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Commodore Amiga: Der vergessene Multimedia-Pionier

Mit bahnbrechenden Grafikfähigkeiten und einem modernen Betriebssystem hätte der Amiga Büros erobern können, aber das Marketing versagte und die Modell-Politik war unklar.

Der Pop-Art-Künstler Andy Warhol verwendete den Commodore Amiga für die Erstellung von Kunstwerken.
Foto: picture alliance / dpa

Vor 40 Jahren fand die Premiere des Commodore Amiga in einem Theater des Lincoln Center in New York statt, um die Vorstellung des ersten Apple Macintosh anderthalb Jahre zuvor zu übertreffen. Steve Jobs, der charismatische Mitbegründer von Apple, inszenierte damals die Präsentation des ersten Macs als einen großen Moment, bei dem das Publikum vom neuartigen Würfelrechner mit synthetischer Stimme begrüßt wurde. Commodore wollte dies am 23. Juli 1985 übertreffen.

Um die Macintosh-Premiere von Apple zu übertreffen, engagierte Commodore den Pop-Art-Künstler Andy Warhol und Debbie Harry, Sängerin und Songwriterin der New-Wave-Band «Blondie». Warhol verwandelte mit dem Amiga auf der Bühne ein schnell geschossenes Digitalfoto der Sängerin in ein Kunstwerk – und zeigte somit die beeindruckenden Multimedia-Fähigkeiten des neuen Spitzenmodells von Commodore zu dieser Zeit.

Commodore hatte Anfang der 80er Jahre vor allem Erfolge mit Heimcomputern feiern können. Der 1980 eingeführte VC20 war der erste Heimrechner, der als «Volkscomputer» in großen Stückzahlen international verkauft wurde. Legendär wurde aber vor allem der Commodore 64, der 1982 auf den Markt kam: Mit mehr als 17 Millionen verkauften Geräten ist er bis heute der erfolgreichste Heimcomputer aller Zeiten.

Die beeindruckenden Verkaufszahlen des C64 konnten jedoch nicht die internen Probleme des Unternehmens verbergen. Während Apple im Januar 1984 für die spektakuläre Premiere des Macintosh gefeiert wurde, verließ der legendäre Gründer von Commodore, Jack Tramiel, das Unternehmen im Streit und übernahm den Konkurrenten Atari. Mit oder ohne Tramiel: Commodore brauchte dringend einen neuen Verkaufshit.

Amiga das nächste große Ding

Auf der Suche nach dem «next big thing» prallten im Sommer 1984 das Commodore-Management und Ex-Chef Tramiel erstmals aufeinander. Beide Seiten lieferten sich einen Bieterstreit bei der Übernahme des Start-ups Amiga – bei dem der neue Atari-Chef Tramiel den Kürzeren zog.

Das kleine Amiga-Team hatte einen Prototyp eines neuartigen 32-Bit-Rechners entwickelt, der als Fundament für eine neue Erfolgsgeschichte taugen konnte. «Er besaß phänomenale Multimedia-Kapazitäten, besonders verblüffte die Animation eines springenden Balls», sagt Andreas Stolte vom Computermuseum HNF in Paderborn. Nach der Übernahme der kleinen Firma sollte aus dem Amiga-Prototyp bei Commodore ein verkaufsfertiger Rechner werden. Tramiel orientierte sich nach der Schlappe um und fokussierte sich auf die Entwicklung des ewigen Amiga-Konkurrenten Atari ST.

Der Commodore’s neue Computer überraschte die Branche: Während Nutzer eines IBM PCs sich mit einer Grafikdarstellung von 16 Farben begnügen mussten und Mac-User vor einem Schwarz-Weiß-Bildschirm saßen, konnte der Amiga bereits 4096 Farben darstellen. Der Rechner hatte auch spezielle Chips zur Beschleunigung der Videowiedergabe. Er verfügte über integrierte Videoausgänge für Fernseher. Der Amiga war außerdem in der Lage, einen vierstimmigen Stereosound zu erzeugen, während viele Konkurrenzrechner nur Pieptöne von sich gaben.

