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Valencia ein Jahr nach der Flut: Wiederaufbau und Wut

Die Jahrhundert-Flut hat tiefe Spuren hinterlassen: Milliarden-Schäden, zerstörte Existenzen – und das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Die Betroffenen lassen sich nicht unterkriegen.

Die wirtschaftlichen Schäden werden auf 17 bis 18 Milliarden Euro geschätzt. (Archivfoto)
Foto: Alberto Saiz/AP/dpa

In der Nacht zum 30. Oktober 2024 wurden durch sintflutartige Regenfälle weite Gebiete der spanischen Region Valencia zu einem Katastrophengebiet. Innerhalb weniger Stunden fiel so viel Regen wie sonst in einem Jahr. Hinzu kamen teils orkanartige Winde und Hagel. Über 220 Menschen verloren ihr Leben, Tausende wurden verletzt oder obdachlos. Die wirtschaftlichen Schäden belaufen sich auf geschätzte 17 bis 18 Milliarden Euro.

Straßen wurden zerstört, Fabrikhallen weggespült, Felder verwüstet. Die Bilder enger Dorfstraßen, durch die Wassermassen tosen, überschwemmter Vororte von Valencia, riesiger Schrottberge aus zusammen und übereinander gespülten Autos und verzweifelter Menschen vor ihren von Wasser und Schlamm verwüsteten Häusern gingen um die Welt.

Die offenen Wunden

Zwölf Monate später sind die Straßen zwar wieder befahrbar, viele Geschäfte geöffnet, und das öffentliche Leben scheint weitgehend normal zu sein. Doch die Katastrophe hat tiefe Wunden hinterlassen – nicht nur in Landschaften, Häusern und Bilanzen, sondern auch im Vertrauen in die Institutionen.

Hinter der Fassade der Normalität kämpfen viele immer noch mit den Folgen der Katastrophe. Für Tausende ist die Flut keine Erinnerung, sondern ein Ereignis, das ihr Leben dauerhaft verändert hat. Sie stehen vor einem Scherbenhaufen. Ohne Ersparnisse und ohne stabile Arbeit, oft ohne ein richtiges Zuhause.

Mit Frau und Kindern auf zehn Quadratmetern

Wie etwa Paco. Der 34-Jährige muss mit Frau und den beiden Kindern in einem Zehn-Quadratmeter-Zimmer die Nächte verbringen, weil ihr Haus trotz der Hilfen bis jetzt nicht total instand gesetzt ist. «Ich habe Zukunftsangst und jede dritte, vierte Nacht Alpträume», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Tausende auf Tafeln angewiesen

Paco geht es noch vergleichsweise gut. Nach Angaben der Stiftung Fundación Madrina sind rund 20.000 Familien noch immer auf Lebensmittelausgaben angewiesen, um über die Runden zu kommen. «Viele mussten die staatlichen Hilfen vollständig in den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser stecken», sagte Stiftungsleiter Conrado Giménez dem TV-Sender Antena 3. Andere Helfer wie Isabel Caro erzählen von der Not. «Wir sehen vor allem Familien mit Kindern und ältere Menschen, die praktisch ohne Ressourcen dastehen.»

Vor den Ausgabestellen bilden sich lange Schlangen. Auch José Ramón steht an. «Ich musste durchs Fenster fliehen, weil ich im Erdgeschoss wohnte», erzählte er Antena 3. Seine Wohnung wurde vollständig überflutet. Mit öffentlicher Hilfe und letzten Ersparnissen hat er sie notdürftig wieder aufgebaut. «Ich habe alles verloren – Kleidung, Möbel, Geräte. Jetzt bekomme ich hier Lebensmittel und Putzmittel. Ohne das ginge es nicht.»

«Dana» wurde nach dem Horror Wort des Jahres

Auslöser des Dramas war eine «Dana», ein meteorologisches Phänomen, das vor allem im Herbst schwere Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen und Sturzfluten verursacht, insbesondere im Mittelmeerraum. Es entsteht, wenn eine isolierte, sehr kalte Luftmasse in der Höhe auf warme, feuchte Luft in Bodennähe trifft. Wie schon bei anderen Naturkatastrophen verwiesen Experten auf den Klimawandel, der es wahrscheinlicher mache, dass es zu derart heftigen Unwettern komme, weil sich das Mittelmeer immer stärker erwärme und damit auch die bodennahe Luft, die mehr Feuchtigkeit aufnehme. 

