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Schuldgefühle – aber auch Schuld? Prozess nach Zugunglück

Ein Zug entgleist, fünf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Drei Jahre später sitzen zwei Bahnmitarbeiter auf der Anklagebank. War es eine Verkettung unglücklicher Umstände – oder Schlamperei?

Die beiden Angeklagten zeigten vor Gericht Schuldgefühle.
Foto: Peter Kneffel/dpa

Tränen fließen mehrmals. Die beiden Männer im Trachtenjanker sind sichtlich bewegt, während der Prozess zu einem der schlimmsten Zugunglücke der vergangenen Jahre beginnt: Im Juni 2022 entgleiste bei Garmisch-Partenkirchen ein Regionalzug. Drei der Waggons kamen von der Strecke ab, rutschten den Bahndamm hinunter und blieben auf dem Dach liegen. Fünf Menschen starben teils gleich an der Unfallstelle, Dutzende wurden verletzt, darunter viele Kinder und Jugendliche.

Laut verschiedenen Gutachten wurden marode Betonschwellen als Ursache für das Zugunglück identifiziert. Aufgrund chemischer Reaktionen im Inneren des Stahlbetonkerns waren die Schwellen nicht mehr ausreichend tragfähig. Die Staatsanwaltschaft München ist dennoch davon überzeugt, dass die beiden Angeklagten zum Unglück beigetragen haben und wirft ihnen fahrlässige Tötung vor.

Dass es auf der Strecke ein Problem gibt, war bekannt

Es gab bereits zuvor Hinweise darauf, dass die Gleise an dieser Stelle problematisch sein könnten. Am Abend vor dem tragischen Unglück erhielt der damalige Fahrdienstleiter einen Funkspruch, in dem von Unregelmäßigkeiten am Gleis die Rede war. Da sei ein «Schlenker» drin, der Zug «hüpfe». Der Angeklagte sagte, er gebe das weiter – das geschah jedoch nicht.

Die Staatsanwaltschaft war davon überzeugt, dass er die Strecke bis zur Entwarnung hätte sperren müssen. Durch die Missachtung dieser Vorgabe löste er jedoch die Entgleisung aus, so die Staatsanwaltschaft.

«Ich habe solche Schuldgefühle», sagte der Mann nun im Prozess. Er habe die Meldung nicht so verstanden, dass eine sofortige Reaktion nötig gewesen wäre, verteidigte sich der damalige Fahrdienstleiter. Es sei keines der üblichen Schlagwörter gefallen. Die spätere Weitergabe habe er dann versäumt, «ich kann Ihnen nicht sagen, warum», sagte der Mann unter Tränen.

Die Verteidigung hat jedoch angedeutet, dass es möglicherweise nicht entscheidend war, dass der Mann die Meldung nicht weitergegeben hat. Denn vor dem Unfall fuhren noch 28 Züge an der Stelle – ohne Probleme.

«Jeden Tag denke ich an den Unfall»

Der zweite Angeklagte wird ebenfalls von der Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vorgeworfen. Als Bezirksleiter habe er nicht dafür gesorgt, dass die beschädigten Gleisschwellen rechtzeitig ausgetauscht wurden. Ein Langsamfahrgebot oder eine Sperrung der Strecke wurden ebenfalls nicht angeordnet. Der rechtzeitige Austausch hätte jedoch sicherlich den Tod verhindert, so die Staatsanwältin.

Der Mann erklärte, er hätte der Sache mehr auf den Grund gehen können und auch müssen. «Jeden Morgen, jeden Tag, denke ich an den Unfall», sagt er. «Es tut mir sehr leid, dass ich das Unglück nicht habe verhindern können.»

Gleichzeitig betonte er, er sei nicht davon ausgegangen, dass die Schwellen so stark geschädigt gewesen seien. Er glaube auch nicht, dass es ihm und seinen Kollegen möglich gewesen wäre, allein durch das Anschauen der Gleise den Schaden zu erkennen. «Das hätte man nur erkennen können, wenn man die Gleise vom Schotter befreit hätte.»

Aufarbeitung für Bahn heikel

Beide Angeklagten arbeiteten vor dem Unglück bereits seit Jahrzehnten bei der Bahn. Für die Bahn ist die Sache extrem heikel. Zwar heißt es in einem internen Bericht, dass der Unfall die «unmittelbare Folge» des regel- und pflichtwidrigen Verhaltens des Personals vor Ort gewesen sei. Allerdings habe die damals zuständige Bahn-Tochter DB Netz nicht ausreichend auf die Erkenntnisse zu schadhaften Betonschwellen reagiert und den Unfall dadurch ermöglicht. Die Probleme an älteren Schwellen waren bekannt. Der Unfall sei vermeidbar gewesen, hieß es. Die Deutsche Bahn kündigte daher im Spätsommer an, juristisch gegen die damaligen Vorstandsmitglieder vorzugehen.

Zudem plant sie, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um ein erneutes Unglück zu verhindern. Alle potenziell risikobehafteten Bahnschwellen sollen ausgetauscht werden. Bereits zwei Millionen Betonschwellen wurden ersetzt. Des Weiteren finden Schulungen statt.

Ursprünglich wurden drei Bahnmitarbeiter angeklagt – jedoch wurde ein Verfahren eingestellt. Es sind 19 Termine für den Prozess bis zum 15. Januar 2026 festgelegt.

dpa