staatliche Milliarden-Investitionen getrieben, um besonders die teils marode Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Die Wirtschaft stehe aber nach wie vor auf «wackeligen Beinen», sagte Geraldine Dany-Knedlik, Konjunkturexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in Berlin. Die Institute fordern die Bundesregierung zu grundlegenden Strukturreformen auf – sonst sei die wirtschaftliche Dynamik nicht von Dauer. Reformbedarf sehen die Experten vor allem bei den Sozialsystemen.
Nur Mini-Wachstum in diesem Jahr
Im aktuellen Jahr erwarten die Institute lediglich eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,2 Prozent. Im Frühjahr wurde noch ein Plus von 0,1 Prozent prognostiziert. Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit geraumer Zeit in einem Konjunkturtief. In den letzten beiden Jahren ist die Wirtschaftsleistung gesunken. Vor allem höhere Zölle auf EU-Importe bremsen den Handel auf dem wichtigen US-Markt. Der Außenhandelsverband BGA sagt ein Exportminus von 2,5 Prozent für 2025 voraus. Zahlreiche bedeutende Branchen wie die Auto- und Stahlindustrie stecken in Schwierigkeiten. Auch der private Konsum in Deutschland kommt nicht in Fahrt.
Ab 2026 geht es langsam wieder bergauf
Die Institute erwarten, dass die deutsche Wirtschaft die Talsohle hinter sich lässt und in den kommenden zwei Jahren wieder etwas an Dynamik gewinnt. Wie im Frühjahr wird für 2026 mit einem BIP-Wachstum von 1,3 Prozent gerechnet. 2027 prognostizieren die Experten ein Plus von 1,4 Prozent. Eine «expansive Finanzpolitik» dürfte die Konjunktur anschieben.
Das Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro, das durch Schulden finanziert wird, ist für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz vorgesehen und hat eine Laufzeit von zwölf Jahren. Es umfasst die Sanierung maroder Brücken, Bahnstrecken und Schulen sowie zusätzliche Mittel für Kitas und eine verbesserte Digitalisierung. Um sicherzustellen, dass die Gelder schnell bereitgestellt werden, sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Die Institute sind der Meinung, dass dies die Binnenwirtschaft deutlich ankurbeln wird.
Strukturelle Probleme
Das vor allem durch die staatlichen Investitionen getriebene Wachstum überdecke die strukturellen Probleme des Standorts Deutschland, die bisher ausgeblieben seien, warnen die Forschungsinstitute. Die mittel- und die langfristigen Wachstumsperspektiven drohten sich weiter zu verschlechtern. Vor allem die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren schwächele. «Hohe Energie- und Lohnstückkosten im internationalen Vergleich, Fachkräftemangel sowie eine weiter abnehmende Wettbewerbsfähigkeit bremsen die langfristigen Wachstumsaussichten weiterhin.»
Wirtschaftsverbände beobachten schon seit längerem hausgemachte Probleme. Insbesondere bürokratische Hürden, hohe Energiekosten und eine unzureichende digitale Infrastruktur haben die Investitionen deutscher Unternehmen gebremst. Hinzu kommen steigende Sozialabgaben und ein Fachkräftemangel.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) äußerte sich am Mittwochabend bei einer Veranstaltung des Verbands der Chemischen Industrie in Berlin: «Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist eine Minute nach zwölf.» Deutschland ist zu teuer und zu langsam. Konkurrenten, insbesondere in den USA und Asien, können zu deutlich günstigeren Bedingungen produzieren als in Deutschland.
12-Punkte-Plan für Reformen
Die Wirtschaftsinstitute fordern grundlegende Reformen. Dazu gehört, dass «nationale Alleingänge» etwa in der Klimaschutzpolitik vermieden werden sollten, um deutsche Unternehmen nicht zu belasten. Innenpolitisch drängen die Institute darauf, die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren, etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung. In der gesetzlichen Rentenversicherung gerate das Umlagesystem durch die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung immer mehrunter Druck. Die Bestandsrenten sollten daher langsamer zunehmen als die «Nominallöhne».
Die Institute schlagen weiter vor, Arbeitsanreize für Ältere zu stärken – die schwarz-rote Koalition hat entsprechende Pläne. Bei der Energiewende sollte mehr auf Preissignale gesetzt werden. Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) hat Vorschläge vorgelegt, um die Kosten zu senken. Die öffentliche Verwaltung müsse digitaler werden, so die Institute weiter. Mit Blick auf Milliardenlücken im Bundeshaushalt 2027 sprechen sie sich gegen Steuererhöhungen aus – sondern für eine Kürzung «konsumtiver» Staatsausgaben.
«Herbst der Reformen»
Merz hat mit Blick auf die Sozialsysteme und steigende Ausgaben einen «Herbst der Reformen» angekündigt. So soll das Bürgergeld reformiert werden. Ziel sind zum einen Einsparungen. Zum anderen geht es darum, dass mehr Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ob und wann es aber zu grundlegenden Reformen etwa bei der Rente oder der Pflege kommt, ist offen. Die Regierung hat verschiedene Kommission eingesetzt. Innerhalb der schwarz-roten Koalition könnte es zu Konflikten kommen, wie tief die Einschnitte im Sozialstaat werden sollen.
Lage auf dem Arbeitsmarkt
Im August stieg die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland erstmals seit mehr als zehn Jahren auf über drei Millionen Menschen. Gemäß den Prognosen der Institute wird sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der wirtschaftlichen Belebung deutlich verbessern. Es wird erwartet, dass in den nächsten beiden Jahren Arbeitsplätze geschaffen werden, die zusammen mit steigenden real verfügbaren Einkommen den Konsum der privaten Haushalte und konsumnahen Dienstleistungsbereichen unterstützen werden.
Die Gemeinschaftsdiagnose wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Ifo-Institut, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen erstellt.