Mehr als 300.000 Menschen waren unmittelbar betroffen, über 11.000 Wohnhäuser unbewohnbar. Schulen und Krankenhäuser waren für Monate nur begrenzt nutzbar, tausende Familien mussten in Notunterkünften leben. Vor allem ältere Menschen und Familien ohne Versicherungsschutz verloren fast alles.

Gleichzeitig war die Welle der Solidarität überwältigend. Nachbarn, Freiwillige und NGOs organisierten Hilfslieferungen und Unterkünfte. «Ohne die Nachbarschaft hätten wir nicht überlebt», wurde María Torres, deren Haus in Alzira zerstört wurde, von Regionalmedien zitiert. Ein Jahr nach der Katastrophe kämpft ein Teil der Bevölkerung noch immer um Entschädigung.

Politisches Erdbeben ohne Rücktritt

Auch für die Politik war das Unwetter eine Katastrophe. Die Regionalregierung unter Präsident Carlos Mazón steht seither massiv in der Kritik: Warnungen über die Handys seien zu spät erfolgt und Evakuierungen zu zögerlich organisiert worden, lauten die zentralen Vorwürfe. Zehntausende gingen seit der Flut immer wieder auf die Straße und forderten Mazóns Rücktritt. Der konservative Politiker räumte zwar «Fehler» ein, blieb aber im Amt.

Die Meldungen über Fehler am Tag der Katastrophe sind schwerwiegend. Es gibt einen Strafprozess gegen die damaligen Verantwortlichen. Obwohl bereits am Nachmittag des 29. Oktober die ersten Notrufe eingingen, wurde erst um 20.11 Uhr eine Warnung an alle Mobiltelefone in der Gegend gesendet. Zu diesem Zeitpunkt standen bereits viele Straßen unter Wasser, und viele konnten nicht mehr fliehen.

Um 16.41 Uhr gingen die ersten Notrufe ein über eingeschlossene Menschen in überfluteten Wohnungen oder auf Hausdächern und erste Tote. Bis sich der Krisenstab zu der Handy-Warnung durchrang, gab es rund 15.000 Anrufe bei der Notrufzentrale. Wegen der viel zu späten Warnung tragen viele der Demonstranten gegen Mazón seither Hemden mit der Aufschrift «20:11 Ni oblit ni perdó» (Valencianisch für «Kein Vergessen kein Vergeben»). Das Vertrauen vieler Menschen in die Institutionen hat gelitten.

Die linke Zentralregierung in Madrid reagierte mit der Ankündigung eines großen Hilfsprogramms im Umfang von 10,6 Milliarden Euro. Später kamen noch weitere 1,35 Milliarden hinzu. Auch die EU mobilisierte Gelder, insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro aus verschiedenen Fonds. Doch bleibt die Kritik bestehen: Hilfen träfen zu langsam ein, ländliche Gemeinden fühlen sich abgehängt.

Milliardenschäden und langsamer Aufschwung

Die wirtschaftliche Bilanz ist dramatisch: Die Gesamtschäden werden auf mindestens 17 bis 18 Milliarden Euro geschätzt. Betroffen waren nicht nur Wohnhäuser und Infrastruktur – über 141.000 Fahrzeuge wurden zerstört, 800 Kilometer Straßen und 550 Kilometer Schienen beschädigt. Besonders die Landwirtschaft litt: Zehntausende Hektar mit Zitrusfrüchten und Gemüse wurden vernichtet.

Großunternehmen haben oft schneller Hilfe erhalten, während kleine und mittlere Unternehmen weiterhin ums Überleben kämpfen. Trotzdem gibt es positive Entwicklungen: Die Bauwirtschaft und der Dienstleistungssektor profitieren von den Investitionen in den Wiederaufbau. Laut den Veranstaltern brachte der Valencia-Marathon am 1. Dezember 2024 trotz der Katastrophenstimmung fast geschätzte 40 Millionen Euro touristischen Umsatz in die Stadt.

Auch ökologische Wunden

Die ökologischen Schäden sind enorm, neben den menschlichen und wirtschaftlichen Opfern. Industrieabwässer, Öle und Chemikalien wurden von den Fluten in Flüsse und Feuchtgebiete gespült. Böden wurden durch Schlamm und Erosion beschädigt.

Die entscheidende Frage ist, ob aus der Katastrophe Lehren gezogen werden: bessere Frühwarnsysteme, resilientere Infrastruktur, nachhaltige Stadt- und Regionalplanung. Denn Klimaforscher erwarten, dass wegen des Klimawandels solche Extremwetterereignisse in Spanien künftig häufiger auftreten werden.

dpa