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Trendhobby Pilzesammeln: Der Wald als «bullshitfreie Zone»

Es ist Herbst und Pilzhochsaison. Durch die Wälder sieht man nun häufiger Sammler streifen. Einem Pilz-Influencer geht es beim Sammeln gar nicht so sehr um den Ertrag.

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Dem Influencer folgen auf Instagram Tausende.
Foto: Lilli Förter/dpa

Im Speckgürtel von Großstädten wie Berlin tummeln sich dieser Tage die Pilzsammler – das Hobby im Wald scheint zu boomen. «Ich habe schon den Eindruck, dass es mehr Interessenten gibt als noch vor zehn Jahren», sagt Wolfgang Bivour, Vorsitzender des Brandenburger Landesverbandes der Pilzsachverständigen. 

Auch die sozialen Medien trügen zu dieser Entwicklung bei, befindet Bivour. Es gebe etwa zig Facebook-Gruppen, auf denen Pilze «bestimmt werden sollen». «Da tummeln sich viele Menschen. Da wird viel gepostet.» Die Pandemie habe sicher dazu beigetragen, dass Menschen in die Natur gingen und so mit dem Pilzesammeln in Berührung kamen, vermutet Bivour. «In diesen Jahren habe ich viel mehr Leute getroffen, die sich in der Landschaft bewegt haben.»

Wie sehr das Thema Pilze mittlerweile in den sozialen Medien stattfindet, zeigt sich auch im Erfolg von Pilz-Influencern. Dem wohl bekanntesten Pilz-Influencer «pilzaddicted» folgen bei Instagram rund 240.000 Menschen. 

Moritz Schmid gehört ebenfalls zu den Pilz-Influencern. Seine Videos werden immerhin teilweise von fünfstelligen Zahlen angeklickt.

Im Wald «am besten allein»

An einem bewölkten Oktobertag ist Moritz Schmid wieder unterwegs – unterwegs in den Pilzen. «Der Wald ist einfach eine bullshitfreie Zone. Da hast du keinen Raum für deine Mails und das Handy», sagt der Pilz-Experte trotz seines Influencer-Daseins.

Jede Woche sei er mindestens zweimal im Wald, meist auf der Suche nach Pilzen, häufig in einem Wald unweit seines Hauses im Südosten von Berlin. «Am besten allein. Ich bin dann nur für mich.»

Kaum ist er aus dem Auto ausgestiegen, landen die ersten Pilze im Korb. Erst der Klopftest, dann der Drucktest. Die häufigste Vergiftung beim Pilze-Essen sei auf überständige Pilze zurückzuführen – also Pilze, die bereits anfangen zu gammeln. «Dann ist das Eiweiß bereits in der Zersetzung und aus Speisepilzen werden für Magen und Darm giftige Pilze», erklärt er. Er nehme daher auch lieber kleine als große und ältere Pilze.

Ruhe in der Natur suchen

Doch ihm gehe es nicht ums «Haben, Haben, Haben», betont Schmid. Ziel sei es nicht, die tägliche Mahlzeit zu sichern, sondern der Wald an sich – die Ruhe, das Mit-sich-selbst-sein, das Beobachten und Lernen von der Natur. «Erst einmal in Ruhe sammeln.» 

Etwas verwundert schaut er deshalb auf ein paar andere Sammler, die an diesem Tag schon von weitem hörbar ihrer Pilzsuche nachgehen. «Haaallllooo, Hallloooooo», brüllt jemand durch den Wald. Schmid schüttelt den Kopf.

Der Antrieb der Pilzsammler weite sich, sagt Verbandschef Bivour. Es seien längst nicht mehr nur die «klassischen Speisepilzsammler». Das Interesse an sogenannten Vitalpilzen habe zugenommen. Viele der Sucher würden sich ausschließlich auf sie konzentrieren, diese als Tee auskochen und sie etwa bei Magenbeschwerden nutzen. 

Geschmackstest mitunter nötig

Trotz der zahlreichen Foren im Internet und Bestimmungs-Apps gibt es nach wie vor jährlich viele Vergiftungen, die auf Pilze zurückzuführen sind. Einige enden sogar tödlich. «Vergiftungen durch den Verzehr selbst gesammelter Pilze kommen immer wieder vor», schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung. Die Giftinformationszentren der Länder beantworten jedes Jahr tausende Anfragen zu Pilzen.

Experte Schmid sagt, er empfehle grundsätzlich «keine Experimente» bei Pilzen zu machen. Dennoch gebe es eine ganze Palette an Pilzen, die ein tolles Geschmackserlebnis böten, es aber selten in die Pilzkörbe schafften. Da wäre etwa die Gattung der Täublinge. Diese seien nicht per se ungenießbar. Mitunter brauche es einen Geschmackstest, sagt Schmid. Seien die Pilze beim Zerkauen scharf, sollte man besser die Finger davon lassen.

Auch Schmid klärt eine vermeintliche Pilzwahrheit auf: Der Fliegenpilz ist nicht zwangsläufig tödlich giftig und führt in der Regel nur bei stark geschwächten Personen zum Tod. Es wäre notwendig, eine sehr große Menge des Pilzes zu verzehren – jedoch rät er auch davon ab, Experimente damit zu machen, da der Konsum zu starken Halluzinationen führen könnte. Einige Menschen schwören darauf, dass der Fliegenpilz in Wodka eingelegt und äußerlich angewendet ein Heilmittel gegen Gelenkschmerzen sei – das sei unbedenklich.

dpa