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Organisierter Ladendiebstahl auf dem Vormarsch

Tätergruppen stehlen hochwertige Ware, verkaufen auf Graumarkt. Händler schätzen Schaden auf fast eine Milliarde Euro.

Der Einzelhandel in Deutschland klagt über eine deutliche Zunahme von Ladendiebstählen. (Illustration)
Foto: Oliver Berg/dpa

Die meisten Menschen stellen sich einen Ladendieb möglicherweise als jemanden vor, der möglichst heimlich und unauffällig vorgeht, mit schwitzigen Händen und versteckten Blicken. Doch in der Realität hat sich dies mittlerweile geändert.

«Tätergruppen fahren gezielt durch Innenstädte, stehlen hochwertige Ware – Parfüm, Schuhe, Elektronik – und verkaufen sie auf dem Graumarkt», sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), im Gespräch mit dem Portal «t-online.de». Das Forschungsinstitut EHI stellte in einer Studie fest: «Ladendiebstähle werden immer häufiger organisiert begangen. Entweder als beauftragte Einzeltäter oder in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung.»

Laut den befragten Händlern machen solche Taten schätzungsweise rund ein Drittel der Ladendiebstähle im Wert von fast einer Milliarde Euro aus. Die Tendenz ist steigend.

Britische Verhältnisse?

Drohen dem deutschen Einzelhandel britische Verhältnisse? Dort eskaliert die Situation seit einigen Jahren, ganze Banden gehen organisiert und teils brutal vor, oft ohne Scheu, die Gesichter nicht vermummt. Von einer «Epidemie des Ladendiebstahls» sprechen Experten auf der Insel seit längerem. 

Zwischen April 2024 und März 2025 wurden insgesamt 530.643 Ladendiebstähle in England und Wales vom britischen Statistikamt registriert. Dies bedeutet eine Steigerung um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die tatsächliche Anzahl wird jedoch auf ein Vielfaches höher geschätzt. Laut dem Verband Association of Convenience Stores gab es allein mehr als 6,2 Millionen Fälle, wie die BBC berichtete.

Auch in Deutschland steigen die Zahlen. «Der Schaden durch Ladendiebstahl lag 2024 bei drei Milliarden Euro – 20 Prozent mehr als 2022», sagte HDE-Chef Genth. Außer organisierten Banden machten auch aggressive Einzeltäter Sorgen, die Mitarbeiter angriffen, wenn sie erwischt werden.

Wer stiehlt und was?

Laut EHI nimmt zudem wegen der zuletzt schlechten wirtschaftlichen Lage die Zahl der Menschen zu, «die sich bestimmte Produkte nicht mehr leisten können oder wollen». EHI-Experte und -Studienautor Frank Horst sagte Ende Juni bei Vorstellung des Berichts: «Immer häufiger klauen auch Senioren und Familien.» 

Laut einer Untersuchung des EHI sind beliebte Diebesgüter hauptsächlich alkoholische Getränke, Markenkleidung, Sneakers, Elektrogeräte und Tabakwaren. In Drogerien werden Parfüms, Kosmetik, Babynahrung und Rasierklingen von Ladendieben ins Visier genommen.

Ein Grund für den Anstieg ist der Mangel an Personal. Insbesondere in kleineren Läden ist es oft nur eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Dienst, der mehrere Aufgaben erledigen muss und häufig nicht schnell genug reagieren kann.

Manche Experten sind überzeugt, dass die Selbstbedienungskassen, die immer mehr in Geschäften zu finden sind, häufigeren Diebstahl erleichtern. Es sei davon auszugehen, dass der Ladendiebstahl um 15 bis 30 Prozent höher liege als an bedienten Kassen, sagte EHI-Experte Horst zu Jahresbeginn. HDE-Chef Genth weist das zurück: «Diesen Zusammenhang können wir nicht bestätigen.»

«98 Prozent der Diebstähle werden nicht angezeigt»

Bei der Strafverfolgung sieht Genth Defizite. «Händler erstatten Anzeige, und die Staatsanwaltschaften stellen anschließend aus Effizienzgründen ein. In der Konsequenz melden viele Händler frustriert viele Ladendiebstähle nicht mehr bei der Polizei», sagt er. «Deshalb ist die Dunkelziffer extrem hoch: 98 Prozent der Diebstähle werden nicht angezeigt.»

Genth fordert gesetzliche Änderungen, Investitionen in Sicherheit und eine bessere Ausstattung der Justiz. «Ich fürchte Zustände wie in den USA, wo fast alles hinter Glas liegt. Das ist ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber allen Kunden – obwohl über 90 Prozent ehrlich sind.» Der Staat müsse deshalb die Strafverfolgungsbehörden besser ausstatten.

Für die Händler kostet es viel Geld, sich gegen Diebstahl zu schützen. Rund 1,5 Milliarden im vergangenen Jahr, etwa für Videoüberwachungen, Schulungen und zusätzliches Sicherheitspersonal, heißt es vom HDE. «Und es führt dazu, dass immer mehr Waren weggeschlossen werden. Ich fürchte Zustände wie in den USA, wo fast alles hinter Glas liegt», sagt Verbandschef Genth. Unrealistisch erscheint das nicht: Die Mehrzahl der Händler rechnet eher damit, dass vor allem der organisierte Ladendiebstahl in Zukunft noch zunehmend wird.

dpa