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Technische Probleme, Abstürze und interne Schwächen bei Boeing seit 1990

Die Horrorserie bei Boeing reißt nicht ab: In Indien ist jetzt eine vollbesetzte 787 Dreamliner abgestürzt! Schon zuvor gab es dramatische Abstürze, technische Pannen und fatale Managementfehler. Was ist los bei dem US-Flugzeugbauer? Ein Blick in die düstere Geschichte von Boeing – und wie skrupelloses Management Menschenleben riskierte.

Foto: Depositphotos

Seit 1990 kam es bei Verkehrsflugzeugen des US-Herstellers Boeing zu zahlreichen sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und Abstürzen. Mehrere große Unfälle gehen auf technische Probleme oder Konstruktionsmängel zurück – von defekten Steuerungsmechanismen über Softwarefehler bis hin zu strukturellen Schwachstellen. Insbesondere die 737-Baureihe war mehrfach betroffen (etwa durch ein fehlerhaftes Rudersystem in den 1990ern und das MCAS-Steuerungssoftwareproblem der 737 MAX). Aber auch andere Modelle (747, 757/767, 777, 787) wiesen vereinzelt schwerwiegende Technikmängel auf, die zu Abstürzen oder Beinahe-Unfällen führten. Parallel dazu offenbarten sich systemische Defizite beim Hersteller selbst: mangelhafte Qualitätskontrollen, fragwürdige Management-Entscheidungen und eine enge, teils problematische Beziehung zur Aufsichtsbehörde FAA trugen dazu bei, dass Sicherheitsprobleme nicht immer rechtzeitig erkannt oder konsequent behoben wurden. Im Folgenden werden die bedeutendsten Vorfälle, ihre Ursachen und die dahinterliegenden strukturellen Schwächen bei Boeing dargestellt. (Stand: 12. Juni 2025 – inklusive des aktuellen Absturzes einer Boeing 787 in Indien.)

Schwerste Zwischenfälle seit 1990 (Überblick)

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über einige der schwersten Boeing-Unfälle seit 1990, bei denen technische Ursachen eine wesentliche Rolle spielten:

DatumFlug/Ort (Beispiel)FlugzeugtypTodesopferTechnische Hauptursache
3. März 1991United-Airlines-Flug 585 (Colorado Springs)Boeing 737-20025Plötzlicher Ruderausfall (unbefugte Ausschläge durch Konstruktionsfehler am Seitenruderservoventil)
26. Mai 1991Lauda-Air-Flug 004 (Bangkok)Boeing 767-300ER223Ungewollte Schubumkehr eines Triebwerks kurz nach dem Start (Designfehler im Umkehrschub-System)
8. Sept 1994USAir-Flug 427 (Pittsburgh)Boeing 737-300132Ruderausfall durch gleichen Konstruktionsmangel wie bei United 585 (siehe oben)
17. Juli 1996TWA-Flug 800 (Atlantik bei New York)Boeing 747-100230Explosion im Center-Flügeltank durch ein Kurzschluss-Funken in defekten Verkabelungen (entzündete Kerosindämpfe)
25. Feb 2009Turkish-Airlines-Flug 1951 (Amsterdam)Boeing 737-8009Defekter Radarhöhenmesser lieferte falsche Höhenwerte, woraufhin die Autopilot-Systeme ungewollt den Schub reduzierten; resultierender Strömungsabriss kurz vor Pistenaufsatz
29. Okt 2018Lion-Air-Flug 610 (Java-See)Boeing 737 MAX 8189Fehlfunktion der neuen MCAS-Software, die aufgrund eines defekten Anstellwinkelsensors wiederholt das Flugzeug nach unten trimmt
10. Mär 2019Ethiopian-Airlines-Flug 302 (Bei Addis Abeba)Boeing 737 MAX 8157Erneute MCAS-Fehlauslösung durch falsche Sensordaten – führte zum Kontrollverlust wie bei Lion Air
12. Jun 2025Air-India-Flug 171 (Ahmedabad)Boeing 787-8242 Personen an BordAbsturz kurz nach dem Start, Ursache noch unklar (Flugzeug meldete „Mayday“ und verlor kurz darauf jeglichen Funkkontakt)

Tab.: Ausgewählte schwere Unfälle mit Boeing-Flugzeugen seit 1990 und ihre hauptsächlichen technischen Ursachen. (Die Zahl der Todesopfer bezieht sich auf Passagiere und Besatzung; 2025 in Ahmedabad ist die genaue Opferzahl noch nicht bestätigt.)

