Die Missbrauchsvorwürfe gegen Hermann Gmeiner rütteln an einer weltweiten Bewegung. Die Konsequenzen betreffen nicht nur die Organisation. Eine deutsche Schule denkt bereits an eine Namensänderung.
Skandal um SOS-Kinderdorf: Schock auch in Deutschland

Über hundert Mal wurde Hermann Gmeiner für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Doch Missbrauchsvorwürfe werfen ein völlig neues Licht auf den 1986 verstorbenen Gründer von SOS-Kinderdorf. Die weltweit tätige Hilfsbewegung reagiert mit Entsetzen und Schadensbegrenzung – auch in Deutschland.
«Wir müssen sehen, dass auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schockiert sind von dieser völlig überraschenden Nachricht», sagt Georg Falterbaum, ein Vorstand von SOS-Kinderdorf e.V. in Deutschland.
Am Donnerstag wurde bekanntgegeben, dass die österreichische Schwesterorganisation enthüllt hat, dass Gmeiner beschuldigt wird, acht männliche Kinder und Jugendliche in Österreich sexuell und physisch missbraucht zu haben. Die Vorwürfe sind glaubhaft und die Betroffenen wurden entschädigt.
Vorwürfe jahrelang unter Verschluss
Laut SOS-Kinderdorf Österreich waren die Informationen über den österreichischen Pädagogen intern bereits seit Jahren bekannt, wurden jedoch erst jetzt öffentlich gemacht.
In den letzten Wochen wurden auch in Österreich einige vermutete Übergriffe von Mitarbeitern des Kinderdorfs durch Medienberichte bekannt. Diese waren zuvor ebenfalls geheim gehalten worden.
Gmeiner gründete das erste SOS-Kinderdorf in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Organisation ist heute in über 130 Ländern tätig und hilft Kindern und Jugendlichen, deren Eltern sich nicht um sie kümmern können.
«Verurteilung und Scham»
Die globale Bewegung reagierte auf die verspätete Offenlegung zu Gmeiner mit einem drastischen Schritt: Sie schloss die österreichische Teilorganisation vorübergehend aus dem internationalen SOS-Kinderdorf-Verband aus. «Kinder verdienen Glück, Würde und Schutz durch diejenigen, denen sie vertrauen», sagte der Vorsitzende des Internationalen Vorstandes, Dominico Parisi. «Wer dieses Vertrauen verrät, verdient nichts als Verurteilung und Scham für sein Handeln», sagte er.
Das Gremium will für Vertrauen in das weltweite Engagement der Organisation sorgen. SOS-Kinderdorf Deutschland unterstützt den Schritt. «Nach dem intransparenten Umgang mit den Fällen in den letzten Wochen hat diese Meldung über Hermann Gmeiner das Fass zum Überlaufen gebracht», sagt Vorstand Falterbaum der Deutschen Presse-Agentur.
Aufarbeitung von Übergriffen in Deutschland
Auch in deutschen Kinderdörfern hat es in der Vergangenheit Übergriffe und Unrecht gegeben, aber die Vorfälle wurden in den letzten Jahren umfassend aufgearbeitet, sagt Falterbaum. Gemäß dem Bericht einer unabhängigen Kommission gab es zwischen 1976 und Mitte 2023 fast 190 Meldungen über Grenzüberschreitungen, wovon 47 Prozent sexuelle Übergriffe waren. Fast die Hälfte aller Grenzüberschreitungen wurden von Mitarbeitern begangen. Auch andere betreute Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene außerhalb der Organisation haben teilweise Übergriffe verübt.
Auch in Deutschland haben Betroffene bereits „sogenannte Anerkennungsleistungen“ erhalten. Im Durchschnitt handelt es sich um Beträge von rund 46.500 Euro.
Aufarbeitung sei eine Dauer-Aufgabe, betont Falterbaum. «Es ist kein Thema, das wir abhaken, sondern es wird weitergehen». Bei Einrichtungen von SOS-Kinderdorf Deutschland sei auch der Kinderschutz durch personelle Maßnahmen gestärkt worden, und ein Frühwarnsystem sei im Aufbau.
Schulen, Straßen und Denkmäler: Bruch mit Gmeiner
Über den möglichen Imageschaden durch die Vorfälle in Österreich will Falterbaum noch nicht sprechen. Stattdessen müssten die Betroffenen im Fokus stehen. Außerdem will der Kinderdorf-Vorstand seinen engagierten Mitarbeitern Mut machen. «Die Idee von SOS-Kinderdorf ist unverändert richtig. Und Hermann Gmeiner definiert als unser Gründer eben nicht mehr die Arbeit von heute», sagt er.
In Deutschland und Österreich sind mehrere Straßen und Schulen nach Gmeiner benannt. Der Bruch mit dem Kinderdorf-Gründer ist angelaufen. In Imst in Tirol, wo 1951 das erste Kinderdorf eröffnet worden war, wurden bereits zwei Gmeiner-Denkmäler entfernt, wie die Nachrichtenagentur APA berichtete. Auch ein Kindergarten, eine Grundschule und eine Straße im Ort sollen umbenannt werden. «Es wird einen kompletten Schnitt mit allem geben, was seinen Namen betrifft», sagte der Imster Bürgermeister Stefan Weirather der APA.Die Hermann-Gmeiner-Schule in Mönchengladbach äußerte sich auf ihrer Website «sehr schockiert» über die Vorwürfe gegen ihren Namenspatron. Über einen neuen Namen der Grundschule in Nordrhein-Westfalen werde demnächst entschieden, hieß es.








