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Rainer Langhans zum 85. wunschlos: «Bin ja schon glücklich»

Rainer Langhans steht wie kaum jemand für die 68er-Revolution und sexuelle Befreiung. Eigenwillig ist sein Lebensentwurf, auch im Alter. Ein Leben zwischen Meditation, Krebsdiagnose und drei Frauen.

Rainer Langhans, Ikone der 68er-Bewegung, setzt sich mit dem Sterben auseinander. (Archivbild)
Foto: Felix Hörhager/dpa

Rainer Langhans fährt Fahrrad. Rainer Langhans spielt Tischtennis. Rainer Langhans praktiziert Meditation. Der Alt-68er lebt seit Jahren mit der Diagnose Prostatakrebs – und bereitet sich nach eigenen Worten aufs Sterben vor.

Im März hatten Schlagzeilen aufgeschreckt: Langhans liege im Sterben, war zu lesen. Langhans hat das anders gemeint. «Ich habe mich aufgrund des inneren Weges mit dem Sterben schon lange beschäftigt. Ich übe Sterben, kann man sagen», erläuterte er. Damit gehe es ihm «sehr gut». Am 19. Juni wird er nun 85 Jahre alt.

Sterben, anders betrachtet 

Sein Umgang mit der Krankheit klingt eigenwillig. Über die Krebs-Diagnose «war ich begeistert anstatt erschrocken», sagt er. Meditation bedeute, dass man jeden Tag zu sterben versuche. Der Krebs habe ihm die Chance gegeben, dieses Üben zu intensivieren.

Er wolle Menschen Mut machen, eine Krankheit anzunehmen, sagt der Ex-Kommunarde. Er erlebe gerade, dass sich, «seitdem ich diese Diagnose habe, mein Leben noch mal entschieden verbessert».

Ein besonderes Beziehungsmodell

Mit drei Frauen lebt er im Münchner Stadtteil Schwabing in einer gelegentlich «Harem» genannten Gemeinschaft, wenngleich nicht in einer Wohnung. «Es ist eine Kommune, aber dadurch, dass die Körper nicht zusammenleben, können wir geistig zusammenkommen.»

«Die Frauen» – so nennt er seine drei Lebensgefährtinnen – sind bisher nicht besonders besorgt um ihren Rainer. Auch sie befänden sich auf diesem Weg. «Sterben lernst du nur, wenn du dein Leben positiv interpretierst», sagt Christa Ritter. Sie lebt mit Gisela Getty und Brigitte Streubel im selben Haus in Schwabing, jede aber in ihrer Wohnung. Die Frauen verstehen sich auch untereinander als Gemeinschaft. «Wir inspirieren uns gegenseitig.» Den Begriff «Harem» sehen sie entspannt. Er werde kolonialistisch missverstanden als Unterdrückung der Frauen – was so nicht stimme, sagt Ritter.

Kommune 1: Rebellion gegen das Establishment

In den 1968er Jahren war Langhans an der Gründung der legendären Kommune 1 beteiligt. Die Mitglieder wurden mit ihrem radikalen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum Bürgerschreck. Sie protestierten gegen die Nazi-Generation, den Schah und den Vietnam-Krieg. Ihre Aktionen, angefangen beim Kaufhausbrand-Flugblatt bis hin zum – gescheiterten – Pudding-Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey, sorgten für Schlagzeilen. Besonders für Aufsehen sorgte das Bild der nackten Kommunarden von hinten.

Die Beziehung mit ihm machte damals das Fotomodell Uschi Obermaier bekannt – und zur Ikone. Laut Langhans zerbrach die Beziehung aufgrund unterschiedlicher Ansichten über Sexualität.

Der Slogan gegen Kalten Krieg und Vietnamkrieg «Make love, not war» sei missverstanden worden. Es sei schon in der Kommune 1 um geistige Verbindung gegangen – «geistigen Sex». Wirklich freie Liebe sei von Sex und Körper befreit.

Das Image der sexuellen Revolution blieb jedoch erhalten. Im Jahr 2018 wurde ein mit dem symbolischen Preis von 1.968 Euro dotierter Kunstpreis für ein vergoldetes Schamhaar von Langhans verliehen.

«Apo-Opa» mit radikaler Lebensführung 

Auch wenn er älter wird, bleibt Langhans – Grimme-Preisträger, Autor, Schauspieler und Filmemacher und zuletzt gelegentlich Apo-Opa genannt – in seiner Lebensweise konsequent: vegetarische Ernährung, Spaziergänge, Radfahren, ein wenig Tischtennis, Meditation.

«Artgerechte Haltung» nennt Langhans das. «Ich bin ganz bewusst sehr arm, um nicht gezwungen zu sein, Geld zu verdienen.» Sein Markenzeichen neben der weißen Mähne: weiße Kleidung – weil Weiß alle Farben enthalte.

Zwischen Dschungelcamp und Datentransparenz

2011 nahm er am RTL-«Dschungelcamp» teil. Dafür habe er viel Geld bekommen, das er aber weitestgehend spendete. Es sei ihm um die Kommune-ähnliche Erfahrung gegangen, eine Art Kommune-Trainingsprogramm.

Ein Fremder in dieser Welt

Langhans blieb gelegentlich mit seinen Ansichten allein. Unverstanden oder: nicht von dieser Welt – sein Lebensthema ist auch ein Markenzeichen.

Er wurde als erstes von vier Kindern in Oschersleben bei Magdeburg geboren. Sein Gefühl damals: «Ich gehöre nicht hierher.» Die Eltern konnten damit nicht umgehen, gaben ihn in ein strenges religiöses Internat. Danach ging Langhans erst einmal in eine ganz andere Richtung: Er wurde Zeitsoldat. Das ermöglichte ihm ein Studium. In Berlin studierte er zuerst Jura und dann Psychologie, allerdings ohne Abschluss.

Corona als «Meditationseinheit» für die Gesellschaft

Im «Argumentclub» und im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) fand er Gleichgesinnte. Aus der außerparlamentarischen Opposition (Apo) entstand die Kommune 1.

Dort galt das Motto: «Das Private ist politisch.» Somit propagierte Langhans zuletzt das freizügige Teilen persönlicher Daten im Netz. «Ich gebe meine Daten freiwillig und bekomme dafür Euro», laute der Deal, sagte er zu seinem 80. Geburtstag. Die Corona-Krise sah er als Chance zur inneren Einkehr und «Meditationseinheit» für die ganze Gesellschaft – ebenso wie seine eigene Krankheit. 

«Mensch statt nur Mann»

Er habe derzeit keinerlei Symptome, sagt er. Er habe keine Operation und keine Chemotherapie gewollt, bekomme aber eine Therapie, die das Testosteron palliativ auf Null herunterfahre. «Ich bin chemisch kastriert», sagt er. «Ich bin also überhaupt kein Mann mehr, wenn man so will. Ich bin inzwischen ein Mensch, statt nur ein Mann zu sein.» Auch das sieht er als Chance: Es hebe «über all diese Niederungen der Libido hinaus».

Ohne Wünsche 

Den runden Geburtstag organisieren die Frauen – statt Kaffee und Kuchen soll es tiefere Gespräche geben, sagt Christa Ritter. Langhans selbst sagt, er sei ohne Wünsche: «Ich bin ja schon glücklich – ich wünsche nichts mehr.»

dpa