Bergwanderer geraten durch wenig Wissen, Kondition und Umsicht in gefährliche Situationen. Ehrgeiz, Egoismus und Leichtsinn führen zu riskantem Verhalten.
Leichtsinn in den Bergen: Unbedacht unterwegs und in höchster Not
Wenig Wissen, wenig Kondition, wenig Umsicht: Immer wieder geraten Bergwanderer in höchste Not, weil sie zu unbedacht unterwegs sind. Der Deutsche Alpenverein (DAV) registriert eine «Zunahme von leichtfertigem Verhalten», wie Stefan Winter vom DAV der Deutschen Presse-Agentur sagt.
Ein unglaubliches Beispiel: Ein Tourist aus den Niederlanden wollte 2024 mit seiner acht Jahre alten Tochter in Kärnten in Österreich einen Klettersteig bewältigen. Er band ihr ein Seil um den Bauch und befestigte daran einen Kleiderbügel aus Draht. Mit dem gebogenen Ende sollte sie sich im Führungsseil einhängen. «Das war nur für die Psyche, meine Tochter klettert gut», rechtfertigte sich der Vater, als beide in Not gerieten und gerettet werden mussten.
Ehrgeiz und Egoismus
Was macht die Menschen für die Gefahren in den Bergen so blind? Ehrgeiz und Egoismus, sagt Richard Lehner, Bergführer und -retter aus Zermatt. Die Leute wollten heute in kürzerer Zeit mehr erleben als früher und bereiteten sich schlechter vor. «Da wird eine Tour auf Biegen und Brechen durchgeführt», sagt er. Der Handy-Empfang praktisch überall erhöhe die Risiko-Bereitschaft. «Im Hinterkopf haben die Leute: Wenn es nicht mehr geht, rufe ich an, dann kommt der Hubschrauber und holt mich raus.»
Das ist jedoch nur teilweise richtig. Das Mobiltelefon funktioniert tatsächlich nicht überall und der Hubschrauber kann nicht bei jedem Wetter fliegen. Dennoch sind die Voraussetzungen für eine Tour ohne Alptraum gut.
Soziale Medien und Infos aus dem Internet
Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern, betont, dass die Qualität der Ausrüstung, die Verfügbarkeit von Informationen wie Wegbeschreibungen und die Wettervorhersagen heute besser sind als je zuvor. Nicht alle sind jedoch in der Lage, angemessen mit diesen Informationen und der Ausrüstung umzugehen. Rolf Sägesser, Ausbilder beim Schweizer Alpen-Club und selbst Bergführer, warnt davor, dass die Möglichkeit, Touren heute leicht mit Apps zu planen und herunterzuladen, ohne sich ausreichend mit dem Weg und den Bedingungen auseinanderzusetzen, zu Leichtsinn führt.
Zudem verleiteten Bilder in sozialen Medien, die Mega-Erlebnisse bei bestem Wetter suggerieren, manche zu dem Wunsch: «So will ich auch aussehen». Sägesser berichtet weiter: «Ich sehe Leute, die sich in den Bergen herumtummeln und ihre Fähigkeiten nicht richtig eingeschätzt haben.» Sie kämen schnell an ihre Grenzen. Wenn das Bauchgefühl sage, etwas stimme nicht, seien diese Warnzeichen ernstzunehmen, rät Klaus Drexel von der Bergrettung in Vorarlberg. Besonders heikel sei «falscher Stolz».
Gefährlicher Trend
Ampenberger beobachtet einen besorgniserregenden Trend: Auch nach Feierabend wollen viele Leute auf den Berg. Zwischen 18.00 Uhr abends und 06.00 Uhr morgens hat die Anzahl der Einsätze seit Jahren zugenommen. Im Sommer 2024 mussten die Retter bei etwa 480 von insgesamt 3640 Einsätzen in dieser Zeit ausrücken. In ungefähr 15 Prozent der Fälle hatten sich Menschen verirrt, waren in schlechtes Wetter geraten oder hatten sich schlichtweg nicht mehr getraut, weder vorwärts noch rückwärts zu gehen.
