Die junge FBI-Agentin Lee Harker muss einen bestialischen Mörder aufspüren, der kryptische Nachrichten hinterlässt. Nicolas Cage brilliert als unberechenbarer, okkulter Killer in diesem atmosphärischen Thriller.
Longlegs: Ein Sommer-Horrorfilm mit Nicolas Cage als Serienkiller
Ein rätselhafter Titel. Eine Hauptdarstellerin, die vor genau zehn Jahren ihre Fähigkeiten im Horror-Genre eindrucksvoll bewiesen hat. Und Nicolas “Mr. Overacting” Cage (60), der sich für seine Rolle als titelgebender Serienmörder offenbar von seinen letzten inneren Hemmungen befreit hat. Diese Puzzleteile, kombiniert mit beeindruckender Bildsprache, scheinen den idealen Film für alle Kinobesucher geschaffen zu haben, die im Sommer einen kalten Schauer über den Rücken spüren möchten. Ist “Longlegs” (Kinostart: 8. August) daher eine eindeutige Empfehlung für alle Horror-Fans, wie es der Hype im Vorfeld vermuten lässt? So einfach ist es nicht.
Ein sechster Sinn für das Grauen – darum geht es
Die junge FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe, 31) scheint einen sechsten Sinn dafür zu haben, Serienmörder ausfindig zu machen. Davon sind zumindest ihre Vorgesetzten überzeugt und setzen sie aufgrund zunehmender Ratlosigkeit auf einen verstörenden Fall an, bei dem die Beamten bisher völlig im Dunkeln tappen. Ein bestialischer Mörder treibt anscheinend seit Jahrzehnten sein Unwesen, schlachtet ganze Familien ab und hinterlässt kryptische Nachrichten, unterschrieben mit dem Namen “Longlegs”.
Eines hinterlässt Longlegs mit Ausnahme der verschlüsselten Texte jedoch nie an den Tatorten – Hinweise darauf, dass er der wirkliche Täter ist. Stattdessen scheint es, als sorge er dafür, dass jemand anderes die grausamen Verbrechen in seinem Namen ausführt. Aber wer würde so etwas tun?
Kopfkino par excellence
Die erste Hälfte von “Longlegs” gelingt es auf beeindruckende Weise, das Kopfkino der Zuschauer zu aktivieren. Die mysteriösen Fälle könnten direkt aus der Buchreihe von Thomas Harris (83) über Hannibal Lecter stammen. Die bedrückende Kameraarbeit lässt den besorgten Blick in jeder ausgewählten Einstellung über die Leinwand wandern. Die entrückt erscheinende Hauptfigur bewegt sich wie in einem Alptraum: Auf gemächliche, zugleich äußerst atmosphärische Weise erzeugt der Film Unbehagen. Es ist das filmische Äquivalent zu einem Pflaster, das mit sadistischer Freude in Zeitlupe abgezogen wird.
Ähnlich wie in Ari Asters (38) Spielfilmdebüt “Hereditary – Das Vermächtnis” steigt der Druck mit jeder Sekunde. Geschickt eingestreute Gewaltspitzen lassen erahnen, was passiert, wenn Regisseur Oz Perkins (50) die absichtlich angezogene Handbremse im Finale seines Films endlich löst. Doch genau hier liegt das Problem von “Longlegs”. Im Gegensatz zu “Hereditary”, dessen letzte Viertelstunde eine überwältigende Kakofonie darstellt, die selbst erfahrene Horrorfans sprachlos macht, begeht “Longlegs” einen gravierenden Fehler: Die Auflösung des übersinnlichen Mysteriums wird dem Publikum buchstäblich als Gutenachtgeschichte serviert. Von allen Opfern im Film wird das Prinzip “Zeigen, nicht erzählen” vielleicht am schlimmsten verletzt.
Gegensätze ziehen sich an
Interessant ist die Darstellung der beiden Hauptprotagonisten, Agent Harker auf der einen und Scheusal Longlegs auf der anderen Seite des Gesetzes. Es ist kaum zu glauben, dass es schon zehn Jahre her ist, seit der “Screamqueen”-Stern von Maika Monroe mit dem Überraschungserfolg “It Follows” aufging. In “Longlegs” spielt sie ihre Rolle jedoch mit einer fast emotionslosen Lethargie, die nur in extremen Ausnahmesituationen durchbrochen wird. Das wirkt befremdlich, aber ohne zu viel zu verraten, schafft es der Film sehr gut, dafür im finalen Akt eine Erklärung zu liefern.
Und Nicolas Cage? Dem Hollywoodstar wurde als Regieanweisung wohl auf den Weg gegeben, sein ohnehin überkandideltes Schauspiel auf Anschlag zu drehen – und darüber hinaus. Als blondgelocktes, kreideweißes Scheusal Longlegs taucht er zwar nur sehr selten in den rund 100 Minuten des Films auf. Doch wenn er es tut, ist er jene unberechenbare Naturgewalt, als die ihn Regisseur Perkins eigener Aussage nach engagiert hat. Über die Zusammenarbeit mit dem Oscarpreisträger (“Leaving Las Vegas”) sagte Perkins: “Das ist, als würde man einen Tiger in den Film bringen. Der Tiger wird tun, was ein Tiger tut, und ich werde ihm nicht in die Quere kommen.”
Auch bei dieser Personalie ist die erste Hälfte von “Longlegs” jedoch die wirkungsvollere. Der Film spielt mit seinem Monster, zeigt es anfangs nur teilweise und schemenhaft – den Rest überlässt er der Fantasie der Zuschauer. Auf ganz andere Weise zeigt sich schließlich Cages Performance im zweiten Teil. Nicht im Dunkeln lauernd und mysteriös, sondern offen und grell tritt er als okkulter Killer auf – und absolut manisch. Das Publikum schwankt zwischen zwei Extremen: Sollte es sich vor ihm fürchten oder laut über ihn lachen? Cages Antwort darauf: Warum nicht beides?
Fazit:
Die erste Hälfte von “Longlegs” schafft eine Atmosphäre und Spannung, die die zweite Hälfte leider nicht halten kann. Wie oft im Horror-Genre ist der Weg furchteinflößender als das Ziel. Eine Enttäuschung wird “Longlegs” jedoch nur dann, wenn man sich im Vorfeld zu sehr vom PR-Hype blenden ließ. An den Hauptdarstellern liegt es nicht: Maika Monroe macht ihre Sache erneut ausgesprochen gut und Nicolas Cage erscheint zwar nur gelegentlich als Titelfigur Longlegs – umso eindrucksvoller bleiben seine Szenen im Gedächtnis. Oz Perkins’ Vergleich des Schauspielers mit einem unberechenbaren Tiger ist sehr treffend. Und in der Tat, er ließ Cage aus dem Käfig.