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«SOS vom Arbeitsmarkt» – Nahles: Geht in falsche Richtung

Kaum Herbstbelebung, Strukturprobleme und mehr Kurzarbeit: Der deutsche Arbeitsmarkt steckt vor dem Weihnachtsgeschäft 2024 in der Krise.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist im November saisonbedingt leicht gesunken (Archivbild).
Foto: Daniel Löb/dpa

Über dem deutschen Arbeitsmarkt hängt das Damoklesschwert von drei Millionen Arbeitslosen. Im Winter könnte die Zahl erreicht werden, nachdem die Herbstbelebung auch im November nicht in Schwung gekommen ist. «Die Entwicklung geht seit Herbst 2023 in die falsche Richtung», sagte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles bei der Vorstellung der November-Statistik für den deutschen Arbeitsmarkt. Und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fügt hinzu: «Der Arbeitsmarkt funkt SOS. Drei Millionen Arbeitslose drohen diesen Winter Realität zu werden. So hoch lag die Arbeitslosigkeit zuletzt vor knapp zehn Jahren.» 

Im November sank die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat Oktober zwar saisonbedingt um 17.000 auf 2,774 Millionen. «Der Rückgang fällt aus unserer Sicht schwach aus», sagte Nahles. «Üblich wäre jedoch ein etwas stärkerer Rückgang gewesen». Die Zahl der Menschen ohne Job liegt um 168.000 höher als im November 2023. Die Arbeitslosenquote sank im Vergleich zum Oktober um 0,1 Punkte auf 5,9 Prozent. Im November 2023 hatte die Quote mit 5,6 Prozent niedriger gelegen. Für die Novemberstatistik zog die Bundesagentur Datenmaterial heran, das bis zum 13. des Monats vorgelegen hat.

Entlassungen und Fachkräftemangel

Die Gründe für die steigende Arbeitslosigkeit sieht Nahles nicht nur in konjunkturellen Problemen. Die deutsche Wirtschaft habe – etwa in der Industrie – vor allem strukturelle Sorgen, es komme in einigen Branchen zu großen Veränderungen, auch mit Entlassungen. Auf der anderen Seite fehlten in vielen Firmen weiterhin Fachkräfte. Die Bundesagentur versuche diesem Zwiespalt, mit sogenannten Job-Drehscheiben zu begegnen. «Da ist unser Ehrgeiz sehr groß, das miteinander zusammenzubringen», sagte Nahles. Die Jobvermittler der Bundesagentur gingen auch direkt in betroffene Betriebe, um einen möglichst großen Teil von Entlassungen betroffener Mitarbeiter «Job to Job» zu vermitteln – also gar nicht erst arbeitslos werden zu lassen, bevor sie eine neue Beschäftigung finden. 

Ob die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr weiter steige, hänge auch von der Geschwindigkeit ab, in der die Industrie in der Lage ist, die Transformationsprozesse voranzubringen, sagte Nahles. Martin Müller, Arbeitsmarktexperte bei der staatlichen Förderbank KfW gibt ihr recht: «Um das Produktivitätswachstum wieder anzukurbeln, muss Deutschland mehr investieren und die Digitalisierung auch im Dienstleistungssektor und in den Kommunen mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung weiter voranbringen», betonte er.

Mehr Kurzarbeit

Die Kurzarbeit ist in letzter Zeit deutlich angestiegen. Im September zahlte die Bundesagentur Kurzarbeitergeld an 268.000 Beschäftigte aus, im August waren es 175.000 und im Juli 194.000. Bis zum 25. November wurden Anträge für weitere 64.000 hinzugefügt. Es ist jedoch noch nicht sicher, ob diese tatsächlich genutzt werden. Insgesamt hat die Kurzarbeit in diesem Jahr die Erwartungen übertroffen, die Bundesagentur musste 726 Millionen Euro an Kurzarbeitergeld auszahlen, was mehr als doppelt so viel ist wie im Haushalt geplant.

Die Anzahl der offenen Stellen in den Arbeitsagenturen ist weiter gesunken. Im November gab es 668.000 offene Arbeitsstellen, was einem Rückgang von 65.000 im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Beschäftigungszuwächse sind nur noch in Bereichen wie der Pflege oder im öffentlichen Dienst zu verzeichnen. Insgesamt stieg die Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahr um weitere 123.000 Personen an.

Nahles forderte aus Anlass des Tages der Menschen mit Behinderung (3. Dezember) dazu auf, mehr Schwerbehinderte einzustellen. Aktuell seien 176.000 Schwerbehinderte in Deutschland arbeitslos, sechs Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Qualifikation dieser Menschen sei mit einem Fachkräfte-Anteil von 53 Prozent höher als bei nichtbehinderten Arbeitslosen, wo sie nur bei 42 Prozent liege. Drei von vier Arbeitgebern mit mehr als 20 Beschäftigten kämen inzwischen ihrer Verpflichtung «ganz oder teilweise» nach, fünf Prozent ihrer Belegschaft aus Behinderten zu rekrutieren.

dpa