Schimpansen können kommunizieren, Gefühle zeigen, Werkzeuge benutzen und regelrecht Krieg führen. Jane Goodall war die Erste, die dies erkannte. Jetzt ist die «Schimpansen-Mama» gestorben.
«Schimpansen-Mama» Jane Goodall ist tot

Die Schimpansin Wounda kann es gar nicht erwarten, aus ihrem Verschlag herauszukommen. Als die Tierpfleger den Schieber öffnen, schwingt sich die von einer schweren Krankheit genesene Affendame auf den Käfig und von dort an den Hals einer älteren Dame. Kurz vor ihrer Auswilderung in die Freiheit nimmt Wounda ihre Retterin, Jane Goodall, in den Arm. Wie kaum eine andere steht die auf Film gebannte Szene für das Lebenswerk der Forscherin. Nun ist die «Schimpansen-Mama» aus Großbritannien, die so viel für das Wohl der Menschenaffen getan hat, im Alter von 91 Jahren gestorben.
Ihre besondere Verbindung zu den Menschenaffen beginnt schon früh, als Goodall noch jung ist. Im Jahr 1960 reist die 26-Jährige zur Untersuchung einer Schimpansengruppe in den heutigen Gombe-Nationalpark in Tansania. Bald darauf wird sie die Sicht der Menschheit auf ihre nächsten Verwandten für immer verändern: Als Erste erkennt Goodall bei den Affen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem Menschen bekannt sind – sowohl gute als auch schlechte.
«Zum Glück war ich nicht an der Universität»
«Damals in den frühen 60er-Jahren glaubten viele Wissenschaftler, dass nur Menschen einen Verstand haben, dass nur Menschen in der Lage sind, rational zu denken», sagt sie in dem Dokumentarfilm «Jane», in dem viele Aufnahmen aus der frühen Zeit ihrer Forschung zu sehen sind. «Zum Glück war ich nicht an der Universität und wusste diese Dinge nicht», fügt sie hinzu.
Die Position von Goodall verdankt sie dem britisch-kenianischen Anthropologen Louis Leakey. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel in ihrer Familie kann sie kein Studium finanzieren. Trotzdem strebt sie unbedingt danach, ihren Kindheitstraum von einem Leben in Afrika unter wilden Tieren zu verwirklichen. Sie arbeitet als Sekretärin und Kellnerin, bevor sie zu ihrer ersten Reise nach Afrika aufbricht, bei der sie Leakey kennenlernt.
Bald wird sie Teil der Schimpansen-Gemeinschaft
Leakey, der sich von ihren Kenntnissen und ihrer Begeisterung beeindruckt zeigte, beauftragt sie damit, eine Gruppe Schimpansen an den Ufern des Tanganijka-Sees im Norden des heutigen Tansania zu erforschen. Es ist gerade ihre Unvoreingenommenheit, in der Leakey eine Stärke sieht. Er sendet zwei weitere Frauen aus: Die 1985 in Ruanda ermordete US-Amerikanerin Dian Fossey, die Gorillas erforscht, und die in Kanada aufgewachsene Birute Galdikas, die sich auf Borneo den Orang-Utans widmet. Zusammen werden sie manchmal als die «Trimaten» bezeichnet.
Zunächst von ihrer Mutter begleitet, trotzt Goodall monatelang jeder Witterung und allerlei Gefahren wie Giftschlangen, um in die Nähe ihrer Forschungsobjekte zu gelangen – zunächst vergeblich. Die Schimpansen laufen davon. Doch nach und nach gewöhnen sich die Tiere an den Anblick des «fremden weißen Menschenaffen», wie sie sich selbst gerne nennt. Bald wird sie Teil ihrer Gemeinschaft.
Sie gibt den Schimpansen Namen statt Nummern
Die Methode der «teilnehmenden Beobachtung» erweist sich als erfolgreicher als alles andere, was zuvor versucht worden war. Sie beinhaltet jedoch auch das Füttern mit Bananen und eine Interaktion mit den Tieren, die zu Kritik führt. Beispielsweise gilt es als unwissenschaftlich, den Schimpansen Namen statt Nummern zu geben. Goodall lässt sich davon nicht beirren. Ihr bester Freund wird David Greybeard, ein gutmütiges männliches Tier mit weiß-grauem Haar am Kinn, das als erstes wagt, in ihre Nähe zu kommen. Greybeard öffnet ihr die Tür zur Erforschung der Gruppe.
Sie beobachtet Greybeard, wie er mit einem Stöckchen in einem Termitenbau stochert und damit die Insekten fängt. Er präpariert sogar Zweige dafür, indem er die Blätter abstreift. Als sie Leakey von dieser Beobachtung berichtet, telegrafiert er zurück: «Jetzt müssen wir entweder den Menschen neu definieren. Werkzeug neu definieren. Oder wir müssen Schimpansen als Menschen anerkennen.» Bis dahin galt die Verwendung von Werkzeugen als wichtigste Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren.
«Ich hatte keine Ahnung von der Brutalität»
Goodall beobachtet auch zärtliches Verhalten, Umarmungen, Berührungen und Trauer in Gombe. Eine verheerende Polio-Epidemie unter den Affen und später tödliche Auseinandersetzungen zwischen den Tieren bringen jedoch Ernüchterung in die beinahe paradiesisch anmutende Welt. «Ich dachte, sie wären wie wir, aber netter als wir», sagt Goodall rückblickend und fügt hinzu: «Ich hatte keine Ahnung von der Brutalität, die sie an den Tag legen können.»
Als Inspiration für ihren bereits als Kind gehegten Wunsch, in der Wildnis unter Tieren zu leben, nennt sie oft die Kinderbuchreihen Doctor Dolittle und Tarzan. Scherzend sagt sie oft, sie sei enttäuscht gewesen, weil Tarzan die falsche Jane geheiratet habe. Sie selbst heiratet den niederländischen Tierfilmer und Fotografen Hugo van Lawick, dessen Aufnahmen erheblich zu ihrem Ruhm beitragen. Die Ehe zerbricht nach zehn Jahren. Später heiratet sie den Direktor der tansanischen Nationalparks Derek Bryceson, der aber schon 1980 stirbt.
Als sie erkennt, dass Schimpansen-Populationen überall schrumpfen und ihren Lebensraum zunehmend verlieren, wendet sich Goodall dem Arten- und Umweltschutz zu. «Wir müssen Wälder erhalten, die Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden stoppen», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur einmal im Interview. Mit dem Jane Goodall Institute baut sie ein weltweites Netz auf, mit dem sie für ein Umdenken wirbt. Mit Schülern startete sie in Tansania die Aktion «Roots & Shoots» (Wurzeln und Sprösslinge). Heute existieren Gruppen in zahlreichen Ländern, die sich mit Projekten für eine bessere Welt engagieren.
Auch wenn sie schon sehr alt ist, reist sie weiterhin unermüdlich um die Welt, um Menschen durch Vorträge und Begegnungen zu inspirieren. Als sie stirbt, ist sie gerade auf einer Vortragsreise im US-Bundesstaat Kalifornien.








