Was soll schon gut sein an diesen verheerenden Bränden in Los Angeles mit mindestens 25 Toten und Tausenden zerstörten Gebäuden? Vielleicht die Gewissheit, dass man sich in dieser Stadt hilft.
Irgendwie nützlich machen: Wie L.A. nach den Bränden hilft
Als Veronica Velasquez fertig ist mit ihrer Durchsage, lacht ein Mann in der Ecke mit den Konservendosen. «So freundlich bin ich noch nie rausgeschmissen worden», sagt er, umarmt die Frau, die ihn und die anderen Freiwilligen in den Feierabend geschickt hat, und geht. Die nächste Schicht ist da. 20 neue Helferinnen und Helfer, die eine Woche nach dem Ausbruch der Brände in Los Angeles ihre Zeit spenden. Sie sortieren Klamotten, tragen Zahnbürsten und Hundefutter an den richtigen Ort. Und helfen Menschen dabei, sich zurechtzufinden.
Binnen 48 Stunden ist aus einer spontanen Aktion im Garten von Velasquez, 45 Jahre alt und ursprünglich aus Kolumbien, ein Drehkreuz für Spenden im Herzen von Venice Beach entstanden, das nun im Event-Zentrum Blank Spaces kostenlos den größten Raum mit etwa 180 Quadratmetern nutzen darf. Am Dienstag vergangener Woche fing es an zu brennen und spätestens am Mittwoch war den Leuten in Los Angeles klar, dass die Feuer ihr Leben in ein «Davor» und «Danach» geteilt haben. Mehr als 100.000 Menschen mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen, die Zahl der abgebrannten Gebäude ist laut Schätzungen fünfstellig. Einfamilienhäuser, Villen, Schulen, Büchereien, Restaurants, Tankstellen. Alles weg.
Manche Einrichtungen wissen nicht, wohin mit den vielen Freiwilligen
Velasquez, die als Kind in ihrer Heimat bereits die Evakuierung nach einem Vulkanausbruch erlebt hatte, entschied sofort, dass sie helfen wollte. Viele andere hatten dieselbe Einstellung – an vielen Orten wissen Organisationen nicht mehr, wohin mit den Spenden und Freiwilligen.
«Es ist gar nicht so einfach, rauszufinden, wo Hilfe gesucht wird. Man muss sich aktiv darum kümmern», sagt Jessica Kühefuss. Die 32-Jährige aus München sortiert gespendete Kleidung nach Größen und hängt sie an den richtigen Platz. Seit August wohnt sie in Los Angeles und macht dort ihren Master. Als die Feuer ausbrachen, war sie in Miami – und blieb erst mal länger als geplant. «Mittwoch habe ich Panik bekommen und auf Google Maps gesehen, wie nah es an meiner Wohnung ist. Ich habe dann ständig eine App mit Updates zu den Feuern gecheckt, Freunde in der Nähe mussten evakuieren. Meine Freunde haben gesagt: komm nicht zurück», erzählt sie.
Kühefuss flog schließlich doch nach Kalifornien und sorgte sich auch während der Reise um ihren Beitrag. Nach unzähligen Nachrichten und E-Mails hatte sie Orte entdeckt, an denen sie Hilfe leisten konnte. Das Bedürfnis, auf irgendeine Weise nützlich zu sein, auf irgendeine Weise zu helfen, ist überall in Los Angeles zu spüren. Jeder scheint mindestens eine Person zu kennen, die in den Flammen alles verloren hat.
Freunde organisieren selbst gekochte Abendessen für die Eltern, deren Haus nicht mehr steht. Oder sie melden sich als Freiwillige beim Venice Helping Hub, dem Projekt von Velasquez, bei dem auch Kühefuss sich engagiert – und das mit so vielen anderen, dass bis Ende des Monats kein weiterer Bedarf mehr besteht. «Ich fühle mich dieser Stadt viel mehr verbunden», sagt Kühefuss. «Innerhalb von nicht mal 24 Stunden gab es 700 Leute in der Whatsapp-Gruppe. Die Solidarität so zu erleben, ist toll.»
Zeit spenden ist in der City of Angels selbstverständlich
Freiwilligenarbeit ist in Los Angeles weit verbreitet. Suppenküchen, Obdachlosenhilfe, Gnadenhöfe für Tiere – all das funktioniert nur, weil sich die Angelenos engagieren. Seit dem Ausbruch der Feuer ist diese Hilfsbereitschaft aber fast genauso schnell explodiert wie die Flammen. «Es ist zu früh, um Zahlen zu nennen, aber es gibt einen signifikanten Anstieg an Freiwilligen, inklusive derer, die sich selbst organisieren und unabhängig agieren», teilte eine Sprecherin von «California Volunteers» mit, der Behörde, die in Kalifornien Freiwilligenarbeit fördert und koordiniert.
Die Los Angeles Food Bank, eine Organisation, die ganzjährig die Verteilung von Lebensmitteln an bedürftige Menschen ermöglicht, hat nach eigenen Angaben durchschnittlich 68 Freiwillige täglich. «Derzeit liegen wir bei 175 bis 225 jeden Tag in unseren beiden Warenhäusern und Hunderte weitere, die Lebensmittel ausfahren», teilt die Food Bank auf Anfrage mit. Um drei Stunden lang Zwiebeln, Sellerie, Kohl und Zitronen zu sortieren und zu verpacken, nehmen Leute mitunter Fahrtzeiten von 80 Minuten auf sich – je Strecke.
«Noch nie so verbunden zu dieser Stadt gefühlt»
Die Britin Billie Quinlang lernt ihre Wahlheimat nach zwei Jahren nun noch mal ganz neu kennen. Gemeinsam mit Velasquez ist sie eine der treibenden Kräfte im Venice Helping Hub – dabei kennen sich die Frauen gerade mal seit dem Wochenende. «Für mich ist das gerade eine neue Perspektive auf diese Stadt. Los Angeles ist so groß, da bleibt jeder meistens in seiner Gegend. Es ist schwer, in dieser Stadt anzukommen. Aber das hier zeigt mir: L.A. ist eins. Ich habe mich noch nie so verbunden zu dieser Stadt gefühlt, wie jetzt», sagt die 33-jährige Quinlang.
«Die letzten drei Monate haben mich sehr erschöpft», sagte Velasquez mit Blick auf die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und das politische Klima in den USA. «Aber nun bin ich umgeben von vielen tollen Menschen, die alle in meiner Nachbarschaft wohnen, die ich nicht kannte. Die waren alle da, innerhalb kürzester Zeit.» Und weil es so viele sind, muss sie die Freiwilligen einer Schicht alle paar Stunden nach Hause schicken – weil es in der «City of Angels» genug Engel gibt.