Boeing 737: Vom Ruderservo-Defekt bis zum MCAS-Desaster

Boeing 737-Modelle waren mehrfach in gravierende Zwischenfälle involviert, die auf technische Mängel zurückgeführt wurden. In den 1990er-Jahren traten bei der 737-Classic-Serie (-300/-400/-500) rätselhafte Kontrollverluste auf: Zwei Maschinen (United 585 im Jahr 1991 und USAir 427 im Jahr 1994) stürzten ab, nachdem sie plötzlich ohne Piloteneingriff in einen steilen Sturzflug übergingen. Erst nach langer Untersuchung entdeckte die US-Unfallbehörde NTSB den Grund: ein Konstruktionsfehler im Seitenruder-Steuerungsmodul. Das hydraulische Servoventil der 737 war so gebaut, dass es sich unter bestimmten Bedingungen verklemmen und einen vollen Ruderausschlag in Gegenrichtung verursachen konnte. Die ungewollten Ruderausschläge machten die Maschinen unkontrollierbar. Insgesamt 157 Menschen kamen bei den zwei Abstürzen ums Leben. Nachdem die Ursache identifiziert war, ordnete die FAA Nachrüstungen an allen 737 an; Boeing entwickelte ein modifiziertes Rudersteuerungs-System, und seither traten keine weiteren solchen Ruderausfall-Unfälle mehr auf.

Auch Sensorprobleme führten bei der 737 zu gefährlichen Situationen. Ein Beispiel ist der Turkish-Airlines-Flug 1951 im Februar 2009: Hier lieferte ein defekter Funkhöhenmesser während des Landeanflugs irrtümlich eine negative Höhe (−8 Fuß, obwohl die 737 noch ~600 Meter hoch flog). Das vollautomatische Autopilot-/Autothrottle-System interpretierte dies als bevorstehende Landung und zog eigenmächtig den Schub auf Leerlauf zurück – was das Flugzeug stark abbremste. Die Crew erkannte den schleichenden Geschwindigkeitsverlust zu spät; als sie Gegenmaßnahmen einleitete, reagierte das System erneut automatisiert und nahm den Schub wieder weg. Die 737 geriet in einen Strömungsabriss und stürzte kurz vor der Piste ab. Hier starben zwar „nur“ 9 Menschen, doch die Unfallursache war alarmierend: ein einzelner fehlerhafter Sensorwert konnte die Automatik derart fehlleiten, dass ein Absturz resultierte. In späteren Untersuchungen wurde Boeing kritisiert, dass bekannte Probleme mit dem Radarhöhenmesser nicht ausreichend kommuniziert und die Systemlogik nicht fehlersicher genug gestaltet worden seien.

Strukturelle Schwachstellen traten bei der 737-NG-Serie (Next Generation, 1997–) zu Tage. So wurden 2019 bei Routinesicherheitschecks Risse in den sogenannten „Pickle Forks“ entdeckt – das sind die Gabelträger, mit denen die Tragflächen am Rumpf befestigt sind. Boeing hatte ursprünglich angenommen, dieses Bauteil würde ein Flugzeugleben lang halten, doch an mehreren stark genutzten 737-NG zeigten sich bereits nach ~30.000 Flugzyklen Ermüdungsrisse. Auf Anweisung der FAA mussten dutzende Maschinen weltweit kurzfristig stillgelegt und repariert werden. Dieser Vorfall führte zwar zu keinem Absturz, offenbarte aber einen unerwarteten strukturellen Defekt in der Auslegung der 737-Tragwerksstruktur.

