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Rave in Damaskus – Syrien will tanzen

Techno, Euphorie und ein Hauch von Angst: Das syrische Nachtleben lebt – wenn auch gefährlich. Mittendrin DJ Nuria aus Berlin. Einst geflohen vor Assad, heizt sie nun die Crowd in Damaskus an.

Die in Berlin lebende DJ Nuria legt in Damaskus seit dem Sturz von Machthaber Assad auf.
Foto: Moawia Atrash/dpa

Es ist kurz nach Mitternacht, ein Club mitten in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die Menge ist angeheizt: Eng aneinander tanzen die Gäste zu pulsierenden Techno-Beats, bewegen ihre Hände im flackernden Strobo-Licht und drängen sich dicht um das DJ-Pult. Das Event ist ausverkauft, restlos bis aufs letzte Ticket. Und das, obwohl erst Tage zuvor noch eine tödliche Schießerei in einer nahegelegenen Tanzbar für Angst gesorgt hat. Doch alle warten nur auf die eine, auf DJ Nuria aus Berlin.

Ein Gefühl wie in Berlin

«Das war wirklich ein Traum für mich, ein Set in Syrien zu spielen – unvorstellbar», sagt sie fast unter Tränen. Die gebürtige Syrerin war seit Anfang des brutalen Bürgerkriegs 2011 nicht mehr in ihrem Heimatland. Nun ist sie als gefeierte DJ aus Berlin zurückgekehrt. «Die Crowd war unglaublich», sagt sie. Und das, obwohl ihre Musik speziell sei für das syrische Publikum: «Underground, Hypnotic, Driving Techno», so beschreibt sie es selbst. Es klingt schnell, treibend, experimentell. 

Sie habe sich gefühlt wie in der Techno-Hauptstadt schlechthin, wie in Berlin. In der deutschen Hauptstadt spielt die 32-Jährige regelmäßig in Clubs wie Sisyphos, KitKat oder Kater Blau. Dass sie nun – rund sechs Monate nach dem Umbruch in Syrien – auch in Damaskus zumindest mit einer gefühlten Freiheit auf der Bühne steht, könne sie noch nicht glauben. «Wir konnten in dieser Nacht endlich das leben, worauf wir so lange gewartet haben – unsere Freiheit», sagt sie. «Alle haben sie gelebt und getanzt. Wir hatten keine Angst.»

Im Laufe von mehr als zehn Jahren hat die grausame Regierung des Langzeitmachthabers Baschar al-Assad die eigene Bevölkerung unterdrückt, Hunderttausende Menschen getötet und Millionen weitere zur Flucht gezwungen. Am 8. Dezember wurde Assad von einer Rebellenallianz unter Führung von Islamisten gestürzt.

«Damit die neue Generation noch tanzen kann»

Noch am selben Tag hat sich das Kollektiv Kasata gegründet, das auch die Party mit DJ Nuria geplant hat. Mit-Gründer Philipe Zarif traut auch der neuen Führung in Syrien nicht. Die aktuelle Übergangsregierung geht zum Großteil aus der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hervor, die auch die Allianz gegen Assad anführte. «Ich glaube nicht, dass der Staat will, dass es Nachtleben gibt», sagt er. «Sie sagen ja, aber handeln anders.»

In letzter Zeit sorgten Berichte über bewaffnete Überfälle auf Tanzlokale und Schließungen von Bars für Angst in der Szene. Es gibt keine offiziellen Verbote für den Verkauf von Alkohol oder Partys. Dennoch wurden in letzter Zeit Bars häufig unter dem Vorwand geschlossen, dass kein Alkohol verkauft werden dürfe.

Einschüchtern lassen will sich Zarif, der selbst seit Jahren als DJ unter dem Namen Boshoco in Syrien und im Ausland bekannt ist, nicht: «Es ist Teil meiner Verantwortung, in dieser Zeit dafür zu sorgen, dass die neue Generation noch tanzen kann», betont er. Er und sein Team veranstalteten Partys, weil es einen Mangel gebe. Dennoch sei es riskant. Es grenze in der aktuellen Lage fast an Dummheit, weiter Partys zu planen, sagt er selbst. «Aber eben die gute Art von Dummheit», fügt er mit einem Lachen hinzu.

Es wurde bisher keine direkten Vorfälle mit der neuen Regierung in Syrien bei seinen Veranstaltungen gegeben, aber eine Möglichkeit, für Sicherheit zu sorgen, sei etwa Journalisten oder Videographen einzuladen.

Zwischen Angst und Loslassen

«Ohne Musik hat das Leben keinen Geschmack – es fühlt sich an, als würde etwas fehlen», sagt der 24-jährige John Mortada während des Auftritts von DJ Nuria. Er ist einer der rund 300 Gäste an diesem Abend in der B Bar im Damaszener Viertel Bab Scharki. Solche Partys seien notwendig. Natürlich gebe es Angst, sagt Partygängerin Tatjana Said. «Wir sind nervös, aber wir wollen leben», sagt sie.

Nach allem, was die Syrerinnen und Syrer in den vergangenen fast vierzehn Jahren durchgemacht hätten, sei Musik für die Menschen zu einem Mittel geworden, um Druck abzubauen, sagt Hamza Hamdan. «Musik hilft uns, das alles zu verarbeiten», so der Clubgänger.

«Ehrlich gesagt, bin ich mit Angst hierhergekommen», sagte eine andere Besucherin. Es habe zwar Checkpoints gegeben, Sicherheitskräfte seien unterwegs, aber die Stimmung auf den Straßen habe sich geändert. Es müsste sichere Räume – «safe spaces» – für Menschen geben, die Musik und Partys lieben. «Wir brauchen das, um von all dem loszulassen, was sich in uns angestaut hat.»

Ungewisse Zukunft Syriens

Auch sechs Monate nach dem Sturz des Machthabers bleibt unklar, wie es in Syrien nach Assad weitergeht. Sowohl international als auch im vom Bürgerkrieg geplagten Land selbst sorgen die jüngsten tödlichen Angriffe auf Minderheiten weiterhin für Besorgnis.

Zuletzt wurden Mitglieder der drusischen Minderheit von islamistischen und regierungsnahen Kämpfern angegriffen und viele Menschen getötet. Im März starben Hunderte bei einer Militäroperation der Übergangsregierung, die auf Angriffe von Assad-Anhängern folgte. Die meisten Opfer waren Alawiten, zu denen auch Assad gehört.

«Es ist wichtig, dass wir weitermachen»

Ob es sich zum Positiven oder Negativen entwickle, entscheide sich jeden Tag neu, sagt der Eventveranstalter Zarif. Feststehe für ihn nur eines: «Verlassen werde ich dieses Land nicht. Es sei denn, sie schmeißen mich raus.» Er wolle laut bleiben und den Menschen weiterhin Veranstaltungen bieten. «Es ist wichtig, dass wir weitermachen», betont er.

DJ Nuria war vorerst nur für einen Gig in Damaskus, hat danach in der libanesischen Hauptstadt Beirut aufgelegt und stand schon wenige Tage später wieder an den Turntables in Berlin. «Ich hatte Angst, dass die Menschen Angst haben zu meiner Party in Damaskus zu erscheinen», sagt die DJ. Aber das Gegenteil sei passiert. Sie will nach Syrien zurückkommen, sagt sie. «Spätestens zum 8. Dezember – zum Tag der Freiheit.»

dpa