In Zeiten von OnlyFans und Co kaum vorstellbar: Erst im Januar 1975 wurde das totale Verbot der Verbreitung von Pornografie in der Bundesrepublik Deutschland aufgehoben. Wie lief das damals ab?
Wie der Porno nach Deutschland kam
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Die Frage, ob Pornografie zu wahrer sexueller Befreiung führt, wird wahrscheinlich für immer unbeantwortet bleiben. Die heute oft diskutierten negativen Seiten von Pornografie wie Sucht, Probleme bei der Regulierung des Internets oder die oft schlechten Produktionsbedingungen werden hier nicht behandelt. Es geht hier um eine (sexuelle) Revolution: Vor 50 Jahren wagte die Bundesrepublik den Schritt, das bisherige totale Verbot der Verbreitung von Pornografie zugunsten einer begrenzten Freigabe aufzuweichen.
Am 28. Januar 1975 wurde der neu formulierte Paragraf 184 des Strafgesetzbuches wirksam (der jedoch bereits 1973 gegen den Widerstand der CDU/CSU-Opposition von der sozial-liberalen Koalition beschlossen wurde). Es blieb verboten, Pornografie an Orten anzubieten, die Jugendlichen zugänglich sind, wie zum Beispiel in Kiosken, ebenso wie die Verbreitung im Rundfunk. In der DDR blieb Pornografie offiziell bis 1990 verboten und war nur als Schmuggelware erhältlich.
«Durch die Abgrenzung „weicher“ von „harter“ Pornografie sollte die Gesetzesauslegung vereinfacht werden», sagt der Kulturhistoriker Paul M. Horntrich. «Bestraft werden sollte jetzt nur mehr das, was man als sozialschädlich ansah.» Gemeint sind Darstellungen, die Betrachter zu Straftaten verführen könnten, also sexualisierte Darstellungen im Zusammenhang mit Gewalt, Tieren, Kindern und Jugendlichen.
Abkommen aus den 1920ern führt in 70ern zu Verzögerung
Die sogenannte einfache Pornografie wurde stattdessen für Erwachsene freigegeben. Die Bundesrepublik war hier zwar etwas langsamer, aber nicht völlig hinterher, wie Horntrich erklärt. Der Sexualitätshistoriker verfasste an der Uni Wien eine Doktorarbeit zu diesem Thema und zählt zu den wenigen Experten auf diesem Gebiet, das nach wie vor oft als Schmuddelkram abgetan wird.
Dass die Pornofreigabe erst 1975 in Kraft trat, obwohl schon zwei Jahre zuvor eine wilde Debatte gelaufen und der Beschluss im Bundestag gefallen war, hatte eine lange Vorgeschichte. «Deutschland war 1923 einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen beigetreten, das auf Bestreben des Völkerbundes in Genf erlassen worden war», sagt Horntrich. Dieses Abkommen sei immer noch gültig gewesen und musste erst gekündigt werden, wenn man nun eben solche Produkte, deren Vertrieb das Abkommen verhindern sollte, freigeben wollte.
Das Abkommen, das damals über 50 Jahre alt war, wurde am 25. Januar 1975 aufgehoben. Die geänderte Version von Paragraph 184 wurde ab dem 27. Januar wirksam.
Deutsche Freigabe hat eine Vorgeschichte im Norden
«Etwa zeitgleich mit Deutschland liberalisierten auch Frankreich, Italien und Portugal», sagt Horntrich. «Österreich folgte verspätet 1977 mit einer Teilfreigabe.» Bis Beginn der 90er gaben dann weitere Länder ihre totalen Pornoverbote auf und liberalisierten die entsprechenden Gesetze.
Globaler Vorreiter gewesen war aber das kleine Dänemark mit seiner Tradition des «Frisind» (Freisinn/Toleranz, gerade in der Sexualmoral oder auch gegenüber alternativen Lebensstilen), wie der Historiker Detlef Siegfried erklärt.
«Der Beschluss des Folketings von 1967 rückte Dänemark ganz ins Zentrum der internationalen Debatte um die vielfach erstrebte sexualmoralische Liberalisierung westlicher Gesellschaften», schreibt der Deutsche, der an der Uni Kopenhagen lehrt, in seinem zeithistorischen Buch «Alternative Dänemark» über die damalige Entscheidung des dänischen Parlaments.
Am 2. Juni 1967 wurde die Veröffentlichung pornografischer Texte durch das Parlament genehmigt, und am 1. Juli 1969 wurde durch eine weitere Änderung des Paragrafen 234 des Strafgesetzbuches die Veröffentlichung pornografischer Fotografien erlaubt. Beide Entscheidungen wurden mit großer Mehrheit getroffen. Im Jahr 1971 zog dann Schweden nach und erlaubte Pornografie.
«Schweinerei, das kann man doch nicht zeigen»
Ab Ende der 60er bis Mitte der 70er gab es einen zum Teil recht verlogenen Sextourismus nach Dänemark – vor allem von deutschen Männern. Historiker Siegfried zitiert etwa aus einem Interview aus dem Jahr 1969, das der heute noch aktive Publizist Henryk M. Broder mit einem Fachhändler in Kopenhagen für die Zürcher Underground-Zeitschrift «Hotcha!» führte.
Aus westdeutschen Reisebussen kamen, wie Leo Madsen damals zitiert wurde, immer so etwa 40 Leute in sein Geschäft, «sehen sich die Magazine an und reden darüber. „Hast du das gesehen, das ist doch unverschämt, so was sollte man verbieten, Schweinerei, das kann man doch nicht zeigen!“ Nach einer Stunde oder zwei kommen dieselben Leute wieder, sehen sich erst vorsichtig um und dann sagen sie: „Geben Sie mir dieses Magazin und das dort“, alles soll rasch gehen, schnell in die Tasche damit und nichts wie weg.»
Auch der Wiener Historiker Horntrich beschreibt die Jahre ab 1969 als eine Zeit des Umbruchs, bis 1975 in der Bundesrepublik aber eben ohne «rechtliche Klarheit». Nach Dänemarks Freigabe überschwemmten immer mehr pornografische Erzeugnisse den deutschen Markt, die Justiz schien überfordert. In Deutschland entstanden Publikationen wie die «St. Pauli Nachrichten», die oft aber lieber heimlich («unter dem Ladentisch») verkauft wurden, weil Händler nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen wollten.
Wichtiges Bundesgerichtshof-Urteil schon 1969
Ein wichtiger innerdeutscher Meilenstein, der die ganze Dringlichkeit der rechtlichen Veränderung in der Bundesrepublik damals aufzeigt, ist das «Fanny-Hill-Urteil» von 1969. «Der Bundesgerichtshof beschäftigte sich damals mit dem Buch „Fanny Hill“, einem pornografischen Klassiker aus dem 18. Jahrhundert, und entschied, dass der Staat nicht länger mittels Strafrecht die Einhaltung einer bestimmten Sexualmoral veranlassen sollte», erklärt Horntrich.
Durch dieses Urteil – ähnlich dem bereits 1965 in Dänemark gefallenen Briefroman von John Cleland, wie Historiker Detlef Siegfried sagt – kam es zu einer Abkehr vom Moralprinzip. Die Justiz ging nun davon aus, dass Erwachsene selbst entscheiden können sollten, welche Inhalte sie konsumieren wollen. Der Staat sollte nur noch dort regulieren, wo sozial schädliche Inhalte vermutet wurden.