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KI-Jesus im Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere

Eine Schweizer Kirche hat in diesem Jahr mit künstlicher Intelligenz einen sprechenden Jesus kreiert, der in einem Beichtstuhl Rede und Antwort stand. Schräg oder die Zukunft?

Der KI-Jesus sei eine experimentelle Kunstinstallation, betonen die Oberen der Peterskapelle in Luzern.
Foto: Lukasgesellschaft/dpa

Viele Christen träumen davon, mit Jesus zu plaudern und ihn um Rat zu fragen. In einer Kapelle in der Schweiz wurde dieser Traum zumindest virtuell wahr: Dort wurde mit Hilfe künstlicher Intelligenz ein Jesus geschaffen, der in einem Beichtstuhl Gespräche führte. Der attraktive junge Mann mit langen Haaren und Bart kannte sich natürlich gut mit der Bibel aus. Warum eine Theologin damit Schwierigkeiten hat, wird später erklärt.

«Friede sei mit Dir, mein Freund», sagt der KI-Jesus etwa gütig. «In Zeiten der Unsicherheit und des Zweifels erinnere Dich daran, dass Glaube Berge versetzen kann. Was bedrückt Dein Herz heute?»

Die Verantwortlichen der Peterskapelle in Luzern betonen, dass es sich beim KI-Jesus um eine experimentelle Kunstinstallation handelt. Die Kirche stammt aus dem 12. Jahrhundert und befindet sich direkt neben der berühmten Kapellbrücke. Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter, erklärt, dass es nie darum ging, echte Beichtgespräche zu ersetzen. Der KI-Jesus wurde mit schwierigen Fragen trainiert und mit dem Neuen Testament gefüttert.

Von mitfühlend bis abgedroschen 

«Ich war oft überrascht, wie gut die Antworten waren», sagt Schmid. Manchmal habe er gedacht: «Hey, das hätte ich auch so gesagt.» Abgedroschenes kam vom KI-Jesus aber auch. Eine Kostprobe: «In einer Zeit der Technologie und schnellen Veränderungen bleibt der Kern unseres Glaubens unverändert: Liebe, Hoffnung und Glaube». Dazu sagt Schmid: «Prediger sind auch oft schlecht.»

Viele Kirchen testen KI. Anlässlich des Reformationstags 2023 stellte die Evangelische Kirche im Rheinland einen KI-gesteuerten Avatar von Martin Luther vor, der Fragen beantwortete. Die Variante in Luzern mit dem Avatar direkt in der Kirche ist jedoch ungewöhnlich.

Ein altmodischer Jesus?

Theologin Anna Puzio (30) aus Münster hat Schwierigkeiten mit dem Luzerner Design. An der Universität Twente in den Niederlanden beschäftigt sie sich unter anderem mit Technikethik und betont, dass sie sehr offen sei für KI im religiösen Bereich. «Da wird als Jesusbild ein sehr westlich geprägter Mann mit Bart erzeugt – das ist ein Bild, das wir in der Theologie schon lange überwunden haben.»

Das gelte auch für viele Antworten, so Puzio. Die KI nutze unreflektiert Datenmaterial aus alten religiösen Schriften und erzeuge damit zum Beispiel ein überholtes Bild der Frau: «Das stärkt alte religiöse Vorstellungen, die in der Theologie längst als überholt gelten, und auch fundamentalistische Tendenzen in der Kirche.» Texte aus der Bibel müssten immer interpretiert und in einen modernen Kontext gebracht werden. «Das hat die KI nicht geleistet.»

Im Beichtstuhl sah der Jesus-Avatar hinter dem Gitter zwischen Beichtendem und Seelsorger ziemlich real aus, wie es in alten Darstellungen üblich ist. Die Worte der Besucher wurden aufgezeichnet und in einen Computer eingespeist. Die Antworten wurden mit ChatGPT generiert und dann vom Avatar ausgesprochen.

Zack-zack Antworten 

Schmid bemängelt: «Er schießt die Antworten raus wie aus einer Kanone, zack-zack, ohne Pausen.» Das fanden manche schwierig. Andererseits habe er von skeptischen Theologen gehört: «Wenn ich so ausgeglichen-empathisch wie der gesprochen hätte, hätte ich vielleicht ein besserer Seelsorger sein können.»

Der KI-Jesus war ein zweimonatiges Experiment, das in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern durchgeführt wurde und bis Oktober dauerte. 60 Prozent von 290 Personen, die nach ihrem Gespräch mit dem KI-Jesus einen Fragebogen ausfüllten, gaben an, sich religiös-spirituell angeregt gefühlt zu haben, sagt Schmid.

Hoher Stromverbrauch

Die Theologin Puzio hebt jedoch hervor: „KI-Anwendungen verursachen durch den erforderlichen Rechenaufwand hohe Emissionen. Dies steht kaum im Einklang mit der Verantwortung für die Schöpfung. Es wäre besser, weniger, aber verantwortungsvolle KI-Projekte zu entwickeln.“

Für die Evangelische Kirche Deutschland geht das Kunstprojekt «sicherlich an eine Grenze», wie ein Sprecher auf Anfrage sagt. Dennoch: «An Weihnachten begibt Gott sich als zerbrechliches Kind in die Futterkrippe eines Stalls. Warum also sollte Gott einen Beichtstuhl mit KI meiden?», sagt er. «In jedem Fall fordert das Kunstprojekt zur Frage heraus: Wo rechnen wir heute mit Gott?»

KI-Jesus als Brücke 

Das Projektteam wertet die rund 900 Gespräche von 18- bis 70-Jährigen nun weiter aus. Für Datenschutz hat KI-Jesus selbst gesorgt: «Er hat am Anfang erklärt, dass alles aufgenommen wird und dass man bitte keine persönlichen Informationen geben soll, das haben Besucher per Knopfdruck bestätigt.» 

KI in der Kirche kann helfen, wenn Menschen sich zunächst aus Scham nicht einem Seelsorger anvertrauen wollen, sagt Schmid. Ein solches Gespräch kann ein erster Schritt zur Öffnung sein. Eine Autistin hat ihm gesagt, dass das Gespräch mit dem KI-Jesus für sie einfacher war, da sie sich schwer auf andere Menschen einlassen kann. In Schulklassen, die über Videolink mit dem KI-Jesus sprachen, wurde anschließend lebhaft über Religion diskutiert.

In der Kapelle standen immer Seelsorger bereit, falls jemand nach der Begegnung aufgewühlt gewesen wäre. Das sei nicht der Fall gewesen, jedoch hatten viele Leute Redebedarf, da sie neugierig und fasziniert waren.

Wo KI-Jesus sprachlich scheitert

Die Kunstinstallation in Luzern fand im Rahmen des 100. Geburtstags der Lukasgesellschaft statt, die Menschen aus Kunst, Architektur, Kunstgeschichte und Theologie zu Projekten im Bereich Kunst und Kirche vereint. Schmid könnte sich eine Weiterentwicklung vorstellen. Allerdings hätte der KI-Jesus dann noch einiges zu lernen. Er konnte zwar in 100 Sprachen antworten, aber nicht in allen. «Wenn jemand schweizerdeutsch gesprochen hat, hat er auf Niederländisch oder Hebräisch geantwortet,» sagt Schmid.

dpa