In der Schweiz gerieten im vergangenen Jahr 3570 Menschen in Bergnot. «Auffällig ist die Zunahme von blockierten und unversehrt geretteten Personen, besonders beim Bergwandern», so der Schweizer Alpen-Club. In Tirol in Österreich mussten die Bergretter seit Anfang Mai 2025 schon rund 700 Mal ausrücken. Österreichweit gibt es mehr als 13.000 ehrenamtliche Bergretter.
Der Leiter der Alpinpolizei Tirol, Viktor Horvath, sagt, dass viele Berggänger zu viel Gepäck mitnehmen. Wenn der Rucksack groß und schwer ist, ist es einfacher, das Gleichgewicht zu verlieren, zu stolpern und früher erschöpft zu sein.
Unter Umständen bleiben gerettete Berggänger auf hohen Kosten sitzen – je nach Versicherung und Lage des Falles. «Speziell, wenn der Hubschrauber unterwegs ist, können die Kosten schnell mehrere tausend Euro pro Einsatz betragen», sagt Ampenberger von der Bergwacht Bayern.
Einige krasse Fälle
2025: Ein Bergsteiger verirrt sich im Juli alleine unangeseilt im Nebel auf dem Weg zur Zugspitze. Er fällt zehn Meter kopfüber in eine Gletscherspalte, als er in steiles Gelände gerät. Durch das rechtzeitige Aufreißen des Nebels sieht ein anderer Bergsteiger den Mann in der Spalte verschwinden und alarmiert die Bergwacht, wodurch er gerettet werden kann.
2025: Eine 48-jährige Frau und ihre 13-jährige Tochter planen im Montafon in Österreich einen Klettersteig zu bewältigen. Laut Polizei sind beide völlig unerfahren. Nach einigen Stunden haben sie nur 100 Höhenmeter geschafft, stecken fest und geraten in Bergnot.
2025: Auf der Monte Rosa Hütte auf 2883 Metern bei Zermatt in der Schweiz macht Lehner sich Sorgen um einen vermissten Vater mit zwei Kindern. «Wir haben ihn mit Ferngläsern entdeckt, kontaktiert und Hilfe angeboten, aber er wollte nicht», berichtet er. Völlig erschöpft kommen Vater und Kinder, etwa acht und zwölf Jahre alt, nach zwölf statt der üblichen vier Stunden Aufstieg an. Der Vater will tags darauf mit den Kindern auf demselben Weg wieder absteigen. «Ich habe ihm gesagt: Sie können alleine gehen, für die Kinder bestelle ich den Hubschrauber», sagt Lehner.
2022: Ein Mann hängt stundenlang kopfüber am Seil am Matterhorn. Er ist auf 4200 Metern Höhe gestürzt, trägt Laufschuhe statt Bergschuhen und ist leicht bekleidet. Aufgrund des windigen und nebeligen Wetters in der Nacht ist eine Rettung nicht möglich. Am nächsten Morgen wird der Mann von einem Retter mit einem Seil an einem Hubschrauber geborgen.
Im Jahr 2022 mussten 99 Schüler und acht Lehrkräfte aus dem Raum Ludwigshafen im Kleinwalsertal in Österreich teils per Hubschrauber aus Bergnot gerettet werden. Sie hatten versucht, ohne passende Schuhe und Bekleidung über den schmalen, 1794 Meter hohen Heuberggrat zu wandern. Die Route wurde von einem Lehrer im Internet ausgesucht, erwies sich jedoch als viel zu schwer.
2020: Eine Frau will von der Monte Rosa Hütte aus in kurzer Hose über einen Gletscher gehen. «Wir haben sie gewarnt, man soll nie alleine über einen Gletscher gehen, da gibt es zu viele Spalten», sagt Lehner. Prompt stürzt die Frau 20 Meter in eine Spalte. Erst zwei Tage später hört eine Bergsteigergruppe zufällig ihre Hilferufe. «Wir haben sie gerettet, ein Wunder, dass sie überlebt hat», sagt der Bergführer.