Am gravierendsten waren jedoch die beiden Abstürze der neuen Boeing 737 MAX im Oktober 2018 (Lion Air 610) und März 2019 (Ethiopian 302). Beide Flugzeuge stürzten kurz nach dem Start nahezu senkrecht ab, weil sie durch das neue Trimmsystem MCAS in einen fatalen Sturzflug gedrückt wurden. Das MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) war eine Software, die Boeing der 737 MAX hinzugefügt hatte, um bestimmte Flugeigenschaften zu korrigieren. Im normalen Betrieb hätte MCAS kaum eingegriffen; doch im Fehlerfall erwies es sich als lebensgefährlich. Bei beiden Unglücksflügen speiste ein defekter Anstellwinkel-Sensor falsche Daten ins MCAS ein, woraufhin die Software wiederholt automatisch das Flugzeug nach unten trimmen ließ. Die Piloten kämpften vergeblich gegen die ständig nach unten drückende Trimmautomatik und verloren die Kontrolle. Insgesamt 346 Menschen kamen in Indonesien und Äthiopien ums Leben. Spätere Ermittlungen zeigten eklatante Mängel im Entwicklungs- und Zulassungsprozess: Boeing hatte MCAS ohne ausreichende Redundanz (nur ein Sensor wurde ausgewertet) und ohne klare Information an die Piloten implementiert. Nach dem zweiten Absturz wurde weltweit ein Flugverbot für die 737 MAX verhängt, das erst nach rund 20 Monaten aufgehoben wurde. Boeing musste die Software umfassend überarbeiten (u.a. Auswertung beider Sensorsignale, einfachere Abschaltbarkeit) und stand vor dem größten Image- und Finanzdesaster seiner Geschichte – die direkten Kosten der MAX-Krise für Boeing werden auf ~20 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Boeing 747: Tankexplosion und strukturelle Risiken

Die Boeing 747, lange Zeit Boeings größtes Langstreckenflugzeug, war seltener von Konstruktionsmängeln betroffen. Ein dramatischer Vorfall ereignete sich jedoch am 17. Juli 1996, als TWA-Flug 800 – eine Boeing 747-131 – kurz nach dem Start in New York explodierte. Die Ermittlungen ergaben, dass es in dem nahezu leeren mittleren Flügeltank zu einer Verpuffung von Kerosindämpfen gekommen war. Wahrscheinlich hatten beschädigte oder scheuernde Kabel in der Tankanzeige einen Kurzschluss verursacht, der die Benzindämpfe im Tank entzündete. Die Maschine brach in der Luft auseinander; alle 230 Insassen kamen ums Leben. Dieser Unfall führte zu neuen Sicherheitsvorschriften – insbesondere wurden Maßnahmen eingeführt, um solche Explosionen künftig zu verhindern (z.B. inert gas-Systeme, die die Luft im Tank mit Stickstoff anreichern und somit weniger zündfähig machen).

Ein weiterer 747-Absturz mit struktureller Ursache war der Verlust von China-Airlines-Flug 611 im Jahr 2002 (Boeing 747-200B). Hier zerbrach das Flugzeug in Reiseflughöhe, weil ein 22 Jahre zuvor unsachgemäß reparierter Heckstruktur-Schaden letztlich zu Materialversagen führte. Zwar lag das Problem in diesem Fall an mangelhafter Wartungsreparatur, nicht an Boeings Originalkonstruktion – dennoch zeigte der Vorfall, wie kritisch strukturelle Integrität bei Großraumflugzeugen ist. Auch Alterung und Wartung spielen eine Rolle: So kam es 1988 (noch vor unserem Betrachtungszeitraum) bereits zu einem spektakulären Zwischenfall mit einer 737 (Aloha-Airlines-Flug 243), bei dem Materialermüdung in der Rumpfstruktur zu einer dramatischen Dekompression führte. Solche Ereignisse führten branchenweit zu intensiveren Strukturinspektionen älterer Jets.

Insgesamt gelten die 747-Modelle abgesehen von TWA 800 als vergleichsweise robust. Viele Abstürze der 747 (besonders in den 1970–90ern) waren eher auf externe Ursachen oder Pilotfehler zurückzuführen (z.B. Terroranschläge, Kollisionen, Überlastung) denn auf technische Gebrechen der Maschine selbst. TWA 800 hob jedoch hervor, dass elektrische Systeme und Verkabelung in die Jahre kommender Jets ein Sicherheitsrisiko darstellen können – ein Thema, das Boeing und andere Hersteller seither verstärkt adressiert haben.

