Hunderttausende Euro übergeben angsterfüllte Menschen an professionelle Betrügerbanden, die sie mit erfundenen Geschichten unter Druck setzen. Die deutsche Polizei braucht die Hilfe Europas.
Internationaler Kampf gegen Enkeltrick-Betrüger
Der umfangreiche Betrug an älteren Menschen mit Schockanrufen und dem sogenannten Enkeltrick breitet sich in Europa aus – und die deutsche Polizei arbeitet im Kampf gegen die Täter immer internationaler zusammen. Staatsanwälte sowie Kriminalpolizisten aus den 16 Bundesländern, vom Bundeskriminalamt (BKA) und aus Polen, der Slowakei, Tschechien, Österreich, der Schweiz, Großbritannien und Serbien treffen sich von Mittwoch bis Freitag auf Einladung des Berliner Landeskriminalamtes (LKA).
Die Konferenz in Teltow (Brandenburg) ist Teil des Projekts ISF Lumen, das von der EU unterstützt wird und sich gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität richtet.
Was ist der sogenannte Enkeltrick oder Schockanruf?
In dieser seit vielen Jahren bekannten Betrugsmasche geben die Täter am Telefon vor, Verwandte, Polizisten oder Anwälte zu sein. Sie versuchen, ältere Menschen durch erfundene Geschichten zu Geldzahlungen zu überreden. Oft berichten die Täter unter Tränen von Unfällen, an denen Verwandte beteiligt sind, und fordern Zehntausende Euro für Kautionen. Sie geben sich als Polizisten aus, um Geld aus der Wohnung in Sicherheit zu bringen. Chat-Nachrichten werden verschickt, um mit den Opfern in Kontakt zu treten.
Wie viele Taten gibt es?
Gemäß der Kriminalitätsstatistik des BKA wurden im letzten Jahr in Deutschland 6.656 solcher Fälle gemeldet. Von diesen wurden 1.527 aufgeklärt. Die Polizei ermittelte fast 1.100 Verdächtige. Hinzu kamen 3.904 Fälle von falschen Polizisten und knapp 1.600 Fälle weiterer falscher Amtsträger. Die Schadenssumme beläuft sich auf einen mehrstelligen Millionenbetrag. Experten gehen außerdem von einer Dunkelziffer aus, da manche Opfer nicht zur Polizei gehen.
Wer sind die Opfer?
Die Täter zielen in der Regel auf ältere Menschen ab. Sie suchen Telefonnummern in Telefonbüchern anhand früher beliebter Vornamen. Die Opfer verlieren häufig große Geldbeträge, die sie mühsam angespart haben. Hinzu kommen psychische Schäden und Schamgefühle, da sie auf solche Betrüger hereingefallen sind.
Es gibt zahlreiche tragische Beispiele von betrogenen alten Menschen. Im Februar gab die Polizei in Potsdam bekannt, dass ein Betrüger einer Seniorin Geld und Wertgegenstände im Wert von 220.000 Euro gestohlen hat. Die Täter täuschten die Frau am Telefon, indem sie behaupteten, ihr Sohn habe einen tödlichen Unfall verursacht und benötige eine Kaution. In Halle (Saale) erbeuteten Kriminelle 230.000 Euro von einem 88-Jährigen. In Bayern konnte eine Bankangestellte verhindern, dass eine Kundin eine fünfstellige Summe abhob und an Telefon-Betrüger übergab.
Wer sind die Täter?
Laut Polizei handelt es sich bei den Tätern hauptsächlich um organisierte Familienstrukturen, die ursprünglich oft aus Osteuropa stammen. Sie operieren häufig aus dem Ausland. In den Ländern, in denen die Opfer leben, werden zusätzliche Täter eingesetzt, die Bargeld oder Schmuck entgegennehmen.
«Die Triebfeder der Täter sind Geld, Macht und Luxus: teure Mode, Schmuck, Limousinen und Sportwagen, Reisen in Luxushotels. Das ist wichtig und muss finanziert werden», sagt Kriminalhauptkommissar Sebastian Höhlich vom Berliner LKA der dpa. «Durch die Erfolge werden die Gruppen größer. Es gibt viel Nachwuchs, die Familien sind kinderreich. Das ist eine Kriminalitätsform, die weitergegeben wird und bei der schon junge Familienmitglieder einbezogen werden.»
Den ganzen Tag würden Telefonnummern angerufen, schildert Höhlich das Vorgehen. Wenn bei 30 Anrufen aufgelegt wird, komme es beim 31. Anruf zum Gespräch. «Wir hatten schon Menschen, die sind dreimal Opfer eines solchen Enkeltrick-Betrugs geworden.»
Warum arbeiten die Täter immer internationaler?
Inzwischen werde europaweit gegen die Netzwerke der Kriminellen ermittelt, so Höhlich. «Etwa 25 Länder sind inzwischen betroffen. Weil der Verfolgungsdruck durch die Polizei größer geworden ist, expandieren die Täter.»
Durch die seit sieben Jahren laufende gute Zusammenarbeit mit der Polizei in Polen seien viele Banden zerschlagen worden. «Nun gibt es die Taten auch in Ungarn, in der Slowakei, Tschechien, Bulgarien, auch in Großbritannien, den Niederlanden und Italien. Die Täter sind gut vernetzt, also müssen wir uns auch gut vernetzen. Nur im internationalen Verbund kann man sie bekämpfen.»
Was ist das Ziel der aktuellen Konferenz der Polizeibehörden?
Die betroffenen Staaten müssten gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Kriminellen entwickeln, sagte Höhlich. «Es gibt verschiedene Rechtssysteme und wir müssen unser Vorgehen gemeinsam anpassen.» Der politische Wille zur Bekämpfung dieser Kriminalität sei nicht in allen Staaten gleich groß. Die überwiegend älteren Opfer hätten nicht überall eine große Lobby. «Aber es tut sich viel und ich bin ganz optimistisch.»
Wie geht die Polizei national und international vor?
Die Kooperation zwischen den Bundesländern in Deutschland habe sich mittlerweile sehr gut bewährt, wie große länderübergreifende Einsätze mit Überwachungen und Festnahmen zeigen. Ende 2024 seien unter der Leitung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg Polizeibehörden aus acht Staaten und von Europol gegen Enkeltrick-Betrüger vorgegangen.
Die Polizei überwachte wochenlang die Kommunikation der vermeintlichen Betrüger und löste in Polen drei Callcenter aus. 20 Verdächtige wurden festgenommen. In ganz Deutschland wurden fast 400 Enkeltrickbetrügereien verhindert, was zu einem Schaden von fünf Millionen Euro führte.
Wie ist die Lage in Berlin?
«Wir haben hier inzwischen große Erfolge und einen massiven Rückgang der Taten zu verbuchen. 2024 waren es 50 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch im laufenden Jahr gab es erneut deutlich weniger Fälle», sagte Höhlich. «Wir haben einige Callcenter zerschlagen. Das merken wir signifikant an den Fallzahlen. Man muss den Verfolgungsdruck hochhalten. Wenn man nachlässt, gehen die Fallzahlen wieder hoch. Die Täter bekommen das sofort mit.»