Zahlreiche Bären streifen durchs Land, doch die Begegnungen mit Menschen werden gefährlicher – wie ein tragischer Vorfall zeigt.
Überpopulation der Bären in Rumänien: Ursachen und Folgen

Plötzlich regt sich etwas im Gebüsch, die Autofahrer sind begeistert: Ein kleiner Braunbär läuft die Bergstraße Transfagarasan entlang – bei schönem Sommerwetter in den rumänischen Karpaten. Hundert Meter weiter gibt es eine Parkbucht; dort können sie anhalten, um das wilde Tier zu fotografieren. Der von Natur aus eher scheue Bär ist Sekunden später auch da. Er hofft auf Futter von den Touristen, genau wie viele seiner Artgenossen.
Gemäß einer neuen Studie im Auftrag des Umweltministeriums in Rumänien soll es landesweit zwischen 10.419 und 12.770 Bären geben – das sind mehr als doppelt so viele wie bisher angenommen. In keinem anderen europäischen Land außerhalb von Russland gibt es eine derart hohe Anzahl an Bären. Es sind zu viele: Etwa 5.000 Bären gelten in Rumänien als verträglich für das natürliche Gleichgewicht.
Jäger sehen das 2016 eingeführte Abschussverbot als Grund für die schnelle Vermehrung, während Tierschützer das Füttern durch den Menschen kritisieren. Jetzt ist es wieder erlaubt, Bären offiziell zu schießen – jedes Jahr gibt es dafür genehmigte Quoten von mehreren Hundert.
Seit Jahrzehnten wird in Rumänien von einer Bärenplage gesprochen, besonders im zentralrumänischen Siebenbürgen: In Brasov durchsuchen sie regelmäßig die Mülltonnen nach Essbarem. In Sibiu kletterte ein junger Bär im Jahr 2016 sogar von einem Hausdach zum anderen. Nicht nur in Rumänien, sondern auch in Griechenland und Italien treffen Mensch und Bär immer häufiger aufeinander.
In der Parkbucht am Transfagarasan nahe dem Ort Arefu bleiben drei Autos stehen, darunter eines mit einer Reporterin der dpa. Ein Tourist wirft dem Bären eine Banane zu, obwohl Dutzende unübersehbare Schilder der Behörden das Bärenfüttern verbieten. Der Bär schnuppert an der Banane, lässt sie aber liegen. Dann tapst er wieder zurück in den Wald. Wenige Kilometer weiter brät jemand Schoko-Crêpes an einem Kiosk, der nachts mit einem elektrischen Zaun vor Bären geschützt wird.
Braunbär ist kein Teddybär
Diese Begegnung mit dem Bären hätte sehr schlecht ausgehen können. Der Bär war höchstens fünf Jahre alt, wie der Tierarzt und Tierschützer Ovidiu Rosu anhand der Fotos schätzt. Mit einem Gewicht von 50 bis 80 Kilo hätte der junge Bär einem Menschen bereits gefährlich werden können. Erst im Alter von 10 bis 15 Jahren, wenn er ausgewachsen wäre und etwa 200 Kilo wiegen würde, wäre das Tier noch gefährlicher gewesen.
Der Bär mag niedlich wirken, doch in der freien Natur gehen diese Tiere brutal miteinander um: In der Regel töten die Männchen den Nachwuchs, um schnell eine neue Paarungsbereitschaft der Bärin auszulösen. Darum fliehen die Bärinnen mit ihren Jungen vor den Männchen – oft Richtung Waldrand und Straßen.
Erst vor Kurzem wurde am Transfagarasan ein Italiener durch einen Bärenangriff getötet: Der 48-Jährige hatte eine Bärin gefüttert und ihr dann den Rücken zugewandt, um ein gemeinsames Selfie zu machen. Das Tier zog ihn daraufhin in eine Schlucht, wo er schließlich tot aufgefunden wurde. Offenbar wusste er nicht, dass das Wegdrehen des Rückens den Jagdinstinkt des Bären auslösen kann. Bärenangriffe sind in Rumänien häufig – meistens auf Wanderer und Hirten.
