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Gorgona: Europas letzte Strafkolonie

Ein Paradies mit Zäunen: Auf der italienischen Insel Gorgona existiert noch heute eine echte Strafkolonie – mitten im Tyrrhenischen Meer. Warum dieser Ort so einzigartig ist und Häftlingen eine neue Chance bietet.

Foto: Depositphotos

Versteckt, streng bewacht und doch voller Hoffnung: Gorgona, Italiens Gefängnisinsel


Gerade einmal 2,2 Quadratkilometer groß, liegt die kleine Insel Gorgona abgeschottet im Tyrrhenischen Meer vor der toskanischen Küste – etwa 35 Kilometer westlich von Livorno. Doch obwohl sie landschaftlich eher an eine mediterrane Urlaubsoase erinnert, verbirgt sie ein fast vergessenes Kapitel der europäischen Justizgeschichte: Gorgona ist die letzte aktive Strafkolonie Europas. Hier sitzen Häftlinge nicht in dunklen Zellen ein, sondern leben und arbeiten unter freiem Himmel – bewacht, aber mit einem ungewöhnlichen Maß an Freiheit und Verantwortung.

Geschichte trifft Moderne: Ein Gefängnismodell aus einer anderen Zeit


Die Strafkolonie wurde bereits im Jahr 1869 auf Gorgona eingerichtet – damals als Modellversuch für resozialisierende Gefängnissysteme. Über die Jahrzehnte blieb die Insel durchgehend ein Ort des Strafvollzugs, auch wenn sich die Bedingungen grundlegend wandelten. Heute leben auf Gorgona rund 80 Insassen, die wegen schwerer Delikte verurteilt wurden – darunter Gewaltverbrechen und organisierte Kriminalität. Die Besonderheit: Hier wird nicht bloß abgesessen, sondern produktiv gearbeitet – mit Kühen, Ziegen, Schweinen, Hühnern, Weinreben und Olivenhainen.

Wein, Käse und Resozialisierung: Die Renaissance einer Insel


Was Gorgona heute so besonders macht, ist das ungewöhnliche Modell der beruflichen Integration im Strafvollzug. Die Gefangenen bewirtschaften unter Anleitung der italienischen Gefängnisbehörde zusammen mit externen Agronomen und Winzern die Insel. Das Highlight: Ein exklusiver Weißwein, den sie in Kooperation mit der berühmten toskanischen Weinkellerei Frescobaldi produzieren. „Gorgona Bianco“ heißt der Tropfen – streng limitiert, teuer, edel. Auch Käse, Gemüse, Olivenöl und Wurst werden auf der Insel hergestellt. Die Erlöse kommen nicht nur dem Staatsbetrieb zugute, sondern auch den Häftlingen selbst. Viele von ihnen erwerben durch die Arbeit echte berufliche Qualifikationen – eine Brücke zurück in die Gesellschaft.

Ein Leben mit Regeln – aber ohne Mauern


Trotz der besonderen Freiheit bleibt Gorgona ein Hochsicherheitsgefängnis. Der Zugang ist streng limitiert. Nur einmal pro Woche fährt eine Fähre vom Festland, Tourismus ist nicht erlaubt. Besucher brauchen eine Genehmigung des Justizministeriums. Es gibt keine Bars, keine Hotels, keine Straßen. Auf Gorgona lebt man isoliert – aber nicht eingesperrt. Die Häftlinge wohnen in einfachen Gemeinschaftshäusern, es gibt feste Tagesabläufe, Therapieangebote, Landwirtschaft, Werkstätten. Gewalt oder Fluchtversuche sind selten. Viele Insassen befinden sich in den letzten Jahren ihrer Haft – und sehen in der Insel ihre letzte Chance auf einen würdevollen Neubeginn.

Letztes Modell seiner Art – und ein Vorbild?


Während überall in Europa traditionelle Strafkolonien abgeschafft wurden, hält Italien an Gorgona fest – auch weil das Modell international auf Interesse stößt. Fachleute sehen darin ein alternatives Konzept zur klassischen Gefängnisstrafe: weniger Repression, mehr Resozialisierung durch sinnvolle Arbeit. Auch ökologische Aspekte spielen eine Rolle: Die Insel wird möglichst nachhaltig bewirtschaftet, die Produkte sind biozertifiziert, Tiere werden artgerecht gehalten. Die Verbindung aus Rehabilitation, Verantwortung und Natur macht Gorgona zu einem Experiment mit menschlichem Kern – und vielleicht zur Zukunft eines humaneren Strafvollzugs.

TS
Quellen: travelbook.de