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Selbsthilfe im Slum: nicht auf weiße Retter warten

Für Kennedy Odede ist Kenias größter Slum Kibera kein Symbol für Hoffnungslosigkeit, sondern für Potenzial. Der Sozialunternehmer ist hier selbst in Armut aufgewachsen. Nun mobilisiert er Selbsthilfe.

Mary Abongo hat nach einem Businesstraining und einem Darlehen einen Laden in Kibera eröffnet. (Archivbild)
Foto: Eva Krafczyk/dpa

Kennedy Odede kennt die Bedeutung von Armut nur allzu gut: Er ist in Kibera aufgewachsen, dem größten Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Wenn Filmemacher und Hilfsorganisationen Bilder von extremer Armut benötigen, besuchen sie gerne Kibera mit seinen Wellblechhütten und der Eisenbahnlinie. Diese führt vorbei an Müllhalden und ausgetretenen Wegen, aber auch an Werkstätten und Geschäften, die den Unternehmergeist der Bewohner widerspiegeln. Und an Kindern, die aus allem, was sie finden können, Spielzeug basteln.

Keine weißen Retter bitte

Odede sagt: «Ich hatte Glück, in Kibera aufzuwachsen. Ja, es war ein hartes Leben. Aber ich habe auch viel Liebe und Gemeinschaftsgeist erfahren.» Der heute 40 Jahre alte Odede wollte sich nie mit der Annahme abfinden, dass Armut auch Hoffnungslosigkeit bedeutet und die Menschen in Kibera und anderen Slums von anderen aus der Not geholt werden müssen. «Ich habe die Idee gehasst, das jemand aus dem Globalen Norden kommt, um uns zu retten», sagt Odede. «Aber die verstehen uns nicht. Wir als Gemeinschaft müssen uns selber retten.» 

Als Jugendlicher organisierte er Fußballturniere im Slum, danach leitete er eine Straßenreinigung und informierte über HIV und Aids. Vor 20 Jahren wurde seine Organisation Shofco (shining hope for communities) gegründet. Das erste offizielle Projekt war eine Mädchenschule in Kibera, berichtet Odede, der in diesem Jahr mit dem Nelson Mandela-Preis der Vereinten Nationen ausgezeichnet wurde.

Die Schule wurde ein Erfolg und führte manche Schülerinnen unter anderem nach New York. «Wir haben Absolventinnen, die heute an der Columbia University studieren», sagt er stolz. «Wo du geboren bist, das muss nicht deine Zukunft definieren. Talent gibt es überall. Aber es gibt nicht überall die gleichen Gelegenheiten.»

Sparen in Selbsthilfegruppen

Ganz ohne ausländische Geldgeber geht es – noch – nicht. Doch Odede und seine Mitarbeiter betonen die Bedeutung einer Partnerschaft und der Selbstverantwortung der Slumbewohner. In Selbsthilfegruppen wird gemeinsam gespart, mit Mitgliedsbeiträgen in Höhe von hundert Shilling (etwa 66 Cent) monatlich. Die Gruppen treffen Entscheidungen darüber, wie das gesparte Geld verwendet wird, und sind miteinander verbunden. Mittlerweile existiert eine Gemeinschaftsbank, die Darlehen an Unternehmensgründer vergibt.

Von der Straßenverkäuferin zur Ladenbesitzerin

Mary Abongo ist eine Frau, die zu den Gründerinnen gehört. Früher verkaufte sie Chapati auf der Straße, ein beliebtes Streetfood. Jedoch war der Aufwand und das Einkommen nicht sehr vorteilhaft. Oft fehlte das Geld für die Miete oder Schuluniformen ihrer Kinder. Abongo nahm an einem Kurs teil, in dem Shofco Grundlagen für die Selbstständigkeit, wirtschaftliche Berechnungen und Finanzverwaltung vermittelt. Sie erhielt einen Zuschuss und nahm ein Darlehen von der Gemeinschaftsbank auf. Mittlerweile besitzt sie einen Laden an einer Straße in Kibera.

Für Außenstehende mag das Geschäft nur eine Bretterbude sein, doch für Mary Abongo ist es ein himmelweiter Unterschied zu ihrem alten Leben. «Ich kann ruhig schlafen, ohne Sorgen um die Miete», erzählt sie, während sie Reis und Bohnen in Papiertüten für ihren Kunden abwiegt. In den Holzregalen lagern Mehlpackungen, in anderen stapeln sich Seife und andere Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs. An Decke hängt sogar eine Glühbirne, so dass Abongo auch abends das Geschäft offen halten kann – und mittlerweile hat sie zwei Mitarbeiter.

