Manche Dinge gehören zur Wiesn dazu: Bier, Dirndl – und sexuelle Übergriffe. Auch in diesem Jahr ist mit traurigen Statistiken zu rechnen. Doch es gibt auch einen Lichtblick.
Wie schützt das Oktoberfest Frauen vor sexueller Gewalt?
Wiesn, das ist Tradition, Fahrgeschäfte, gute Stimmung – aber auch Rausch, Gewalt und sexuelle Übergriffe. Die bayerische Polizei betont, dass sie in diesem Jahr ein besonderes Augenmerk auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben will. «Jede Belästigung und jede Tätlichkeit in diesem Bereich ist eine zu viel», betonte Polizei-Vizepräsident Christian Huber vor Beginn der Wiesn. Doch wie lässt sich das verhindern?
Immer mehr Frauen und Mädchen suchen Hilfe
Die Zahlen derer, die am «Safe Space» auf dem Oktoberfest Hilfe suchen, etwa weil sie begrabscht oder bedrängt wurden oder einfach einen Moment der Ruhe brauchen, sprechen für sich. Wurden 2023 noch 320 Frauen und Mädchen registriert, waren es 2024 schon 352. Zu Beginn der Aktion im Jahr 2003 waren es 28. Seit Jahren steige die Zahl der Frauen, die auf der Wiesn Hilfe suchen, sagt Kristina Gottlöber vom Team «Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen», das den Safe Space mitbetreibt.
Eskaliert die Gewalt gegen Frauen so sehr? «Wir glauben nicht, dass die Gewalt mehr wird. Sondern vielmehr, dass das Angebot bekannter geworden ist und den Frauen inzwischen stärker bewusst ist, dass sie sich Hilfe suchen dürfen und sich nicht alles gefallen lassen müssen», sagt Gottlöber. Während früher noch vermittelt worden sei, dass man nicht auf die Wiesn gehen dürfe, wenn man solche Übergriffe nicht abkönne, habe sich das Bewusstsein jetzt verändert. «Das ist ein gutes Zeichen, weil es einen gesellschaftlichen Wandel andeutet.»
In den Zelten sind nicht nur die Gäste gefährdet
Auch in den Bierzelten wird zunehmend das Bewusstsein geschärft, dass sexuelle Übergriffe verhindert werden müssen. Die Bedienungen auf der Wiesn stehen im Fokus, sind stundenlang von Betrunkenen umgeben und mittendrin in der enthemmten Atmosphäre des Festzelts. Eine Umfrage, die im Rahmen einer Studienarbeit im letzten Jahr von der Hochschule München durchgeführt wurde, ergab, dass 76 Prozent der befragten Bedienungen bereits sexuelle Belästigung erlebt haben.
Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu. Aber dass es nicht reibungslos ablaufen wird, darauf deuten verschiedene Aktionen in den Bierzelten hin: Seit dem letzten Jahr werden sogenannte Wendo-Kurse für die Bedienungen im Schottenhamel-Zelt oder im Armbrustschützen-Zelt angeboten, die Frauen zur Selbstverteidigung und Selbstbehauptung befähigen sollen. Dieses Jahr gab es zwei Online-Kurse, die gut besucht waren, berichtet Gottlöber.
Um den Opfern von Belästigung und Gewalt die Möglichkeit zu geben, Hilfe zu rufen, werden in den Festzelten dieses Jahr erstmals Ladestationen für Handys mit leerem Akku eingerichtet, wie die Polizei mitteilte. Darüber hinaus haben verschiedene Zelte – darunter Schottenhamel, Armbrustschützenzelt, Hofbräu Festzelt und Ochsenbraterei – sogenannte Safe-Now-Zonen eingerichtet. Mithilfe der entsprechenden App können Betroffene unauffällig und direkt Hilfe anfordern. Der Sicherheitsdienst wird dann benachrichtigt und kommt laut Angaben direkt zum Hilfesuchenden.
Fahrgeschäfte ergreifen Maßnahmen – reicht das?
Doch nicht nur in den Zelten, auch draußen werden Frauen oft nicht in Ruhe gelassen. Ein klassischer Ort dafür ist das traditionsreiche «Teufelsrad» – zum Leidwesen der Betreiberin. Das «Teufelsrad» ist einer der ältesten und beliebtesten Attraktionen auf dem Oktoberfest. Man muss sich an einer drehenden Scheibe möglichst lang festhalten. Wer runter fällt, ist ausgeschieden. Dabei kann dann auch das Dirndl hochrutschen.
Immer wieder wird dabei Frauen heimlich unter den Rock gefilmt. Das sogenannte Upskirting ist seit 2021 strafbar und kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden. «Wir versuchen von unserer Seite alles, damit das nicht wieder passiert», sagte die Betreiberin des «Teufelsrads», Elisabeth Polaczy, der Deutschen Presse-Agentur.
Upskirting ist Polaczy zufolge erst seit dem vergangenen Jahr Thema. «Man kennt das Teufelsrad und weiß, dass der Rock hochfliegen wird. Ich finde es schade, dass es so verrückte Menschen gibt, die das filmen und hochladen.»
Sie habe in Absprache mit der Stadt überall Aushänge mit den geltenden Vorschriften am Kassenhaus angebracht, die Attraktion selbst sei komplett mit Kameras ausgestattet, auf denen man Vorgänge nachvollziehen könne. Ihre Mitarbeiter seien sensibilisiert, um zu erkennen, wann jemand unerlaubt filme. Sie hätten auch schon Männer rausgeschmissen. Polaczy bietet Frauen außerdem Radlerhosen an, die diese sich unter den Rock anziehen können. Aber das Problem bleibt: «Ich kann ja nicht allen die Handys abnehmen und das Filmen verbieten», sagt Polaczy.
Zivilcourage und Alkohol: Eine schwierige Mischung
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die Dunkelziffer trotz aller Maßnahmen und verändertem Bewusstsein nach wie vor hoch ist. Viele Sexualdelikte werden nicht gemeldet.
Expertin Gottlöber sagt außerdem: Sexuelle Gewalt werde immer noch zu schnell entschuldigt, wenn sie unter Alkoholeinfluss geschehe – wogegen Frauen, die betrunken seien, immer eine Mitverantwortung gegeben werde. «Wir brauchen mehr Zivilcourage, etwa dass man Tätern die Solidarität entzieht und einschreitet – auch wenn es der beste Kumpel ist, der sich übergriffig verhält.»