Boeing 757 und 767: Triebwerksumkehr und Sensorprobleme

Die Boeing 757 und 767, eingeführt Anfang der 1980er, zeichnen sich durch insgesamt gute Sicherheitsbilanzen aus; dennoch sind auch bei ihnen Vorfälle mit technischen Ursachen dokumentiert. Ein tragisches Beispiel ist der Absturz von Lauda-Air-Flug 004 am 26. Mai 1991. Die Boeing 767-300ER “Mozart” der österreichischen Lauda Air ging wenige Minuten nach dem Abflug in Bangkok in einen unkontrollierten Sturzflug und zerschellte – alle 223 Menschen an Bord starben. Ursache war das plötzliche Ausfahren eines Schubumkehrers am linken Triebwerk während des Steigflugs, was zur abrupten Abbremsung und Überdrehung des Jets führte. Ein technischer Defekt ließ die Schubumkehr (eigentlich nur für Landungen gedacht) durch einen Fehler im Steuerungssystem irrtümlich im Flug auslösen. Boeing hatte die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios als extrem gering eingeschätzt – Lauda 004 bewies jedoch, dass es dennoch eintreten konnte. In der Folge überarbeitete Boeing das System: Mechanismen wurden hinzugefügt, um ein unbeabsichtigtes Ausfahren der Schubumkehr während des Fluges zu verhindern. Zusätzlich stellte sich heraus, dass bei der verunglückten Maschine Wartungsmängel vorlagen, doch der zentrale Auslöser blieb ein Konstruktionsfehler in der Triebwerkssteuerung, kombiniert mit unzureichenden Berechnungen der Ausfallsicherheit.

Bei der Boeing 757 ist ein bekannter Fall von Sensorversagen zu nennen: der Absturz von Birgenair-Flug 301 am 6. Februar 1996. Hier startete eine 757 in der Dominikanischen Republik mit verstopften Pitotsonden (Geschwindigkeitsmessfühler). Die blockierten Sensoren lieferten falsche Geschwindigkeitsdaten, woraufhin die Autopilot-Systeme und auch die Piloten anhand der fehlerhaften Anzeigen falsch reagierten. Die Maschine geriet außer Kontrolle und stürzte ins Meer, 189 Menschen starben. Die Grundursache war in diesem Fall fehlende Wartung (eine Abdeckung der Pitotrohre unterblieb, Insektennester blockierten die Messöffnungen) – also kein direkter Boeing-Konstruktionsfehler. Dennoch zeigte dieser Unfall, wie anfällig Flugsteuerungssysteme auf falsche Sensordaten reagieren können. Ähnliches geschah im Oktober 1996 mit einer 757 von AeroPerú (Flug 603), bei der wegen verklebter statischer Drucksensoren sämtliche Cockpitinstrumente ausfielen. Auch sie stürzte ins Meer. Aus solchen Fällen wurden branchenweit Lehren gezogen: Checklisten für Sensor-Anomalien wurden angepasst und Piloten verstärkt im Umgang mit widersprüchlichen Instrumentenwerten geschult.

Zusammenfassend hatten die 757/767-Baureihen keine systemischen Konstruktionsschwächen in dem Ausmaß wie etwa die 737 MAX. Die Lauda-Air-Katastrophe von 1991 deckte jedoch eine Schwäche im Triebwerkssystem-Design auf, die behoben werden musste. Und die Sensor-bedingten Abstürze Mitte der 90er waren Mahnungen, die Rolle redundanter Messsysteme und klarer Warnanzeigen ernst zu nehmen – Aspekte, die bei späteren Boeing-Entwicklungen (und auch bei Airbus) weiter verbessert wurden.

