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Die Freiheit des Oberkörpers: Warum Männer oben ohne gehen

Im Sommer zeigen sich Männer gerne ohne Shirt, um Fitness und Tattoos zu präsentieren. Doch die Geschlechterkluft bleibt bestehen, während Frauenkörper stärker kontrolliert werden.

Angesagt bei jungen Männern: das klassische weiße T-Shirt. Aber auch: zeigen, was man hat. Blanke Brust? Tattoos? Waschbrettbauch? (Archivbild)
Foto: Clara Margais/dpa

Joggen Twens im Park, der Radfahrer an der Hauptstraße und der ältere Nachbar beim Gassigehen – wenn es warm wird, ziehen einige Männer einfach ihr Shirt aus. Männer oben ohne sieht man im Sommer nicht mehr nur im Freibad, am Strand oder auf Baustellen. Doch bei nackten Oberkörpern besteht weiterhin eine Geschlechterkluft (Gender-Gap).

«Ich weiß, dass mir viele gleich Narzissmus unterstellen oder mich als toxisches Alphamännchen sehen, wenn ich mein T-Shirt ausziehe», sagt am Mainufer in Frankfurt ein Mittzwanziger. Er mache das nur gelegentlich, um nicht allzu viel Augenrollen abzubekommen. Man gelte schnell als Sexist, der sein männliches Privileg nicht hinterfrage, meint der offenherzige junge Mann.

Im Gegensatz dazu sind viele Männer im Internet schamloser – man könnte auch sagen: weniger reflektiert. #Shirtlessmen oder #shirtlessguys sind beliebte Hashtags. Auch Prominente wie die Outdoor-Brüder Zac und Dylan Efron inszenieren sich dort gerne mit freiem Oberkörper – zum Beispiel beim Golfspielen.

Der entblößte Oberkörper von Männern kann auch Teil der Popkultur sein: Denken Sie an Iggy Pop oder an das aktuelle Albumcover des amerikanischen Popstars der Stunde, Benson Boone. Im Sport kann das Ausziehen des Oberteils auch ein Zeichen des Triumphs sein. Einige Profifußballer können es nicht lassen, sich das Trikot beim Torjubel abzustreifen – obwohl das verboten ist.

«No Shirt, no Service»

Gleichzeitig gibt es in den westlichen Gesellschaften einen Trend zur Awareness und zu Schutzräumen (safe spaces), in denen sich alle Menschen sicher vor Übergriffen oder Diskriminierung fühlen können sollen. Bei politisch bewussten Festivals oder Popkonzerten hat das etwa zu einer «No Shirt, no Service»-Kultur geführt. Sprich: Wer kein Shirt trägt, wird nicht bedient. 

Schließlich ist es Frauen nicht gestattet, einfach oben ohne herumzulaufen. Der Grund dafür ist auch die Rücksichtnahme darauf, dass es für andere unangenehm sein kann, an schweißnassen Rücken und Bäuchen vorbeizugehen. Aus Solidarität sollten daher auch Männer ihr T-Shirt einfach anbehalten.

«Der v-förmige und muskulöse Oberkörper mit flacher Brust ist neben dem Bart eines der körperlichen Merkmale, bei denen sich Männer und Frauen unterscheiden», sagt die Psychologin Ada Borkenhagen. «Und für viele Frauen und auch Männer ist ein männlicher Oberkörper durchaus sexy.» 

Ohne Shirt kommen Gym-Arbeit und Tattoos besser zur Geltung

In der Männermode sei der Oberkörper schon oft hervorgehoben worden. «Wurden die breiten Schultern zum Beispiel in den 80ern mit Schulterpolstern oder in den 90ern durch ein Muskelshirt betont, geht es 2025 oft deutlich freizügiger zu – sei es im Park, auf Festivals oder auf Partys. Man könnte sagen: Der freie männliche Oberkörper ist jetzt selbst eine angesagte Mode.»

Sobald es heiß werde, zeigten sich in erster Linie trainierte Männer gern oben ohne. «Denn erst ohne Shirt lässt sich die harte Fitnessarbeit am eigenen Body so richtig in Szene setzen», sagt die Professorin und Buch-Autorin Borkenhagen («Bin ich schön genug? Schönheitswahn und Body Modification»). «Und auch Tattoos kommen so am besten zur Geltung.»

Manchmal ist es für Jungs auch wichtig, Tanlines zu bekommen, sodass der Oberkörper und die Beine gut gebräunt sind, im Gegensatz zum Schambereich und Po, die weiß bleiben. Auf diese Weise folgen sie quasi den Bikinistreifen der Frauen. Einige Leute betrachten Bräunungsstreifen im Jahr 2025 tatsächlich als Schönheitstrend – eine Art 80er-Nostalgie.

Psychologin Borkenhagen sagt, Aktivistinnen und Aktivisten, die für geschlechtsneutrale Körper eintreten, sei ein entblößter Männer-Oberkörper ein Dorn im Auge. «Denn im Gegensatz zur weiblichen Brust, die in unserer Kultur ein sexualisiertes Geschlechtsmerkmal ist, darf die männliche Brust eben sehr viel freizügiger gezeigt werden.» 

Frauenkörper stehen im Gegensatz dazu unter stärkerer gesellschaftlicher Beobachtung und sozialer Kontrolle. Die Sexualisierung der weiblichen Brust führt häufig dazu, dass Frauen übergriffiges Verhalten und unerwünschte Aufmerksamkeit erleben – auch schon bei enger Kleidung oder Dekolleté.

Haben nun Männer oder doch Frauen mehr Mode-Freiheit?

Auch Männer haben gewisse Grenzen. Selbst in Bus oder Bahn würde ein attraktiver Halbnackter Anstoß erregen – erst recht im Restaurant, Büro oder bei einem Business-Meeting.

Die Psychologin Ada Borkenhagen meint dennoch: «Generell haben Frauen in unserer Kultur vielleicht sogar mehr Freiheit bei der Bekleidung und sonstigen Verzierung des Körpers. Sie können freier zwischen Röcken, Kleidern, Hosen oder bauchfreien Tops wählen. Bei Männern wird bei einem Rock oder bauchfreien Look dagegen immer noch meist komisch geguckt.» 

Deshalb ihre vielleicht provokante Frage: «Sollten wir zeigefreudigen Männern nicht ihren nackten Oberkörper gönnen?»

dpa