Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Steigende Zahl männlicher Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland

Immer mehr Männer suchen Hilfe in staatlich finanzierten Gewaltschutzeinrichtungen. Die Dunkelziffer bei männlichen Betroffenen wird als hoch eingeschätzt.

Bislang gibt es nur in wenigen Bundesländern Gewaltschutzeinrichtungen für Männer.
Foto: Andreas Arnold/dpa

Aufgrund von stereotypen Rollenbildern mag seine Geschichte viele Menschen überraschen, sagt René Pickhardt. Denn Pickhardt hat eigenen Angaben zufolge emotionale, körperliche und sexualisierte Gewalt von einer Frau erfahren, seiner Ex-Partnerin. Das war vor etwa zehn Jahren. «Die Folgen der Gewalt waren für mein Leben natürlich gravierend», sagt der 40-Jährige, der heute für die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) von seinen Erfahrungen berichtet, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Staatlich finanzierte Gewaltschutzeinrichtungen gab es damals noch nicht. «Dadurch habe ich mich im Stich gelassen gefühlt und war auch sehr verzweifelt.»

Der Fall Pickhardt ist ein Beispiel für ein Thema, das der Verein lange Zeit übersehen hat: männliche Opfer häuslicher Gewalt. Damals gab es kaum Anlaufstellen für den Mathematiker, aber mittlerweile wächst das Netz an Unterstützungsangeboten. In Deutschland gibt es derzeit 17 staatlich finanzierte Gewaltschutzeinrichtungen für Männer. Im Jahr 2024 suchen immer mehr Männer dort Hilfe, wie die Nutzungsstatistik für Männerschutzeinrichtungen zeigt, die von der BFKM in Berlin präsentiert wurde.

Deutlich mehr Männer suchen sich Hilfe

751 Männer haben sich demnach im Jahr 2024 bei einer solchen Einrichtung gemeldet. Das sind rund 41 Prozent mehr als im Jahr 2023 mit 533 Hilfesuchenden. Vor allem Frauen seien von häuslicher Gewalt betroffen, sagt BFKM-Sprecherin Annalena Schmidt, aber eben auch ein «nicht zu unterschätzender Teil männlicher Personen.» Laut dem Lagebild zur häuslichen Gewalt des Bundeskriminalamts (BKA) waren vergangenes Jahr rund 70 Prozent der Betroffenen weiblich und gut 30 Prozent männlich. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus – bei allen Betroffenengruppen.

Von den 751 Hilfesuchenden fanden laut Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz 126 Männer Schutz in einer Einrichtung. 256 Schutzsuchende wurden aufgrund von Platzmangel abgelehnt. 134 Männer nahmen ausschließlich das Beratungsangebot in Anspruch. Die restlichen Männer konnten oder wollten nach dem ersten Kontakt keine weiteren Angebote nutzen.

Großteil berichtet von psychischer Gewalt

Laut den Angaben handelte es sich in sieben von zehn Fällen um Partnerschaftsgewalt in den Einrichtungen. Etwa ein Viertel der Bewohner wurde Opfer von Gewalt innerhalb der Familie. In ungefähr sechs Prozent der Fälle wurde Gewalt aus dem sogenannten weiteren sozialen Nahraum verübt, zum Beispiel durch Mitbewohner, Nachbarn oder Freunde. Frauen waren in zwei Dritteln aller Fälle die Täterinnen. Der jüngste Bewohner in den Schutzeinrichtungen war 18 Jahre alt, der älteste 82.

Die meisten der 126 Männer gaben an, dass sie mehr als eine Form von Gewalt erlebt haben. Laut ihren eigenen Angaben haben rund 88 Prozent psychische Gewalt erlebt. Etwa 71 Prozent berichten von körperlicher Gewalt, während etwa acht Prozent von sexualisierter Gewalt berichten.

Schwächen passen nicht zu stereotypen Rollenbildern

Viele Männer, die häusliche Gewalt erfahren, spielten die Situation herunter, sagt Krisenberater Tobias Schiefer vom SKM Bundesverband. Sie hätten stereotype Rollenbilder im Kopf, etwa dass ein Mann stark sein müsse und keine Schwäche zeigen dürfe. Schiefer erläutert: «Es ist schwierig zu sagen, ich bin Betroffener von Gewalt. Das bedarf Mut, egal welches Geschlecht.»

In die Statistik wurden die Daten von 14 Einrichtungen mit insgesamt 48 Plätzen aufgenommen. Im Jahr 2024 gab es deutschlandweit zwölf Einrichtungen mit 44 Plätzen speziell für Männer und drei geschlechtsunabhängige Einrichtungen mit fünf Plätzen. Kinder können teilweise mitgebracht werden. Die Einrichtungen befinden sich in Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, hauptsächlich in Großstädten. In diesem Jahr sind zwei neue Einrichtungen in Hamburg und Hannover dazugekommen. Diese befinden sich in Hamburg und Hannover.

«Männer brauchen mehr Anlaufstellen in Deutschland»

Das Angebot reiche nicht, sagt BFKM-Sprecherin Schmidt. «Männer brauchen mehr Anlaufstellen in Deutschland», fordert sie. Jeder Mensch dürfe und sollte sich Hilfe suchen können und verdiene Schutz.

Der Bundesrat hat zu Beginn des Jahres dem Gewalthilfegesetz zugestimmt, das Frauen und ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gewährt. Länder werden somit in Zukunft dazu verpflichtet sein, ausreichend Schutz- und Beratungsangebote bereitzustellen – bisher nur für Frauen.

Pickhardt und die BFKM kritisieren das. «Wir dürfen die Männer nicht vergessen», sagt Pickhardt. «Ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin und deswegen ist es so wichtig, dass es flächendeckende Hilfsangebote und Opferschutz für alle Betroffenen, unabhängig von ihrem Geschlecht, gibt», sagt der 40-Jährige. Gemeinsam mit der BFKM fordert er, dass das Gesetz geschlechtsneutral formuliert wird.

Einen kleinen Erfolg hat Pickhardt durch sein Engagement bereits erzielt. Auf sein Wirken hin hat die Polizei Rheinland-Pfalz vor einigen Jahren einen Hinweis für Gewaltbetroffene auf ihrer Website angepasst. Aus «Täter» wurde «die Gewalt ausübende Person». Und anstatt nur auf Frauenhäuser weist die Polizei seitdem auch auf Gewaltschutzeinrichtungen für Männer hin.

dpa