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Kleine Notfelle – warum Straßenkatzen so leiden

Sie leben versteckt und sterben elend: Straßenkatzen gibt es nicht nur im Ausland. In Deutschland bringen geschätzt Millionen freilebende Miezen die Tierheime ans Limit. Wer ist schuld?

Kater Ben im Tierheim «Katzenparadies» Neustrelitz.
Foto: Ulrike von Leszczynski/dpa

Suri hat Glück gehabt. Ganz allein saß das wenige Wochen alte Kätzchen an einem heißen Sommertag auf einem Krankenhaus-Parkplatz und maunzte kläglich. Eine Besucherin informierte das «Katzenparadies». Nun ist Suri eines von rund zwei Dutzend «Notfellen», die das private Tierheim im Süden Mecklenburg-Vorpommerns aufgenommen hat.

Zum Weltkatzentag am 8. August wird auf das Leid von immer mehr Miezen ohne Zuhause hingewiesen. Der Deutsche Tierschutzbund betrachtet das Schicksal von Straßenkatzen mittlerweile als eines der größten Tierschutzprobleme in Deutschland. Wie konnte es dazu kommen – und was muss sich ändern?

Miezen sind die beliebtesten Haustiere in Deutschland

Laut dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe waren im vergangenen Jahr fast 16 Millionen Katzen die beliebtesten Haustiere der Bundesbürger. Der Markt verzeichnete einen Umsatzanstieg von fast drei Milliarden Euro im Jahr 2024.

Es existiert jedoch auch die dunkle Seite des Katzenlebens in Deutschland. Laut dem Tierschutzbund werden Samtpfoten kaum ein anderes Haustier so schlecht behandelt. Sie werden in Käfigen eingesperrt oder in Wohnungen gehortet, vernachlässigt, ausgesetzt – und sogar misshandelt bis zum Tod.

Millionen unsichtbarer Samtpfoten

Es wird geschätzt, dass mehr als 1,5 Millionen obdachlose Katzen das härteste Leben führen – ihre genaue Anzahl ist unbekannt. Sie hausen in Schrebergärten, verlassenen Höfen, Bauernhöfen oder Firmengeländen. Häufig sterben sie qualvoll an Krankheiten, Verletzungen, Parasiten, Hunger oder Erfrierung.

Mehr als 10.000 Straßenkatzen, so schätzt der Tierschutzverein für Berlin, leben allein in der Hauptstadt. «Wir sprechen von unsichtbarem Leid, weil diese Katzen nicht so offen herumstreunen wie zum Beispiel in Südeuropa», sagt Sprecherin Zoe Dymke. «Aber wir sehen sie jeden Tag, wenn wir an Futterstellen mit im Einsatz sind.» 

Mehr Würfe durch wärmere Winter 

Viele Tierheime sind schon am Limit. Nicht nur vom Platz her und finanziell, sondern auch mit Blick auf die emotionale Belastung der Teams, sagt Dalia Zohni, Fachreferentin für Heimtiere beim Tierschutzbund. Katzenleid ohne Ende. «Es wird jedes Jahr schlimmer», bestätigt Manuela Jeschke, Gründerin des «Katzenparadieses» in Neustrelitz. 

Allein 26 Jungtiere – Kitten – versorgt ihr Team gerade, die meisten von ihnen ausgesetzt. Eine Kittenpause wie früher gebe es nicht mehr, ergänzt Jeschke. «Durch die milderen Winter haben wir jetzt drei Würfe im Jahr.» Dazu kommen kranke Tiere ohne Zuhause. 

Seit 2017 versucht das kleine Tierheim, mit viel ehrenamtlichen Engagement dem Katzenleid etwas entgegenzusetzen. Tragende Katzen von der Straße lockt das Team zur Geburt ins Haus und lässt sie später kastrieren, die Jungen werden geimpft vermittelt. Mehr als 25.000 Follower hat das «Katzenparadies» in sozialen Medien. Sie lesen von geretteten Miezen, aber auch, dass alle drei niedlichen Jungen von Straßenkatze Daggi am tödlichen Katzenvirus «FIP» gestorben sind. Tierschutz-Realität ist nichts für schwache Nerven. 

Die Haltung einer Katze kostet mehr als 13.000 Euro

Für Tierschützer ist der Grund für die Misere der Mensch. Es gibt keine bundesweite Pflicht, die eigene Katze kastrieren und registrieren zu lassen. Der Tierschutzbund betont, dass jede Straßenkatze von Hauskatzen abstammt. Außerdem ist jede zehnte Katze in Deutschland nicht kastriert. Schon mit rund acht Monaten kann sie vier bis sechs Junge bekommen. Wenn alle überleben, hat sie nach fünf Jahren 19.000 Nachkommen.