Boeing 777: Treibstoffsystem-Probleme und weitere Zwischenfälle

Die Boeing 777, seit 1995 im Dienst, galt lange als sehr sicheres Großraumflugzeug. Der erste Rumpfverlust einer 777 geschah erst 2008 und brachte eine ungewöhnliche technische Ursache zutage: British-Airways-Flug 38 aus Peking setzte am 17. Januar 2008 kurz vor der Londoner Landebahn im Gras auf, da beide Triebwerke plötzlich Schub verloren. Obwohl alle 152 Insassen überlebten, war der Zwischenfall gravierend. Die Untersuchung ergab, dass sich im Verlauf des langen Fluges durch die eiskalten Höhen Temperaturen Eiskristalle im Kerosin gebildet hatten. Diese Eiskristalle sammelten sich in den Treibstoff-Öl-Wärmetauschern der Rolls-Royce Trent 800-Triebwerke und verstopften sie. Beim Landeanflug, als die Piloten Schub erhöhten, bekamen beide Triebwerke nicht genug Treibstoff und reagierten nicht. Die 777 verlor an Geschwindigkeit und Höhe und schlug knapp vor der Piste auf. Diese Designschwäche im Treibstoffsystem (eine Art von unvorhergesehener Kavitationsbildung durch gefrorene Ablagerungen) war zuvor nie aufgetreten. Boeing und Rolls-Royce entwickelten daraufhin Modifikationen: Die Wärmetauscher im Treibstoffsystem wurden angepasst, um einen derartigen Eisdruckanstau zu vermeiden. Weltweit erging an 777-Betreiber die Auflage, bestimmte Betriebsprozeduren in sehr kalter Umgebung zu ändern, bis die Hardware-Änderungen verfügbar waren. Dieser Fall zeigte, dass selbst bei modernen Langstreckenjets extrem rare physikalische Effekte zu Triebwerksversagen führen können – ein Risiko, das erst nach tatsächlichem Auftreten vollständig verstanden wurde.

Weitere Zwischenfälle mit der 777 betrafen vor allem Triebwerke, waren aber nicht direkt auf Boeing-Konstruktionsfehler zurückzuführen. So kam es z.B. im Februar 2021 bei einer Boeing 777-200 der United Airlines kurz nach dem Start in Denver zu einem spektakulären Triebwerkszerfall (Fan-Schaufelbruch im Pratt-&-Whitney-Triebwerk), der Trümmer über Wohngebiete regnen ließ. Hier lag die Ursache in Materialermüdung der Turbinenschaufel – das betraf den Triebwerkshersteller und führte zur temporären Stilllegung aller 777 mit diesem Triebwerkstyp, aber nicht zu Änderungen an der Flugzelle selbst. Ein anderes Beispiel ist Asiana-Flug 214 (777-200ER), der 2013 in San Francisco verunglückte: zwar war hier primär Pilotenfehler (unzureichende Überwachung der Geschwindigkeit im Landeanflug) ausschlaggebend, doch bemängelten einige Experten die Benutzerfreundlichkeit der Autopilot-Systeme der 777. Die Automatisierung war so komplex, dass die Crew offenbar annahm, der Autothrottle würde die Geschwindigkeit halten – was im speziellen Anflugmodus nicht der Fall war. Boeing wurde daher angeraten, die Dokumentation und Trainings dafür zu verbessern. Insgesamt bleibt die 777-Serie jedoch – gemessen an Flugstunden – eine der sichersten Großraumflugzeuge.

Boeing 787 Dreamliner: Hightech mit Startschwierigkeiten und aktueller Unfall

Die Boeing 787 “Dreamliner”, eingeführt 2011, ist Boeings modernster Langstreckenjet mit Leichtbau aus Verbundwerkstoffen und elektrointensiven Systemen. Doch gleich zu Beginn seiner Einsatzzeit sah sich der Dreamliner erheblichen technischen Problemen gegenüber. Im Januar 2013 – kaum ein Jahr im Dienst – wurden zwei schwere Batteriebrände innerhalb weniger Tage verzeichnet: In Boston geriet die Lithium-Ionen-Bordbatterie einer geparkten JAL 787 in Brand, kurz darauf zwang ein Rauchalarm in einer ANA 787 die Piloten zu einer Notlandung. Diese Vorfälle waren ernst genug, dass die Aufsichtsbehörden weltweit am 16. Januar 2013 ein Startverbot für alle 787 verhängten – das erste Mal seit 1979, dass ein komplettes Flugzeugmodell aus dem Verkehr gezogen wurde. Boeing untersuchte fieberhaft die Ursache der Batterie-Thermalrunaways, konnte aber keinen eindeutig defekten Einzelbauteil ausmachen; letztlich entschied man sich, durch ein Redesign des Batteriesystems die Sicherheit wiederherzustellen. Es wurden robustere Batterie-Zellenverbinder, bessere Ladeelektronik und vor allem ein neuartiges Stahl-Sicherungsgehäuse mit Entlüftung eingebaut, das im Fall eines Batteriebrandes die Flammen und toxischen Gase nach außen ableitet. Nach über drei Monaten Grounding erhielt die 787 im April 2013 wieder die Zulassung zum Flug. Dennoch blieb ein Rest von Unsicherheit, da die ursächlichen Mechanismen der Batteriebrände nie bis ins Letzte geklärt wurden. Immerhin bewährte sich das neue Sicherheitssystem: Im Januar 2014 kam es in Tokio erneut zu einem Batterievorfall (Rauchentwicklung in einer 787 der JAL während Wartung) – doch das überarbeitete Gehäuse fing die Hitze kontrolliert ab und verhinderte Schlimmeres.