Die Unterstützung von Frauen ist ein zentraler Aspekt unserer Arbeit – in den letzten zwei Jahren haben über 17.000 Frauen Schulungen im Nähen oder für kunsthandwerkliche Tätigkeiten erhalten. Die Nähmaschinen in den Shofco-Werkstätten können sie auch nach Abschluss der Kurse nutzen, um Kleidung oder Schuluniformen herzustellen und zu verkaufen.

Das himmelblaue Logo der Organisation ist nicht nur in Werkstätten und Bildungseinrichtungen präsent, sondern auch auf Wassertanks und einer Wiederaufbereitungsanlage für sauberes Trinkwasser. Dies dient dazu, Erkrankungen aufgrund von verunreinigtem Wasser zu verhindern. Aufgrund fehlender Kanalisation müssen Bewohner der Slums ihr Wasser in großen Kanistern kaufen, zu einem Preis, der höher ist als der für Leitungswasser in wohlhabenderen Stadtteilen.

Büchereien als sichere Orte und Chancen zum Lernen

Die meisten Familien in Kibera leben in sehr beengten Verhältnissen, viele haben keinen Zugang zu Strom oder Wasser. Die Schulen im Slum sind oft schlecht ausgestattet. Viele Kinder und Jugendliche haben keinen ruhigen Ort zum Lernen. Die Bibliotheken, die Shofco in Kibera und an 22 Standorten errichtet hat, sollen dazu beitragen, die Situation zu verbessern.

In dem Raum in der zweiten Etage eines Gebäudes mitten in Kibera stehen Schulbücher eng an eng. Trotz der seit Wochen andauernden Schulferien ist der Leseraum voll. Zwei Mädchen sitzen nebeneinander vor einem aufgeschlagenen Schulbuch und machen sich eifrig Notizen, ein kleines Mädchen blättert durch ein Bilderbuch. Ein Jugendlicher hat die Ellbogen auf den Tisch gestützt und sein Hoodie tief ins Gesicht gezogen, ganz entrückt von der Außenwelt und vertieft in sein Buch. «Die Büchereien sind für die Kinder und Jugendlichen auch sichere Orte», sagt Julius Mutundu, der zu den Shofco-Organisatoren in Kibera gehört und selbst in dem Slum lebt.

Chancen schaffen für junge Leute

Das Fehlen von Möglichkeiten für junge Menschen ist aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit ein großes soziales Problem in dem ostafrikanischen Land. Absolventen aus der Mittelschicht haben Schwierigkeiten, eine berufliche Karriere zu starten. Noch schwieriger ist die Situation der Jugendlichen, die in den Slums der Großstädte oder benachteiligten ländlichen Gebieten aufgewachsen sind.

Greyson Nyenze ist einer derjenigen, die dazu beitragen. Der Bäcker mit dem tiefen ansteckenden Lachen hat regelmäßig Jugendliche in seiner Backstube, denen er in drei Monaten sein Handwerk beibringt. Auch wenn es nicht mit einer Handwerksausbildung in Deutschland vergleichbar ist, so ist es dennoch für die jungen Leute aus dem Slum ein erster Schritt ins Berufsleben.

Nyenze lässt Teig auf die Arbeitsplatte klatschen und formt Brotlaibe, während er spricht. «Es ist nicht nur das Handwerk, oder Backrezepte», sagt er. «Sie müssen auch lernen, dass es nicht reicht, an einem Tag gut zu arbeiten, sondern jeden Tag.» So mancher Jugendliche hing nach der Schulentlassung auf der Straße rum, bis er oder sie in Nyenzes Backstube kam. Der Bäcker vermittelt nicht nur Backtechniken, sondern auch Selbstbewusstsein und Stolz auf geleistete Arbeit. Hat er keine Angst, dass so viel Auszubildende ihm Konkurrenz machen? Wieder lacht Nyenze. «Nein, nein, so ist das nicht. Einige der jungen Leute haben eigene Bäckereien aufgemacht – und meine Kunden glauben, ich habe jetzt ein Franchise.» 

Hoffnung auf den nächsten Schritt

In den letzten zwei Jahren haben mehr als 9.000 junge Menschen im Rahmen der Shofco-Projekte eine Ausbildung oder einen Praktikumsplatz erhalten. Darüber hinaus wurden fast 3.000 jungen Leuten digitale Fähigkeiten vermittelt, die zu Online-Jobs führen sollen. Diese Beschäftigung findet hauptsächlich im informellen Sektor statt, der einen Großteil der kenianischen Wirtschaft ausmacht. Dennoch bedeutet dies ein Einkommen und die Hoffnung, sich weiterentwickeln zu können.

dpa