Seit 2013 können die Bundesländer Katzenschutzverordnungen erlassen. Die meisten haben diese Zuständigkeit auf ihre Kommunen und Landkreise übertragen. Doch erst knapp 1.900 Städte und Gemeinden in Deutschland schreiben nach der Statistik des Tierschutzbundes das Kastrieren und Registrieren von Hauskatzen vor. Die Stadt Neustrelitz ist nicht darunter. Das nimmt Tierschutzvereinen wie dem «Katzenparadies» die Möglichkeit, Druck auf Halter auszuüben. 

Tierheime stoßen zusätzlich an ihre Grenzen, da sich in den Corona-Jahren zu viele Menschen unüberlegt eine Katze angeschafft haben und sie nun wieder loswerden wollen. Tierärztin Dalia Zohni sagt: „Es gibt leider nicht nur die Liebe zum Tier, sondern auch Konsumlust, falsche Erwartungen, Überdruss und Überforderung.“ Ein Tier ist kein Spielzeug. Und es kostet: Für eine Katze, die 16 Jahre alt wird, muss ihr Halter rund 13.300 Euro bereithalten – ohne unvorhersehbare Tierarztkosten.

Die Uneinsichtigen, die Überforderten und die Armen

In Berlin gibt es seit Juni 2022 eine Chip- und Kastrationspflicht für Katzen. Im Tierheim der Hauptstadt, einem der größten Europas, ist keine Wirkung zu spüren. «Es fehlt immer noch an Aufklärung, warum das Kastrieren so wichtig ist», sagt Sprecherin Dymke. 458 Berliner Tierheim-Katzen warten gerade auf ein Zuhause, einige von ihnen wurden in Kartons und Mülleimern gefunden.

Was läuft schief? Für Tierschützerin Jeschke in Mecklenburg gibt es die Uneinsichtigen, «vor allem alte Leute auf den Dörfern». Bei ihnen würde ihr Team die Mieze abholen, sie auf Vereinskosten kastrieren und chippen lassen und wieder zurückbringen. «Die sagen trotzdem nein.» 

Dann die Überforderten – Eltern oft, die ihren Kindern beim Umgang mit einer Katze keine Grenzen mehr setzten. «Sie sagen, die Katze muss das abkönnen. Die Katze wird aber aggressiv oder strullt vor Verzweiflung aufs Sofa. Und dann muss die Katze weg.» Die dritte Kategorie sind für Jeschke die «Armen». Menschen, die eine Kastration und andere Tierarztrechnungen nicht bezahlen können, manchmal jetzt schon nicht einmal mehr das Futter. 

Spendengelder statt öffentlicher Zuschüsse

Doch selbst wenn sich mehr Katzenhalter vom Kastrieren ihrer Mieze überzeugen ließen, blieben die Straßenkatzen – und die Kosten. Das «Katzenparadies» in Neustrelitz bekommt keine öffentlichen Zuschüsse und zahlt Kastrationen aus Spendengeldern. Das Tierheim Berlin erhält für seine gesamte Arbeit aktuell rund 3,5 Millionen Euro im Jahr vom Senat – der Betrieb aber kostet rund zehn Millionen. 

Die Lücke, auch für Kastrationen, füllen im Moment Spenden, Nachlässe und Mitgliedsbeiträge, die der Tierschutzverein für Berlin erhält. «Dabei ist die Kastration von Straßenkatzen aus unserer Sicht eine kommunale Aufgabe», sagt Dymke. 

Der Tierschutzbund fordert Aktionen noch auf ganz anderer Ebene. «Dazu gehört auch ein Verbot oder zumindest eine Regulierung des Onlinehandels mit Tieren», sagt Expertin Dalia Zohni. Sie wünscht sich auch mehr Auflagen für Halter. Sie sollten vor der Anschaffung einer Katze zum Beispiel nachweisen müssen, dass sie genug Platz, Zeit und Geld für eine Mieze haben – und vor allem auch Wissen über ihre Bedürfnisse, ihr Verhalten und die medizinische Versorgung. 

In Neustrelitz ruft fast jede Woche jemand bei Manuela Jeschke an und sagt: «Sie sind meine letzte Hoffnung!» Die Gründerin des «Katzenparadieses» fragt sich dann: «Was passiert mit diesen Katzen, wenn ich jetzt auch noch nein sage?» Sie kennt die traurige Antwort selbst: «Dann werden sie ausgesetzt». Oder ihr Leben ist sofort vorbei: «Sie kriegen ein Ding vor den Kopf.»

dpa