Neben den Batterien hatte der Dreamliner auch Kinderkrankheiten bei anderen Komponenten: Probleme mit Bremsen, Treibstoffventilen, Elektronikpaneelen und der Klimaanlage wurden in den ersten Dienstjahren immer wieder gemeldet. Im Juli 2013 erlitt eine parkende äthiopische 787 in London einen Brand im hinteren Rumpf – ausgelöst durch einen Kurzschluss in einer Notfunkbake (ebenfalls mit Lithium-Batterie). Obwohl diese Vorkommnisse keine Todesopfer forderten, belasteten sie Boeings Ruf. Airlines mussten zeitweise Flugpläne streichen, und Ersatzteil-/Wartungsaktionen waren erforderlich, um die Zuverlässigkeit zu verbessern.

Die 787-Produktion selbst geriet ab 2018 in die Schlagzeilen: In Boeings Werk in Charleston (South Carolina), wo ein Teil der Dreamliner gebaut wird, monierten Mitarbeiter gravierende Qualitätsmängel. Laut einem investigativen Bericht wurden Metallspäne und Fremdkörper nahe sensibler Verkabelungen im Rumpf zurückgelassen, wichtige Bauteile schlampig montiert und Tests teils trotz bekannten Problemen “abgenickt”. Whistleblower berichteten, das Management habe Produktionsgeschwindigkeit über Qualität gestellt. Die US-Luftfahrtbehörde FAA ging den Hinweisen nach und fand tatsächlich verbleibende Metallteile in der Verkabelung – was Boeing zuvor bestritten hatte. Einige ehemalige Qualitätsinspektoren sagten sogar aus, sie würden “ihr Leben nicht einer in Charleston gebauten 787 anvertrauen”. Boeing wies diese Vorwürfe offiziell zurück, betonte aber gleichzeitig, man habe alle Mitarbeiter nochmals auf Ordnung und Sauberkeit im Fertigungsprozess hingewiesen. Dieser Fall zeigt, dass Qualitätssicherung eine dauerhafte Herausforderung bleibt, gerade bei einem so komplexen High-Tech-Flieger wie der 787.

Aktueller Zwischenfall 2025: Am 12. Juni 2025 ereignete sich der erste totale Verlust einer 787 im Liniendienst. Air-India-Flug 171 (eine Boeing 787-8) stürzte kurz nach dem Start in Ahmedabad (Indien) in ein Wohngebiet. Die Maschine war mit 242 Personen auf dem Weg nach London, als sie Minuten nach dem Abheben eine Mayday-Notfallmeldung absetzte und dann vom Radar verschwand Augenzeugen berichteten von einem niedrigen Überflug, gefolgt von einer Explosion und einem Feuerball; Trümmer regneten auf ein dicht besiedeltes Stadtviertel herab. Zum jetzigen Zeitpunkt (Stand 12. Juni 2025) ist die Unglücksursache noch ungeklärt. Die indischen Behörden (DGCA) haben zusammen mit Boeing ein Untersuchungsteam entsandt. Mögliche Hypothesen – rein spekulativ – reichen von einem Triebwerksausfall kurz nach dem Start bis zu einem abrupten Strömungsabriss (Stall) durch technisches Versagen. Fest steht, dass die Maschine voll betankt war und der Absturz deshalb ein großes Feuer auslöste, was auf schwere Verluste unter Passagieren, Crew und möglicherweise Personen am Boden schließen lässt. Genaue Opferzahlen und Hintergründe werden erst in den kommenden Tagen durch die Unfallanalyse geklärt werden. Dieses tragische Ereignis rückt den Dreamliner – nach Jahren relativer Betriebssicherheit – wieder in den Fokus der Sicherheitsdebatte.

