Ein deutscher Spieleentwickler ließ sich von einem Buchladen inspirieren und gewann drei Preise mit seinem Spiel "Tiny Bookshop".
Neoludic: Vom Buchladen zum Spielestudio

Fast wäre einer der besten deutschen Computerspiele-Entwickler in die alte analoge Welt abgebogen. Bei einer Neuseeland-Reise 2019 habe er einen alten Mann beobachtet, erinnert sich David Zapfe-Wildemann, Gründer des Gamingstudios Neoludic aus Köln. Der habe vor einem Bauwagen gesessen, in dem eine kleine Second-Hand-Buchhandlung untergebracht war. «Er saß davor, unter einem Sonnenschirm, hat selbst gelesen – Kunden kamen raus, gaben ihm Geld für ein Buch, er nahm das Geld und las weiter.»
Die Szene habe etwas beeindruckend Entspanntes gehabt. Er habe kurz überlegt, umzusatteln und selbst eine Buchhandlung zu eröffnen. «Es war wie ein Tagtraum: Ich dachte mir, ich höre jetzt auf und mache das jetzt hier – ich wollte kein Spieleentwickler mehr werden.»
Der heute 27-Jährige ist jedoch in der Spielewelt geblieben, hat sein Games-Studium abgeschlossen und im Jahr 2021 zusammen mit seinem Studienkollegen Raven Rusch (29) das Independent-Studio Neoludic gegründet. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen fünf Mitarbeiter.
Seinen neuseeländischen Tagtraum hat Zapfe-Wildemann zumindest etwas wahr werden lassen und ihn zum Kern seiner Erfolgsgeschichte gemacht: Er nutzte die damalige Buchladen-Szene als Inspiration für ein Computerspiel namens «Tiny Bookshop» (Winziger Buchladen), das sich bei der Verleihung der Deutschen Entwicklerpreise am Dienstagabend in Köln in drei Kategorien durchgesetzt hat, und zwar als «Bestes deutsches Spiel», als «Bestes Indie Game» und für die «Beste Grafik». Neoludic war der große Gewinner des Abends.
Worum es in «Tiny Bookshop» geht
Im Spiel kontrolliert der Spieler einen Buchhändler in einer Küstenstadt, der seinen Kunden Buchempfehlungen gibt und sie bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützt. Er kommuniziert mit den Bewohnern der Stadt, beispielsweise indem er einem Yoga-Club beitritt. Durch Werbung und aufmunternde Worte hilft der Protagonist einem Stammkunden namens Klaus, dem Rocker, sein erstes Heavy-Metal-Konzert zu besuchen.
Touristen, die in Massen von ihrem Kreuzfahrtschiff an Land strömen, sorgen zunächst für Umsatz an der Kasse des Buchladens, doch irgendwann werden sie den Einheimischen lästig – und so kann der Protagonist zu einem Trick greifen, um sie loszuwerden. Alternativ übt er Geduld und die Touristen verschwinden irgendwann von selbst.
«Tiny Bookshop» ist ein «Cozy Game» (gemütliches Spiel), bei dem es nicht ums Gewinnen geht, der Protagonist kann nicht verlieren. Seine Entscheidungen verändern die Handlung, ohne dass sie richtig oder falsch sind. Der Protagonist sammelt Briefmarken und Polaroid-Fotos, neben den titelgebenden Büchern sind dies weitere Bestandteile einer analogen Welt. «Das Game ist eine Flucht in eine utopische Welt, ganz ohne soziale Medien», sagt Rusch. Zapfe-Wildemann sieht das Game als Hymne auf einen entschleunigten, selbstbestimmten Lebensstil in einer post-kapitalistischen Welt.
Bei der Verleihung der Deutschen Entwicklerpreise fand Felix Falk vom Branchenverband Game als Laudator lobende Worte: «Mit Herz, Handwerk und einem unverwechselbaren Stil lässt das Gewinnerspiel Kreativität, Wärme und Gemeinschaft miteinander verschmelzen.»
«Tiny Bookshop» kam im August auf den Markt, seither wurde es nach Angaben seiner Entwickler bereits mehr als 500.000 Mal verkauft – eine beachtlich hohe Zahl für ein Spiel eines Independent Studios. Ihre Erwartungen sehen die Gründer deutlich übertroffen.
Jagd auf Nazis bekommt zwei Auszeichnungen
«Tiny Bookshop» wurde mehrmals gegen das Spiel «The Darkest Files» von Paintbucket Games durchgesetzt, jedoch wurden die Berliner in zwei anderen Kategorien ausgezeichnet («Bestes Gamesdesign» und «Bestes Game Beyond Entertainment»). Das Spiel handelt von einer Staatsanwältin, die im Nachkriegsdeutschland Altnazis verfolgt und ungesühnte Verbrechen bestraft. Das Berliner Entwicklerstudio Toukana Interactive wurde zum «Studio des Jahres» ernannt – es hatte die Spieleszene vor einigen Jahren mit «Dorfromantik» aufgemischt, einem entspannten Aufbauspiel mit Nostalgie-Flair.
Sorgenfalten in der Branche glätten sich
Die Computerspiele-Branche in Deutschland hat in den letzten Jahren turbulente Zeiten erlebt. Während der Coronazeit stieg die Nachfrage nach Spielen enorm an – die Menschen verbrachten viel Zeit zu Hause und spielten viel. Nach diesem Höhenflug kam es jedoch zu einem Absturz, der auf Schwankungen in der Förderpolitik des Bundes und einer zunehmenden Zurückhaltung der Investoren zurückzuführen war. Mehrere Studios mussten schließen.
Die Situation hat sich verbessert, wie eine Umfrage des Verbands Game zeigt: 29 Prozent der befragten Unternehmen sind sehr oder eher optimistisch bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Branche, was mehr als doppelt so viele sind wie vor zwei Jahren (12 Prozent). Die Bundesregierung hat den Fördertopf in Zeiten knapper Staatskassen deutlich erhöht, im nächsten Jahr sollen 125 Millionen Euro bereitgestellt werden. Die leidenschaftliche Gamerin Dorothee Bär (CSU) hat die Zuständigkeit für Games in ihr Bundesforschungsministerium verlagert.
Nachdem das Wehklagen der Branche über zu wenig Bundesmittel jahrelang laut war, könnte es künftig zu der merkwürdigen Situation kommen, dass im Fördertopf mehr Geld ist als gebraucht wird. «Die größte Sorge ist, dass das Geld jetzt nicht abfließt», sagte Computerspiele-Lobbyist Falk bei der Entwicklerpreis-Show und appellierte an die 500 Gäste: «Schreibt fleißig Anträge und macht fantastische Spiele, damit wir gemeinsam vorankommen.»