Voller Innovationen steckte auch das Betriebssystem des Amiga. Ähnlich wie der Apple Macintosh bot die «Amiga Workbench» eine grafische Benutzungsoberfläche, die mit einer Maus bedient wurde. Das hatten Mac und Amiga dem IBM PC und seinem DOS-System von Microsoft voraus. Im Maschinenraum des Betriebssystems verfügte der Amiga aber obendrein schon über eine modernere Variante des Multitaskings, also der Fähigkeit, mehrere Programme parallel laufen zu lassen. Sie war viel robuster als das ältere Verfahren («kooperatives Multitasking»), das damals noch im Mac oder dem IBM PC genutzt wurde.

Durchbruch mit dem Amiga 500 und Games

Der Absatz des Amiga begann zunächst langsam. Aufgrund des hohen Preises zögerten potenzielle Kunden jedoch. Der erste Amiga kostete damals immerhin noch 5.595 D-Mark. Dies entspricht inflationsbereinigt heute knapp 6.300 Euro. Der Durchbruch kam 1987 mit dem deutlich günstigeren Modell Amiga 500, das ab 1.100 D-Mark erhältlich war (inflationsbereinigt heute rund 1200 Euro).

Die technischen Eigenschaften sorgten dafür, dass der Commodore Amiga schnell von der Gaming-Szene entdeckt wurde. Die überlegene Grafik und seine Soundoptionen ermöglichten viele innovative Spiele, die die Amiga-User begeisterten. Einer der ersten Titel, die für den Amiga erschienen, war «Defender of the Crown» (1986), ein Rollenspiel, das mit einer beeindruckenden Grafik und seinem Gameplay, bei dem man England erobert, überzeugte.

Das populärste Spiel aller Zeiten für den Commodore Amiga ist «Lemmings», ein Puzzle-Spiel, das 1991 erschien. Es gilt als der ikonische Amiga-Titel schlechthin und nimmt in Bestenlisten regelmäßig den Spitzenplatz ein. «Lemmings» überzeugte durch sein innovatives Spielprinzip, in dem der Spieler eine Gruppe kleiner Figuren mit verschiedenen Fähigkeiten sicher durch tödliche Levels leiten musste. Es wurde millionenfach verkauft sowie auf zahlreiche Plattformen portiert. Zu Klassikern wurden auch Amiga-Games wie «Speedball 2», «Alien Breed», «Pinball Dreams» und «Worms – The Director’s Cut».

Verpasste Chancen

Der Commodore Amiga hätte mit seinem modernen Betriebssystem und seinen herausragenden Grafikfähigkeiten auch Büros erobern können. Tatsächlich war er vielen Konkurrenzprodukten seiner Zeit in der Textverarbeitung weit voraus. Während monochrome Monitore Standard waren und Textprogramme Benutzer mit langen Steuerzeichen und Sonderbefehlen verwirrten, bot der Amiga bereits eine grafische Darstellung des gesamten Dokuments. Der Bildschirm zeigte den Text in der passenden Typographie und dem Layout, wie er später auf dem Papier erscheinen würde.

Das Management von Commodore versäumte es, die wegweisenden Multimedia-Fähigkeiten im Marketing des Amiga hervorzuheben, um ihn aus der Videospiel-Ecke herauszuholen. Eine undurchsichtige Modellpolitik trug ebenfalls zum Niedergang des Amiga bei. Ein Beispiel hierfür war der Amiga 600 im Jahr 1992, der als günstigere Version geplant war, letztendlich aber teurer als der Amiga 500 wurde. Weltweit verkaufte Commodore etwa 7,2 Millionen Amiga-Computer, davon knapp 1,7 Millionen in Deutschland. Doch das reichte nicht aus.

Mit dem Zusammenbruch des Amiga ging die gesamte Firma unter: Commodore meldete am 29. April 1994 offiziell Insolvenz an. Das Ende war jedoch nicht nur auf Managementfehler zurückzuführen, sondern auch auf Veränderungen im Markt. Der IBM PC und Klone von Compaq und anderen Herstellern eroberten den Markt, auch weil günstige Grafik- und Soundkarten die PCs multimediafähig machten. Apple hatte mit den gleichen Problemen wie Commodore zu kämpfen und stand angesichts des Vormarschs der Windows-PCs zwei Jahre später auch kurz vor dem Aus. Doch im Unterschied zu Commodore gab es bei Apple mit Steve Jobs einen Retter, der die Firma 1997 vor dem Untergang bewahrte und später zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt machte.

dpa