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Der Trend zu spontanen Restaurantbesuchen in deutschen Großstädten

Die Gegenbewegung zu Reservierungswahn und Double-Seating: Walk-ins sind wieder «in». Gastronomen setzen auf offene Orte ohne Verpflichtungen.

Wer im Restaurant einen Tisch reserviert und nicht erscheint, wird manchmal vom Wirt zur Kasse gebeten. (Archivbild)
Foto: Christoph Reichwein/dpa

Früher war Spontanität in Deutschland weit verbreitet. Man konnte einfach ins Wirtshaus oder in die Gaststätte gehen, ohne vorher zu reservieren, sein Essen bestellen, schnell essen und am Ende bar bezahlen.

Und wie sieht es heute aus? Der Besuch im Restaurant, der sowieso schon viel günstiger erschien, ist besonders in teuren Gegenden viel aufwändiger – oft muss man in Großstädten lange im Voraus planen und reservieren, um einen Tisch zu bekommen. Das erinnert manchmal an einen Termin beim Facharzt.

Viele Foodies sind nicht begeistert von dem Reservierungswahn und dem zunehmend üblichen Double-Seating (90-Minuten-Zeitfenster in beliebten Restaurants, damit ein Tisch nicht den ganzen Abend nur einmal besetzt ist).

Die Gegenbewegung: sogenannte Walk-ins. Sprich: Auf Laufkundschaft zu setzen, scheint wieder «in» zu sein.

Das liegt wohl auch daran, weil einige Menschen die Reservierkultur mit No-shows (Nicht-Erscheinen) oder «Reservation Ghosting» (Plötzlich unerreichbar bei zuvor bekundetem Interesse) missbrauchen. Doch dazu später mehr. 

«Uns war wichtig, einen Ort zu schaffen, der ohne Verpflichtungen auskommt», sagt der Gastronom Sören Zuppke. Er ist in Berlin einer der Betreiber angesagter Locations wie «Trio» und «Otto» und neuerdings vom «Pluto», das in Prenzlauer Berg eine Weinbar für Nachbarn, Freunde, Familie sein wolle, «ganz ohne Menüzwang oder lange Vorausplanung».

«Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen»

Dass sie im «Pluto» keine Buchungsmöglichkeit anbieten und keine Zeitslots vergeben, erklärt Zuppke so: «Wir fühlen uns selbst sehr hingezogen zu offenen Orten, wo man einfach reinschneit – sei’s für ein schnelles Glas und einen Teller Schinken oder für einen langen Abend mit mehreren Flaschen Wein. Jeder ist willkommen, ganz ohne Plan. Reservierungen würden dem Ganzen nur die Leichtigkeit nehmen.»

Ähnlich funktioniert in Berlin-Mitte in einem früheren Supermarkt auch das «Pinci», das sich Tagesbar nennt und etwa social-media-taugliches Trüffel-Toast serviert. Botschaft bei Instagram: «No Reservations». 

Hier kann es vorkommen, dass sich eine längere Warteschlange bildet, als ob es das beliebteste Gericht des Internets gäbe, wie virale Bagels, Pizzas, Tacos, Eisbomben oder gehypte Nudeln.

Die stylishen Lokale der Big-Squadra-Gruppe in München, Berlin und Hamburg («Giorgia», «Coccodrillo», «Edmondo») betonen, zwar mit Reservierungen zu arbeiten («Kalender öffnet 30 Tage im Voraus»), jedoch auch begrenzt verfügbar «Walk-in-Tische» bereitzuhalten.

Trotzdem wird deutlich, dass die Gastronomie in den Metropolen heute ziemlich anders funktioniert als in der Zeit vor dem Smartphone.

Trotz aller Modernität können auch traditionelle Lokale zum Tiktok-Trend werden. Ein gutes Beispiel dafür sind die Wiener Kaffeehäuser, in die die Leute früher entspannt hineinspazierten, wenn sie – um es mit den Worten des österreichischen Schriftstellers Alfred Polgar zu sagen – Gesellschaft zum Alleinsein suchten.

«Es werden laufend Tische frei»

Heute bilden sich, anders als vor 20 Jahren, oft Schlangen vor traditionsreichen Häusern wie «Demel» oder «Prückel». Das «Café Central» in der Herrengasse wirbt immerhin damit, «dass nicht alle Tische ausreserviert werden». Man solle gern einfach vorbeikommen. «Es werden laufend Tische frei.»

Die Nostalgie-Lust in Netzzeiten zeigt auch das Beispiel der verwandten Pariser Steak-Restaurants «Relais de Venise» (mit Dependancen in New York, Mexiko-Stadt, Monaco und London) und «Relais de l’Entrecôte» (Restaurants auch in Genf und Zürich). Deren Konzept: «No Booking», außerdem Kellnerinnen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und nur ein einziges Menü (Hauptgang: Roastbeef mit würziger Buttersauce und dünnen Pommes).

Der Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) ordnet den «No Booking»-Trend, die «Walk-in»-Mode, die Restaurants in Los Angeles, New York oder London gefühlt schon seit vielen Jahren zelebrieren, im deutschen Sprachraum dennoch eher als ein Randphänomen ein.

No-shows und sehr kurzfristige Absagen nehmen zu

«Es gibt einige Restaurants, die inzwischen ganz bewusst auf Reservierungen verzichten, um sich vor den wirtschaftlichen Folgen von No-shows zu schützen», sagt Anwalt und Rechtsexperte Jürgen Benad. Dieses Konzept funktioniere in bestimmten Betriebstypen, «etwa in stark frequentierten Lagen mit viel Laufkundschaft». Das sei jedoch keine Lösung für alle.

Gemäß den Angaben der Dehoga-Mitglieder haben No-shows und sehr kurzfristige Absagen in den letzten Jahren zugenommen.

Benad sagt: «Häufig fehlt Gästen das Bewusstsein dafür, wie viel organisatorischer Aufwand hinter der Tischplanung eines Restaurants steckt. Besonders ärgerlich ist dies für Betriebe mit wenigen Tischen oder einem hochwertigen Speisenangebot im Fine-Dining-Bereich.» Es sei dann meist unmöglich, kurzfristig einen anderen Gast für den freigewordenen Tisch zu gewinnen – der wirtschaftliche Schaden sei entsprechend hoch.

Bei Stornogebühren drohen Rachebewertungen im Internet

Maßnahmen gegen dieses Verhalten mancher Reservierenden führen jedoch rasch zu neuen Problemen. Wenn Gastronomen den ohne Nachricht Fernbleibenden eine für diesen Fall bei der Reservierung angekündigte Rechnung schicken oder Stornobeträge von der vorher erfassten Kreditkarte abbuchen, handeln sie sich rasch Rachebewertungen auf Onlineportalen ein.

Außerdem könne es ja auch sein, dass Gäste etwa wegen gesundheitlicher Notfälle nicht erschienen, sagt Benad. «Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – besonders gegenüber Stammgästen, die kein Gastronom verlieren möchte.»

dpa