Eine junge Frau wird 2007 in Norditalien brutal getötet. Der Fall wühlt nun wieder das Land auf. Offenbar gibt es wichtige neue Erkenntnisse. Saß ein Mann jahrelang unschuldig im Gefängnis?
Mordfall hält Italien in Bann – Justiz-Wende nach 18 Jahren?

Chiara Poggi liegt blutüberströmt am Fuße der Kellertreppe in ihrem Elternhaus in der Nähe von Mailand. Im Jahr 2007, im Alter von 26 Jahren, wurde sie mit einem harten Gegenstand getötet. Das Verbrechen erschüttert Italien. Ihr damaliger Freund Alberto Stasi wird nach einem langen Prozess in allen Instanzen als Täter verurteilt und muss ins Gefängnis.
Doch jetzt sorgt der Fall erneut für Aufregung in der italienischen Öffentlichkeit. Die Carabinieri und die Staatsanwaltschaft haben ihre Ermittlungen wieder aufgenommen. Es gibt neue Hinweise. Und zumindest einen neuen Verdächtigen. Möglicherweise ist in einem kleinen Bach auch die seit Beginn vermisste Tatwaffe aufgetaucht.
Alberto Stasi hatte jahrelang vergeblich seine Unschuld beteuert. Steht der Mordfall Poggi nun vor einer spektakulären Wende?
Gleichzeitige Vernehmungen – doch der Hauptverdächtige fehlt
Drei lang ersehnte Anhörungen waren geplant: Stasi selbst, Poggis jüngerer Bruder Marco sowie dessen Jugendfreund Andrea S. wurden diese Woche zeitgleich von Staatsanwälten vorgeladen. Dutzende Journalisten warteten am Dienstag in Pavia – einer Stadt südlich von Mailand – und in Venedig, um die drei Männer oder deren Anwälte für Kommentare abzufangen.
Der Schwerpunkt lag hauptsächlich auf dem Freund des Bruders: Gegen ihn wird seit einigen Wochen offiziell ermittelt. Trotzdem erschien er nicht zur Befragung in Pavia. Auch seine Anwälte waren abwesend. Sie argumentierten, dass die Vorladungen der Strafverfolger fehlerhaft seien.
Wenig später sorgte ein Bericht des Senders Rai für Aufsehen, in dem Ermittler Fingerabdrücke vom Tatort der Leiche von Andrea S. zuordnen konnten. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Spur am Mittwoch offiziell. Die Zuordnung wurde durch den Einsatz neuer forensischer Technik ermöglicht – sowohl in der Software- als auch in der Hardwareanalyse.
«Wir sind gerade dabei, die Geschichte neu zu erzählen», sagte Antonio De Rensis, Stasis Anwalt, vor Journalisten und Kamerateams. «Wir haben von Anfang an Vertrauen in die Ermittlungen gehabt und tun dies weiter, und das sogar immer mehr.» Sein Mandant, der inzwischen als Freigänger das Gefängnis auch verlassen kann, sei entspannt, ergänzte der Jurist.
Ein Urteil mit Fragezeichen
Der Weg zur Verurteilung des heute 41-jährigen Stasi war bereits juristisch schwierig. Nach dem Verbrechen am 13. August 2007 in Garlasco wurden ihm zunächst zwei Instanzen wegen fehlender Beweise freigesprochen. Das Urteil wurde jedoch vom obersten Gerichtshof aufgehoben und ein neuer Prozess mit erneuter Beweisprüfung angeordnet. Dort erfolgte die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung. Im Dezember 2015 bestätigte der oberste Gerichtshof endgültig das Urteil von 16 Jahren Haft. Stasi wurde ins Gefängnis geschickt.
Er versicherte immer wieder seine Unschuld. Er erklärte, dass er Chiara leblos in ihrem Haus vorgefunden habe. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Familie im Urlaub. Man glaubte ihm nicht.
Trotz der großflächigen Verschmierung der Wohnung mit Blut fanden sich keine Rückstände an seinen Schuhen. Das Gericht deutete dies als Hinweis darauf, dass Stasi seine Schuhe sorgfältig gereinigt hatte. Außerdem wurde an einem Seifenspender am Tatort ein Fingerabdruck von ihm gefunden – ein Hinweis darauf, dass er sich die Hände gewaschen hatte. Es gab auch eine Zeugenaussage, dass Stasis Fahrrad zum Zeitpunkt des Verbrechens am Haus des Opfers gelehnt war.
DNA-Spuren und neue Fragen
Im Dezember 2016 reichte es nicht aus, das Verfahren neu zu eröffnen, als unter den Fingernägeln von Chiara Poggi eine DNA-Spur einer anderen Person gefunden wurde. Die Staatsanwaltschaft hat nun mehrere Personen angewiesen, DNA-Proben abzugeben, darunter Andrea S. und zwei Zwillingsschwestern, die Cousinen der Toten waren. Neueste Analysemethoden könnten nun jedoch eine Veränderung herbeiführen.
Es wird offiziell nur gegen Andrea S. ermittelt – was italienische Medien jedoch nicht daran hindert, auch das Privatleben der anderen zu untersuchen, Sprach- und Chatnachrichten sowie Bilder von Überwachungskameras zu veröffentlichen. Die Familie von Chiara Poggi äußerte, dass sie enttäuscht sei von den Entwicklungen und für sie stehe der wahre Täter – also Stasi – seit Jahren fest. Auch Marco Poggi, der Bruder der Verstorbenen, betonte bei der Befragung laut seines Anwalts, dass sein Freund Andrea S. nichts mit der Straftat zu tun habe.
Ist die Tatwaffe gefunden? Und überführt sie den Täter?
Dass jüngst ein neuer Zeuge – in den Medien ist von einem «Superzeugen» die Rede – auftauchte und die Ermittler nun auffallend schnell vorzugehen scheinen, erhärtet den Verdacht, dass sie eine heiße Spur haben. Es könnte sich um die Fingerabdrücke vom Tatort handeln, die den Experten bis jetzt nicht aufgefallen waren und der eindeutig Andrea S. zuzuordnen seien, wie es hieß.
Es gab viele Pannen bei den Ermittlungen. Die Tatwaffe wurde jahrelang vergeblich gesucht, aber jetzt könnte sie gefunden worden sein. Kürzlich gab es in dem Örtchen Tromello in der Nähe von Garlasco einen Einsatz: Ein kleiner Bach wurde gestaut, um nach etwas zu suchen. Laut Medienberichten entdeckten die Behörden einen Hammer und andere Metallgegenstände im Wasser. Der Bach fließt genau hinter dem Haus, in dem die Großmutter der Cousinen von Chiara Poggi lebte.