Ein großer Teil der erwachsenen Bevölkerung hat laut Befragung Mobbing oder Cybermobbing erlebt. Jüngere sind oft Zielscheibe. Was macht das mit Betroffenen und warum werden viele Opfer später Täter?
Schikane im Job, Attacke im Netz – Studie sieht mehr Mobbing

Anonyme Anrufe, Beleidigungen, massive Drohungen – seit vielen Jahren wird Susanne gemobbt. Erst als Jugendliche, dann als junge Erwachsene. Gehässige Bemerkungen und Ausgrenzungen setzten ihr über lange Zeit in der Schule zu, schildert die Kölnerin. Es gab auch «Schikane per Telefon». Tag und Nacht. Seit 2023, nun als Berufstätige, machen ihr Hassmails zu schaffen. «Ich wurde beleidigt, diffamiert, mir wurde mit Mord gedroht. Es wurden auch Aufrufe in Online-Foren erstellt, um mich fertig zu machen.»
Im Internet, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, im Freundeskreis: Mobbing und Cybermobbing nehmen laut einer Studie auch bei Erwachsenen weiterhin erheblich zu und betreffen viele Millionen Menschen in Deutschland. Das Bündnis gegen Cybermobbing berichtet bei der Vorstellung seiner eigenen repräsentativen Umfrage, dass kaum ein Lebensbereich im privaten oder beruflichen Umfeld verschont bleibe.
Die zentralen Ergebnisse mit teils alarmierenden Befunden
Das Bündnis hatte demnach kürzlich 2.300 Personen zwischen 18 und 65 Jahren bundesweit online befragt. Laut Analyse waren 37 Prozent der Befragten schon einmal «klassischen» Mobbing-Attacken ausgesetzt. Das entspreche rund 19 Millionen Menschen in der Altersgruppe und bedeute einen Anstieg um 12,9 Prozent im Vergleich zur letzten Erhebung 2021.
Die Mehrheit der Vorfälle ereignet sich in der Arbeitswelt – etwa 43 Prozent. Eine bedauerliche Feststellung der Umfrage ist auch: Vorgesetzte sind in über der Hälfte der Mobbingfälle am Arbeitsplatz als Täter oder Mittäter beteiligt.
Beim Cybermobbing geht die Studie von mehr als 7,2 Millionen Betroffenen aus. Das sei eine Zunahme um sogar 21,7 Prozent im Vergleich zu 2021. Die meisten Cybermobbing-Opfer sind zugleich auch Opfer von «klassischem» Mobbing. In beiden Mobbing-Problemfeldern verschärfe sich die Situation nun schon seit der ersten Befragung von 2014 stetig weiter, betont der Vorsitzende des Bündnisses, Uwe Leest. «Mobbing ist ein fester Bestandteil in unserer Gesellschaft.»
Die hohe Anzahl von jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre), die von Mobbing betroffen sind, sei besonders alarmierend – darunter ältere Schüler, Azubis oder Lehrlinge. Laut Angaben haben 45 Prozent mit Mobbing und 25 Prozent mit Cybermobbing zu kämpfen. Das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden, nimmt mit steigendem Lebensalter deutlich ab.
Wer sind die Täter und was sind ihre Motive?
Auch die Zahl der Täter steige. Rund 82 Prozent der Täter waren nach eigenen Angaben zuvor schon mal Opfer von Mobbing im Netz oder im realen Leben. «Wir sehen in der Studie, dass immer mehr Opfer zu Tätern werden. Unrecht wird mit Unrecht vergolten», sagt Leest auf dpa-Anfrage.
Bei den jüngeren Erwachsenen zeige sich, dass das gelernte negative Verhalten in Jugend- und Schulzeit häufig übernommen werde ins Arbeitsleben. Ein «erfolgreicher» Täter, der nicht gestoppt wurde, suche sich oft auch mehrere Opfer oder halte nach Mittätern Ausschau. Das «klassische» Mobbing sei auch ein «Gruppenphänomen», heißt es. Das am häufigsten (52 Prozent) von Tätern genannte Motiv war: «weil andere das auch tun». Beim Cybermobbing spielen hingegen direkte Konflikte mit dem Opfer eine stärkere Rolle.
Wie wird Mobbing definiert?
In der Umfrage wird Mobbing als gezielte und systematische Angriffe wie Anfeindungen, Schikane und Diskriminierung definiert – und das wiederholt und über einen längeren Zeitraum. Cybermobbing umfasst Belästigung, Beleidigung, Diffamierung, Bloßstellung oder Nötigung über das Internet – über soziale Netzwerke, E-Mails, Chatrooms, Videos. Eine allgemeingültige Definition für beide Begriffe existiert bisher nicht.
Die Folgen können seelisch und körperlich gravierend sein
Fast die Hälfte der Opfer berichten über Depressionen, schwindendes Selbstwertgefühl und Persönlichkeitsveränderungen. Die Lebensqualität ist oft stark beeinträchtigt. Es können auch körperliche Probleme auftreten. Fast ein Viertel der Betroffenen von Cybermobbing gab an, Suizidgedanken zu haben. All das zeigt sehr deutlich, dass es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt, betont Leest.
Unternehmen schadet das Problem ebenfalls
Der direkte wirtschaftliche Schaden durch Krankheitstage infolge von Mobbing belaufe sich auf rund 4,3 Milliarden Euro im Jahr, schätzen die Studienautoren. Mobbing am Arbeitsplatz senke zudem die Arbeitsleistung, manchmal werde die Stelle gewechselt. Betriebe sollten solche Angriffe schon aus eigenem Interesse angehen. «Unternehmen brauchen eine Sozialcharta.»
Leest unterstreicht: «Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern wir haben ein Handlungsproblem.» Sensibilisierung und Prävention müssten schon in der Schule beginnen. Es sei mehr Unterstützung für Hilfesuchende nötig.
Mit Therapie und Hilfe von Freunden rausgekämpft
Susanne (30) vertraute sich lange Zeit niemandem an. Aus Scham. Sie fühlte sich im eigenen Zuhause nicht mehr sicher. «Das Ganze machte mir große Angst.» Sie kämpfte auch mit Schlafstörungen, innerer Unruhe, zog sich zurück. Erst mit therapeutischer Hilfe ging es allmählich wieder aufwärts. «Mithilfe der Therapie kam ich auch aus der sozialen Isolation heraus und damit erhalte ich auch viel Unterstützung von Familie, Freunden und Bekannten.»