Auch im Nordwesten Griechenlands kommt es immer wieder zu Zwischenfällen mit Bären, obwohl ihre Population in den letzten Jahren nicht zugenommen hat. Im Juni wurden zwei griechische Wanderer von einem Bären angegriffen. Einer der Männer wurde von einem Schlag des Tieres einen Steilhang hinuntergestoßen und starb durch den Sturz. Es wird angenommen, dass der Hund der Wanderer den Vorfall ausgelöst hat, indem er den Bären gereizt hat. Häufiger als Bärenangriffe sind jedoch Unfälle, bei denen die Tiere selbst verletzt werden – zum Beispiel, wenn sie die Autobahn überqueren.
Besorgte Griechen greifen zur Waffe
Dennoch haben die Bewohner Angst, denn mittlerweile wandern die Bären auf Futtersuche in besiedelte Gegenden bis zur nordwestlichen Stadt Kastoria – angezogen von Abfall und Obstgärten, berichtet die Tierschutzorganisation Arcturos. «Ich gehe immer erst auf den Balkon, um zu schauen, ob meine Bärin da ist, bevor ich aus dem Haus gehe», sagt eine Einwohnerin im Dorf Mavrochori. Manch einer greift sogar zur Waffe: Mindestens sieben Bären wurden laut Arcturos seit dem Vorjahr von Privatleuten erschossen.
Problembären im italienischen Trentino
In Italien machen sich die Bewohner vor allem in den Alpen südlich von Südtirol, wie zum Beispiel in den Brenta-Dolomiten, Sorgen um rund 100 wilde Braunbären: „Im Jahr 2023 wurde ein 26-jähriger Italiener beim Joggen in den Bergen von einer Bärin tödlich verletzt. Es handelte sich um den ersten bestätigten Bärenangriff mit Todesfolge im Land. Insgesamt wurden seit 2014 in der Region sieben Angriffe von Bären auf Menschen dokumentiert.“
Gemäß dem Bericht der Provinz Trient bewegen sich die Bären hier über eine Fläche von etwa 3,4 Millionen Hektar Wald – fast so groß wie Baden-Württemberg. Trotzdem kommen sie auch an Feldern und Bauernhöfen, angezogen von Nutztieren, Bienenstöcken und Weingärten. Im Jahr 2024 belief sich der durch wildernde Bären verursachte Schaden auf rund 145.000 Euro.
Baile Tusnad in Rumänien Vorbild für Bären-Management
Experten sind sich einig, dass besseres Müll-Management die Bären fernhalten würde. Als Modell dafür gilt die Karpaten-Kleinstadt Baile Tusnad. Dort wurden bärenfeste Mülltonnen eingeführt und Obstbäume gerodet, weil Früchte die Bären anziehen. Viele Förster besuchen Schulungen in Baile Tusnad, wie etwa Puiu Gheorghe aus Rasnov, 70 Kilometer weiter südlich. 66 Bären leben in seinem 10.000 Hektar großen Revier – optimal wären hier höchstens 10. «Wir hatten hier sogar schon eine Bärin mit fünf Jungen», sagt er. Normal wären zwei oder drei Bärenkinder pro Wurf.
«In Baile Tusnad haben sie auch den Touristen das Handwerk gelegt, die früher von ihren Hotelzimmern aus Essen für die Bären hinuntergeworfen haben», erzählt Gheorghe. Derzeit plant das Umweltministerium eine Verdopplung der bereits geltenden Bußgeldbeträge für das Bärenfüttern: Im Höchstfall kann es umgerechnet fast 1.200 Euro kosten, so der Plan.
Mit Pfefferspray kann man sich schützen
Auch wenn man keine Bären füttert, kann Wandern gefährlich sein: Im Jahr 2024 wurde eine 24-Jährige im Karpaten-Massiv Bucegi von einem Bären in eine Schlucht gezerrt und starb.
Wie kann man sich schützen? Einige Experten sagen: Nicht umdrehen und weglaufen, sondern langsam mit dem Gesicht zum Bären weggehen – am besten mit erhobenen Armen, um selbst größer zu wirken. Auch das ist jedoch keine Garantie, denken Förster Gheorghe und Tierarzt Rosu. Die beste Lösung ist Pfefferspray, sagt Rosu. Denn der Geruch ist für Bären unangenehm. Noch besser: Beim Wandern laut sprechen oder singen. Der Bär wird dann gar nicht erst auftauchen.