Es ist eine wundersame Geschichte: Im November 2022 erfror ein deutscher Obdachloser auf dem Petersplatz. Nun ist er als Apostel auf einem Altargemälde zurück.
Wie ein deutscher Bettler in Rom zum Heiligen wurde

In Rom ist es jetzt auch in den Nächten wieder kalt. Die Obdachlosen, die jeden Abend rund um den Petersplatz übernachten, bringen zusätzliche Schichten Zeitungen und Karton mit. Auch wenn es nicht so bitterkalt ist wie vor drei Jahren im November, als ein Deutscher hier starb, ist Burkhard Scheffler jetzt zurück. Er wird als Petrus auf einem Altarbild einer Nebenkirche des Petersdoms dargestellt. Heiliger geht kaum.
Die Geschichte, warum ein verstorbener deutscher Bettler nun im Zentrum der katholischen Kirche als Apostel mit dem Schlüssel zum Himmelreich auf einem Heiligengemälde zu sehen ist, ist recht kompliziert. Es gab keinen großen Plan dafür. Abgesehen von vielen Zufällen waren beteiligt: der inzwischen ebenfalls verstorbene Papst Franziskus, ein italienischer Popstar, ein bekannter deutscher Maler und die Vereinten Nationen.
10.000 Obdachlose in Rom und im Vatikan
Aber der Reihe nach. Scheffler war einer von vielen Obdachlosen, die das ganze Jahr über unter den Kolonnaden des Petersplatzes übernachten. Der Vatikan erlaubt dies. Die überdachten Säulengänge bieten Schutz vor Wind und Regen. Außerdem sind die Touristen hier eher bereit, Geld zu geben als an anderen Orten in der Stadt. Im Sommer reicht eine Decke oder ein Schlafsack. Im Winter stellen die meisten ein Zelt auf.
Scheffler, geboren 1961, lebte so mehrere Jahre lang. In Obdachlosenheimen wollte er nicht übernachten. Er kam aus dem Ruhrgebiet, war früher Ingenieur. Alleinstehend, Kinder hatte er keine. Meist war er mit dem Rucksack unterwegs, Basecap auf dem Kopf und dazu eine Flasche Bier. Mit der Zeit hatte er einen gewaltigen Bart. So tauchte er 2017 in einem Video des Rockmusikers Jovanotti auf, einer Art italienischem Herbert Grönemeyer, in den Sekunden 19 bis 21. Das Lied heißt «Oh, vita!». Ach, das Leben! Zehn Euro bekam er dafür.
«Der sieht aus wie Petrus»
Mit seinem Bart fiel der Bettler auch Michael Triegel auf. Der Maler aus Leipzig, der auch den früheren deutschen Papst Benedikt XVI. porträtiert hat, ist oft in Rom. Im Winter 2018 sah er Scheffler im Stadtteil Trastevere auf der Schwelle einer Kirche sitzen. «Ich habe sofort gedacht: Der sieht aus wie Petrus. Wenn du irgendwann einen Petrus für ein Bild brauchst – das ist dein Petrus.»
Scheffler willigte ein, sich malen zu lassen. Triegel brauchte eine halbe Stunde nur. Die beiden redeten nicht groß miteinander. «Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er Deutscher war», erinnert sich der Maler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Am Ende gab er 70 Euro. Aus der Skizze wurde ein Porträt «Römischer Bettler», das inzwischen in Leipzig hängt.
Wegen Streits um Standort zwei Jahre in Rom
Triegel verwendete das Porträt auch, als er beauftragt wurde, einen neuen Mittelteil für ein im 16. Jahrhundert stark beschädigtes Altargemälde von Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) aus dem Naumburger Dom in Sachsen-Anhalt zu malen. Dort ist der Obdachlose aus Rom nun inmitten anderer moderner Figuren auf goldenem Grund als Petrus mit rotem Basecap zu sehen, der Zweite von rechts.
Bis vor kurzem wusste niemand, dass das Vorbild für den Apostel Burkhard Scheffler hieß und nicht mehr am Leben ist. Der Bettler wurde an einem Novembermorgen 2022 unter den Kolonnaden tot aufgefunden. Er war über Nacht erfroren, 61 Jahre alt. Die Nachricht erreichte auch den damaligen Papst. Franziskus nahm den Deutschen in sein nächstes Sonntagsgebet auf. Zudem sorgte dafür, dass Scheffler auf dem Campo Santo Teutonico ein Grab erhielt, dem deutschen Friedhof neben dem Petersdom.
Erst Fotos brachten Gewissheit
Und nur so erhielt der Petrus auf dem Gemälde auch einen Namen und eine Geschichte: Es gibt seit einiger Zeit Streit darüber, wo der umgestaltete Cranach-Altar im Naumburger Dom stehen soll. Die Denkmalschützer der UN-Kulturorganisation Unesco beschäftigen sich mittlerweile sogar damit. Es wird befürchtet, dass dem Dom der Status als Welterbestätte entzogen wird. Aus diesem Grund wurde das Altargemälde vorübergehend nach Rom ausgelagert.
In der Kirche des Campo Santo Teutonico steht es nun, wenige Schritte entfernt von Schefflers Grab. Erst hier fiel auf, dass der Petrus auf dem Gemälde und Scheffler identisch sind. Gewissheit gab es erst durch die wenigen Fotos, die es von dem Bettler gibt. Auch Triegel erfuhr erst so, wie das Vorbild für seinen Petrus hieß und was aus ihm wurde. «Wenn er jetzt einen Namen bekommen hat und wieder an ihn gedacht wird, dann hat sich das gelohnt», sagt er. «Der liebe Gott wird sich dabei etwas gedacht haben.»
Das Altargemälde wird in den nächsten zwei Jahren in Rom ausgestellt. Bis dahin hoffen die Menschen in Naumburg, dass eine Lösung für den Standortstreit gefunden wird. Unter den Obdachlosen auf dem Petersplatz hat sich jedoch noch nicht herumgesprochen, dass einer von ihnen jetzt nur wenige Meter weiter als Petrus hängt. Niemand kann sich an einen Deutschen erinnern, der hier erfroren ist, unter den Leuten, die sich an diesem Novemberabend in ihre Decken einwickeln.








