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Gibt Russland auf? Keine neuen russischen Truppen für den Ukraine-Krieg

Das Vorrücken der ukrainischen Armee und der panische Rückzug russischer Soldaten bringt Kriegstreiber Putin in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Ereignisse im Überblick.

Ein ukrainischer Soldat hilft einem verwundeten Kameraden in dem befreiten Gebiet in der Region Charkiw.
Foto: Kostiantyn Liberov/AP/dpa

Die ukrainische Armee hat nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Anfang September mehr als 6000 Quadratkilometer Land von den russischen Besatzern zurückerobert. «Unsere Truppen bleiben in Bewegung», sagte er in Kiew. Angesichts von russischen Raketenangriffen auf das Stromnetz seines Landes forderte er vom Ausland eine schnellere Lieferung von Luftabwehrwaffen.

Der ukrainische Generalstab berichtete von russischen Attacken an vielen Stellen der Front. In dem von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerk Saporischschja entspannte sich die Lage derweil etwas, weil zwei Stromleitungen zum Kühlsystem der abgeschalteten Reaktoren repariert werden konnten.

Für die Ukraine ist am Dienstag der 202. Tag im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. In Deutschland geht die Diskussion über eine Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern an das angegriffene Land weiter.

Ukrainische Armee rückt weiter vor

Die ukrainischen Truppen durchkämmen die zurückeroberten Gebiete im Osten nach Kollaborateuren der russischen Besatzungsmacht. Außerdem würden Minen geräumt, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht vom Montagabend mit. Er machte keine weiteren Angaben zum Vordringen der Ukrainer, die die russischen Truppen im Gebiet Charkiw weitgehend in die Flucht geschlagen haben.

Die Russen ließen dabei viele Waffen und schweres Material zurück. Der ukrainische Vorstoß gilt als Etappensieg bei der Rückeroberung besetzter Gebiete, der über die Ukraine hinaus Hoffnungen auf eine militärische Wende nährt.

Am Montag zeigten Fotos, dass ukrainische Soldaten in Sjwatohirsk im Gebiet Donezk sind. Der Anführer der aus Moskau gesteuerten Separatisten von Donezk, Denis Puschilin, bestätigte Kämpfe um die Stadt, die ein wichtiges orthodoxes Kloster hat. «Swjatohirsk, das sage ich ganz ehrlich, wird derzeit weder von uns noch vom Feind vollständig kontrolliert», sagte er in einer Videobotschaft. Zu überprüfen waren die Angaben zunächst nicht.

Puschilin bestätigte auch einen ukrainischen Angriff auf den Flughafen von Donezk. Die Angreifer seien vernichtet worden, sagte er, was ebenfalls nicht zu überprüfen war. Erste ukrainische Berichte über die Attacke hatten am Samstag die Runde gemacht.

Auf dem 2014 zerstörten Flughafen verlief seit damals die Front zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee. Ein Angriff dort wäre das erste Vorrücken der Ukrainer auf Gebiet der sogenannten Volksrepublik Donezk, seit Russland das Nachbarland am 24. Februar überfallen hat.

Gibt Russland auf? Putin schickt keine weiteren Einheiten in die Ukraine

In einem Facebook-Post hat der führende Generalstab der ukrainischen Streitkräfte mitgeteilt, dass das russische Militärkommando die Entsendung weiterer bereits formierter militärischer Einheiten in die Ukraine eingestellt habe.

Der Grund dafür sei, dass sich eine sehr große Zahl von “Freiwilligen” schlichtweg weigere, in der russischen Armee zu kämpfen. Diese Situation wurde unter anderem durch das Misstrauen gegenüber den militärischen Vorgesetzten ausgelöst. Auch die giantische Zahl der tatsächlich Gefallenen auf russischer Seite sei ein weiterer Grund für die Massen-Verweigerungen.

“Die Situation verschlechtert sich wegen der allgemeinen Haltung gegenüber den eigenen Verwundeten. Insbesondere in den russischen Krankenhäusern werden die Diagnosen und die Art der Kampfverletzungen absichtlich vereinfacht, und es wird nicht ausreichend Zeit für Rehabilitation eingeräumt, um Soldaten schnell wieder in die Kampfzone zu bringen”, ist in der Nachricht des ukrainischen Generalstabs zu lesen. Bislang wurden die Äußerungen von russischer Seite weder bestätigt noch dementiert.

US-Außenminister: Bedeutende Fortschritte der Ukraine

US-Außenminister Antony Blinken hat der Ukraine bedeutende Fortschritte in der militärischen Offensive gegen russische Truppen bescheinigt.

«Wir haben eindeutig bedeutende Fortschritte bei den Ukrainern gesehen, insbesondere im Nordosten», sagte Blinken bei einer Pressekonferenz in Mexiko. Der Erfolg sei einerseits der Unterstützung der USA und vieler anderer Länder zu verdanken, etwa durch bereitgestellte Ausrüstung. Vor allem aber sei er «ein Produkt des außerordentlichen Mutes und der Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte und des ukrainischen Volkes».

Teilabzug russischer Truppen

Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven hatte Russlands Verteidigungsministerium am Wochenende mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn den Abzug eigener Truppen aus der Region Charkiw im Nordosten bekanntgegeben. Nach Angaben Kiews zogen sich russische Truppen auch aus Teilen des südlichen Gebiets Cherson zurück. Unabhängig überprüft werden konnten diese Angaben nicht.