Boeing-intern: Managementfehler, Kulturprobleme und Aufsichtsversagen

Viele der genannten technischen Probleme wurden durch interne Fehlentscheidungen und Versäumnisse bei Boeing begünstigt. In den vergangenen Jahren trat zutage, dass Unternehmenskultur und Management einen erheblichen Einfluss auf die Sicherheit der Flugzeuge haben:

  • Druck vs. Sicherheit: Ehemalige Boeing-Ingenieure und Whistleblower werfen dem Management vor, aus Kostendruck und Konkurrenzgründen die Sicherheitskultur verwässert zu haben. Nach der Fusion mit McDonnell Douglas in den späten 1990ern verlagerte sich Boeings Fokus zunehmend auf Aktienkurs und Produktionszahlen. So berichtete 2019 die New York Times, in Boeings 787-Werk werde “Tempo über Genauigkeit” gestellt; wichtige Sicherheitschecks seien ignoriert oder heruntergespielt worden. In einer Anhörung vor dem US-Senat 2024 sagte Boeing-Ingenieur Sam Salehpour aus: “De facto stellen sie fehlerhafte Flugzeuge her.” Er beschrieb, dass bei der 787-Fertigung grobe Montagefehler toleriert wurden, um schneller zu liefern – etwa indem Mechaniker auf Rumpfteilen herumtrampelten, um klemmende Bauteile mit Gewalt passend zu machen. Salehpour und andere Mitarbeiter, die Bedenken anmeldeten, wurden intern zum Schweigen gedrängt oder gar bedroht, anstatt dass ihren Hinweisen nachgegangen wurde. Diese Aussagen legen nahe, dass zeitweise keine echte Sicherheitskultur im Unternehmen herrschte, was durch mehrere Pannenserien untermauert wurde.
  • Qualitätskontroll-Mängel & Whistleblower: Neben Salehpour traten weitere Whistleblower in Erscheinung. Der frühere Boeing-Produktionsexperte Ed Pierson etwa hatte schon 2018 vor gefährlichen Zuständen in der 737-MAX-Montage gewarnt: extreme Zeitpläne, Personalknappheit und Schlampereien könnten die Zuverlässigkeit beeinträchtigen. Tatsächlich wurden interne E-Mails publik, in denen Boeing-Mitarbeiter die MAX-Entwicklung zynisch kommentierten (Zitat: “Dieses Flugzeug wurde von Clowns entworfen, die von Affen beaufsichtigt werden”, in Anspielung auf unzureichend qualifiziertes Personal). Erst nach den MAX-Abstürzen kamen solche Probleme ans Licht. Boeing musste 2020 einräumen, dass z.B. in mehreren fabrikneuen 737 MAX Fremdobjekte (Metallspäne) in Treibstofftanks und Rumpf gefunden wurden – ein offensichtliches Versagen der Endkontrolle. Whistleblower-Berichte führten dazu, dass die US-Behörden Boeing strenger überwachen: 2023/24 untersagte die FAA Boeing vorerst, die MAX-Produktion hochzufahren, bis unabhängige Prüfer die Qualitätsprozesse abgenommen haben. Die Summe der Vorfälle – vom abgerissenen Rumpfteil auf einem Alaska-Airlines-Flug (Januar 2024) bis zu losen Schrauben in mehreren MAX-Maschinen – erzeugte das Bild eines Herstellers in anhaltender Krise. Im April 2024 wurden diese Missstände vor dem US-Senat verhandelt; der Tenor: Boeing habe nach den beiden MAX-Abstürzen nichts Grundlegendes verändert, so Ed Pierson. Erst unter massivem öffentlichen Druck begann der Konzern, personelle Konsequenzen zu ziehen (mehrere Führungskräfte mussten gehen) und externe Beratung zur Kulturänderung einzuholen.
