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Palliativarzt vor Gericht – 15 Patienten getötet?

Ein Berliner Palliativmediziner steht im Verdacht, Patienten getötet zu haben. Wegen 15 Fällen kommt er nun vor Gericht. Doch es könnte deutlich mehr Opfer geben.

Vor dem Landgericht Berlin beginnt der Mordprozess gegen einen Palliativmediziner. (Symbolbild)
Foto: Monika Skolimowska/dpa

Ursprünglich ging es um vier Patienten. Nun wird der Berliner Palliativarzt verdächtigt, mindestens 15 Menschen getötet zu haben – und die Staatsanwaltschaft Berlin untersucht noch 72 weitere Fälle. Am Montag (9.30 Uhr) beginnt der Prozess gegen den bereits inhaftierten 40-jährigen Arzt. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn des Mordes aus Heimtücke und sonstigen niedrigen Beweggründen.

Als bislang erstes und jüngstes Opfer nennt die 255-seitige Anklage eine 25-Jährige, als ältestes eine 94 Jahre alte Frau. Ohne «medizinische Indikation und ohne deren Wissen und Zustimmung» soll der Mediziner 12 Frauen und 3 Männern in der Zeit von September 2021 bis Juli 2024 jeweils «ein tödliches Gemisch verschiedener Medikamente» verabreicht haben.

Das Landgericht Berlin hat für den Prozess vorerst 35 Verhandlungstermine bis zum 28. Januar 2026 festgelegt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass diese Anzahl nicht ausreicht. Laut Gerichtsangaben sind in dem Verfahren bisher 13 Angehörige von Verstorbenen als Nebenkläger vertreten. Zu jedem Fall gibt es mehrere Zeugen, darunter auch Sachverständige. Insgesamt könnten somit etwa 150 Personen vor Gericht aussagen.

Arzt äußert sich bislang nicht zu Vorwürfen

Der Arzt aus Deutschland wird beschuldigt, die Handlungen während seiner Arbeit für einen Pflegedienst in Berlin begangen zu haben. Palliativärzte unterstützen schwer kranke Menschen, um ihre Schmerzen zu lindern. Der verheiratete Vater eines Kindes hat bisher keine Stellung zu den Anschuldigungen bezogen, wie sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft übereinstimmend erklären.

Auch auf ein Gespräch mit einer psychiatrischen Sachverständigen ließ er sich nicht ein. Die Gutachterin wird das Verhalten des Angeklagten nun vor Gericht beobachten und Angaben von Zeugen hören, um ihre Einschätzung zu Charakter und Schuldfähigkeit des Mannes abzugeben.

Bislang ist unklar, was das Motiv des Palliativmediziners gewesen sein könnte. Die in der Anklage genannten Opfer waren alle schwerstkrank, ihr Tod stand aber nicht unmittelbar bevor. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Mediziner wird in Medienberichten auf die Dissertation des Mannes verwiesen: «Warum töten Menschen?», heißt es in der Promotionsschrift aus dem Jahr 2013, in der er Tötungsdelikte von 1945 bis 2008 in Frankfurt/Main untersucht.

Brände bei Patienten lösen Ermittlungen aus

Die Untersuchungen gegen den Palliativarzt wurden durch Brände ausgelöst, die er angeblich gelegt hat, um Tötungen von Patienten zu vertuschen. Die Polizei ermittelte wegen Brandstiftung mit Todesfolge. Dabei geriet der Angeklagte immer mehr ins Visier. Laut Staatsanwaltschaft haben Hinweise des Pflegedienstes, für den der Beschuldigte gearbeitet hatte, dazu beigetragen.

«Wir waren erschüttert über das Ausmaß der Ermittlungen und sind es auch angesichts der aktuellen Erkenntnisse», teilte die Geschäftsführung des Pflegedienstes bei Anklageerhebung mit. «Wir haben intensiven Anteil an der Aufklärung der Hergänge und kooperieren weiterhin bestmöglich mit der Staatsanwaltschaft.»

Ermittlungsgruppe prüft Hunderte Akten

Eine Ermittlungsgruppe des Morddezernats im Berliner Landeskriminalamt (LKA) wurde speziell für diesen Fall eingerichtet. Sie hat Hunderte von Patientenunterlagen des Mediziners ausgewertet.

Laut Staatsanwaltschaft wurden bisher in 15 Fällen Leichen ausgegraben und forensisch untersucht. Ein Behördensprecher teilte mit, dass noch eine Exhumierung aussteht.

Ermittlungen zu Schwiegermutter nach Kollegenaussagen

Laut Staatsanwaltschaft werden derzeit 72 Fälle überprüft, darunter auch der Tod der Schwiegermutter des Arztes. Berichten von «Stern» und RTL zufolge lebte die Frau in Polen und litt an Krebs. Der Angeklagte soll Anfang 2024 mit seiner Ehefrau zu ihr gereist sein, und an diesem Wochenende sei die Schwiegermutter verstorben.

Medienberichten zufolge haben Kollegen bei der Polizei angegeben, dass der Arzt kurz darauf in einer Teamsitzung seines Pflegedienstes erzählt hat, sie seien nach Polen gefahren und hätten die Schwiegermutter tot gespritzt.

Einer der größten Fälle bundesweit?

Die Staatsanwaltschaft plant im Prozess gegen den 40-Jährigen neben einer Verurteilung die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und eine anschließende Sicherungsverwahrung. Zusätzlich soll der Arzt ein lebenslanges Berufsverbot erhalten.

Bestätigen sich die Vorwürfe, könnte der Fall einer der größten bundesweit sein. Bislang gilt eine Mordserie in Niedersachsen als die wohl größte der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ex-Pfleger Niels Högel wurde 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Motiv für die Taten blieb unklar. Es sei ihm um die «Gier nach Spannung» gegangen, so das Gericht damals. Zuvor war Högel bereits wegen weiterer Morde verurteilt worden.

dpa