Es sei noch zu früh, um zu sagen, wie sich die Lage weiterentwickeln werde, fügte Blinken hinzu. «Die Russen haben in der Ukraine weiter sehr umfangreiche Streitkräfte sowie Ausrüstung, Waffen und Munition.» Sie setzten diese auch gegen Zivilisten und zivile Infrastruktur ein. «Aber ich denke, es ist ermutigend, die Fortschritte zu sehen, die die Ukraine gemacht hat.» Das Vorgehen der Ukraine sei systematisch geplant gewesen und habe ein konkretes Ziel verfolgt: «Das Land zurückzuerobern, das durch die russische Aggression besetzt wurde.»

Das Verhalten Russlands habe auch steigende Energie- und Lebensmittelpreise verursacht und so zu Problemen in der ganzen Welt geführt, sagte Blinken. «Russland hat diese Aggression begangen. Ich denke, angesichts des Preises, den es dafür zahlt, kann und sollte es damit aufhören.»

London: Führende Teile der russischen Armee enorm geschwächt

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste sind führende Einheiten der russischen Armee durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine enorm geschwächt. Insbesondere in der Anfangsphase des Krieges habe es schwere Verluste gegeben, von denen sich die Truppen nicht erholt hätten, hieß es im Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Betroffen sei etwa die Erste Gardepanzerarmee. Teile dieser Einheit, die zu den prestigeträchtigsten des russischen Militärs gehöre, hätten sich in der vergangenen Woche aus der Region Charkiw zurückgezogen.

https://twitter.com/DefenceHQ/status/1569550041194405890?s=20&t=CrdRDo7UDuRsDTkDb2i3vw

Im Fall eines Krieges gegen die Nato sei vorgesehen, dass die Erste Gardepanzerarmee eine führende Rolle übernehme. Durch die Verluste sei die konventionelle Kampfstärke Russlands gegen die Nato jedoch deutlich geschwächt. Es werde Jahre dauern, um diese wieder aufzubauen, hieß es von den Briten.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar jeden Tag Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Selenskyj will schneller stärkere Flugabwehr

Die Hilfe internationaler Partner für die Ukraine müsse aufgestockt werden, forderte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. «Gemeinsam können wir den russischen Terror überwinden.»

Russische Raketentreffer auf ein Kraftwerk bei Charkiw hatten am Sonntagabend große Teile des Stromnetzes in der Ostukraine zeitweise lahmgelegt. «Hunderttausende Ukrainer fanden sich im Dunkeln wieder – ohne Strom. Häuser, Krankenhäuser, Schulen, kommunale Infrastruktur», sagte Selenskyj. «Russische Raketen treffen genau jene Objekte, die absolut nichts mit der Infrastruktur der Streitkräfte unseres Landes zu tun haben.» Er deutete den Beschuss als Rache für den Vormarsch der ukrainischen Armee im Gebiet Charkiw.

Deutschland hat der Ukraine das moderne Luftabwehrsystem Iris-T zugesagt. Die Ukraine hofft auf eine schnelle Lieferung. Nach ukrainischen Berichten soll die erste Einheit Ende des Jahres geschickt werden.

AKW Saporischschja wieder besser mit Strom versorgt

Das von russischen Truppen besetzte AKW Saporischschja in der Ukraine ist inzwischen wieder an zwei Reservestromleitungen angeschlossen. So könne eine Leitung das Kühlsystem der abgeschalteten Reaktoren versorgen, die zweite sei in Reserve, teilte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien am Montagabend mit. Der sechste und letzte Reaktor sei heruntergefahren worden und benötige nun weniger Strom zur Kühlung.

Trotzdem bleibe die Lage am größten Kernkraftwerk Europas mitten im Kampfgebiet prekär, warnte IAEA-Chef Rafael Grossi. Die vier Hauptleitungen seien zerstört, das Kraftwerk liefere keinen Strom. «Eine nukleare Schutz- und Sicherheitszone ist dringend erforderlich», mahnte er. Er habe darüber die ersten Konsultationen mit allen Beteiligten geführt.

Das wird am Dienstag wichtig

In Deutschland wird weiter über die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern an die Ukraine gestritten. Der Druck von Grünen und FDP wächst, auch wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag noch einmal die Beschränkung auf Artillerie und Flugabwehr betonte. Es bleibe dabei, «dass es keine deutschen Alleingänge gibt», sagte Scholz in Berlin. Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) warnte davor. SPD-Chefin Saskia Esken schloss die Lieferung von Kampfpanzern nicht aus, pochte aber auf internationale Abstimmung.

Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner plädierte für zusätzliche Unterstützung. «Vor der Tapferkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer muss man salutieren. Wir müssen jeden Tag prüfen, ob wir noch mehr tun können, um ihnen in diesem Krieg beizustehen», schrieb Lindner auf Twitter. «Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.»

Auch Robin Wagener (Grüne), Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag, forderte mehr Unterstützung: «Unsere Freiheit wird nicht auf den Gefechtsübungsplätzen der Bundesrepublik, sondern an der Front in der Ukraine verteidigt.»

Auf der deutschen Lieferliste stehen bisher der Flugabwehrpanzer Gepard, die Panzerhaubitze 2000, Mehrfachraketenwerfer und das Flugabwehrsystem Iris-T sowie weitere Waffen und Munition.

dpa, bh
Quellen: t-online.de