  • Rolle der FAA (Aufsichtsbehörde): Die Beziehung zwischen Boeing und der FAA (Federal Aviation Administration) wurde nach dem MAX-Skandal kritisch durchleuchtet. Üblicherweise zertifiziert die FAA neue Flugzeugtypen – bei der 737 MAX überließ sie jedoch viele Prüfschritte Boeing-Ingenieuren selbst (ein gängiges Verfahren namens ODA). Eine unabhängige Expertenkommission fand 2019 heraus, dass Boeing der Behörde die Funktionsweise von MCAS nicht ausreichend erklärt hatte. Boeing habe während der Entwicklung Änderungen am MCAS vorgenommen, “offenbar ohne Wissen der Aufsichtsbehörde”. Die Informationen seien nur zerstückelt an verschiedene FAA-Teams gegangen, sodass niemand das volle Ausmaß der neuen Automatik verstand. Gleichzeitig mangelte es der FAA an erfahrenem Personal – die Prüfer waren überlastet, teils nicht genug geschult für hochautomatisierte Systeme. So übersah man kritisch, dass MCAS im Fehlerfall das Flugzeug aggressiv nach unten drücken konnte. Nach den Abstürzen hagelte es Kritik: Die FAA habe Boeing zu sehr vertraut und quasi den Bock zum Gärtner gemacht. In Konsequenz wurden 2020–2021 die Zulassungsprozesse reformiert: mehr Unabhängigkeit, engere Überprüfung von Softwareänderungen, und international forderten Behörden wie EASA zusätzliche Nachweise, bevor sie die MAX wieder fliegen ließen. Boeing geriet auch juristisch unter Druck – das US-Justizministerium warf dem Unternehmen Betrug bei der Flugzeugzertifizierung vor. Anfang 2021 hatte Boeing einen Deal ausgehandelt (Strafzahlung gegen Einstellung der Strafverfolgung), doch nachdem Boeing gegen Auflagen verstieß, musste der Konzern 2024 ein Schuldeingeständnis abgeben. Boeing bekannte sich bereit, sich wegen “Verschwörung zum Betrug an den USA” in Bezug auf die 737 MAX schuldig zu bekennen. Damit räumte Boeing faktisch ein, die FAA bei der Zulassung getäuscht zu haben. Dieses beispiellose Eingeständnis zeigt, wie schwer das Vertrauen in Boeing und die Behörde erschüttert war. In Zukunft soll die FAA deutlich strikter agieren: So wurde die Zertifizierung der nächsten Boeing-Modelle (etwa der 777X) erheblich verzögert, bis Boeing nachweist, dass alle Sicherheitsanforderungen erfüllt sind – ein direkter Lerneffekt aus dem MAX-Debakel.
  • Maßnahmen und Ausblick: Angesichts der anhaltenden Krise bemühte sich Boeing, gegenzusteuern. Der Vorstand trennte die Rollen von CEO und Chairman, um die Machtfülle von Dennis Muilenburg (dem damaligen Chef) zu reduzieren. Nach Muilenburgs Entlassung Ende 2019 übernahm David Calhoun, der versicherte, “hundertprozentige Transparenz” herstellen zu wollen. Boeing richtete interne Sicherheitsgremien ein, u.a. ein “Product Safety Committee”, besetzte einige technische Führungspositionen neu und stärkte die Stimme der Ingenieure im Unternehmen. Diese Veränderungen zeigen erste Wirkungen, doch Senatoren wie Tammy Duckworth bleiben skeptisch: In der Anhörung 2024 monierte sie, Boeing habe keine greifbaren Belege für eine tiefgreifende Verpflichtung zu Sicherheit liefern können – man müsse Boeing an Taten messen, nicht Worten. Die FAA überwacht Boeing nun engmaschiger; so wurde im Frühjahr 2024 die Auslieferung mancher 737 MAX gestoppt, bis ein Problem mit fehlerhaften Anbauteilen (geliefert vom Zulieferer Spirit) behoben war.

Boeing steht damit am Scheideweg: Der Hersteller muss verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem er höchste Sicherheitsstandards konsequent einhält und eine Kultur etabliert, in der Safety First nicht nur ein Slogan ist. Die tragischen Erfahrungen – vom Ruderausfall der 90er über die MAX-Krise bis zum aktuellen Dreamliner-Absturz – unterstreichen, dass technische Exzellenz und transparente Sicherheitsarbeit für Boeing überlebenswichtig sind. Nur so lassen sich weitere Katastrophen verhindern und das Fliegen für die Öffentlichkeit so sicher wie möglich gestalten.

TS
Quellen: Reuters, Tagesschau, Wikipedia, NTSB (National Transportation Safety Board), New York Times, Spiegel, EASA & FAA Veröffentlichungen, India Today & Times of India