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«Angst-Sparen» drückt auf die Überschuldung in Deutschland

Die Zahl der überschuldeten Menschen ist laut Creditreform leicht gesunken. Einen positiven Trend können Experten dennoch nicht erkennen. Für 2025 wird mit steigenden Zahlen gerechnet.

Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland ist 2024 leicht gesunken.
Foto: Hannes P Albert/dpa

Eigentlich ist es ja eine gute Nachricht: Die Verschuldung in Deutschland ist leicht rückläufig. Experten zufolge hat dies jedoch einen ernsten Hintergrund. «Die deutschen Verbraucher sind verunsichert und haben Angst vor der Zukunft. Deshalb halten sie ihr Geld zusammen», sagt der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. Er spricht sogar von «Angst-Sparen». 

Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland ist in diesem Jahr um 94.000 auf 5,56 Millionen gesunken, wie die Wirtschaftsauskunftei Creditreform bekanntgab. Dies sei der niedrigste Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004, heißt es im neuen «Schuldneratlas Deutschland 2024». Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen, sei von 8,15 auf 8,09 Prozent gesunken. Als überschuldet gilt, wer seinen finanziellen Verpflichtungen langfristig nicht nachkommen kann. 

Der starke Anstieg, den Experten im letzten Jahr für 2024 vorhergesagt hatten, blieb aus. Anschaffungen wurden oft verschoben, sagte Hantzsch. Die ausgeprägte Sparneigung führte dazu, dass die Fälle von Überschuldung abnahmen. Dies war auf die anhaltend schwierige wirtschaftliche Lage, die Politik der Bundesregierung, den Krieg in der Ukraine sowie die Wahlen in den USA zurückzuführen.

Anstieg für 2025 erwartet

Gemäß dem HDE-Konsumbarometer und dem Konsumklimaindex der Nürnberger Forschungsinstitute GfK und NIM hat sich die Stimmung in Deutschland in letzter Zeit zwar etwas verbessert, bleibt jedoch weiterhin schlecht. Die Verbraucher tätigen nur zögerlich Einkäufe und sparen mehr. Im ersten Halbjahr 2024 haben sie laut Statistischem Bundesamt etwa 11 Prozent ihres verfügbaren Einkommens gespart. Derzeit gibt es wenig Anzeichen für eine Stimmungsänderung. Gemäß einer Umfrage der Unternehmensberatung EY erwarten nur 25 Prozent, dass sich ihre finanzielle Situation im nächsten Jahr verbessern wird.

Mit Blick auf 2025 erwartet Hantzsch, dass sich die Situation bei der Überschuldung in Deutschland verschärfen könnte. «Bei vielen Verbrauchern sind Ersparnisse aufgebraucht, sie halten das Geld teils aus Angst zusammen. Gerade für Menschen mit geringem Einkommen führt das irgendwann zu einer finanziellen Überlastung», sagt er.

Creditreform analysiert anonymisierte Daten aus offiziellen Registern, Online-Händlern und anderen Quellen. Die Berechnungsmethode für Überschuldung wurde im letzten Jahr geändert. Die Zahl 5,56 Millionen ist daher nicht mit den Daten vor 2023 vergleichbar. In den letzten Jahren ist die Überschuldung in Deutschland laut Creditreform gesunken.

Arbeitslosigkeit nicht mehr Hauptauslöser für Überschuldung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung sieht dennoch keinen Anlass zur Entwarnung. «Die Zahl der betroffenen Personen ist immer noch deutlich zu hoch. Wir können den Bedarf nicht bedienen», sagt Geschäftsführerin Ines Moers. Die Schuldnerberatungen plagen personelle Probleme. Viele Beraterstellen seien unbesetzt, so Moers. Viele Kommunen und Bundesländer stellten immer weniger Geld für zur Verfügung für die Angebote, die betroffenen Menschen helfen sollen.

Laut Creditreform ist die Situation besonders für bestimmte Gruppen weiterhin schwierig. Vor allem Geringverdiener leiden unter den hohen Energie- und Lebensmittelpreisen. Besonders häufig betroffen sind laut der Studie auch alleinerziehende Frauen. Trotzdem sind Männer insgesamt öfter überschuldet. Die höchsten Überschuldungsquoten in Deutschland wurden 2024 in Bremerhaven, Pirmasens, Gelsenkirchen, Herne und Neumünster verzeichnet.

Was führt zur Überschuldung? Seit diesem Jahr ist nicht mehr Arbeitslosigkeit der häufigste Auslöser. Die meisten Überschuldungsfälle wurden durch Erkrankung, Sucht oder Unfall verursacht. Mehr als 18 Prozent entfielen darauf. Dass Arbeitslosigkeit nicht mehr die Hauptursache ist, begründen Experten mit der stabilen Beschäftigungslage und der demografischen Entwicklung. Hantzsch prognostiziert jedoch: «Für das laufende und kommende Jahr wird der Verlust von Arbeitsplätzen wieder mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.»

«Buy now, pay later»-Angebote umstritten

Wenn es darum geht, wie sich Menschen überschulden, spielen Ratenkredite eine große Rolle. Dazu zählen auch sogenannte «Buy now, pay later»-Angebote, bei denen die Rechnung erst später beglichen werden muss. Dies wird immer stärker nachgefragt, wie Daten der Schufa zeigen. Demnach ist inzwischen fast jeder zweite neu aufgenommene Ratenkredit ein Kleinkredit unter 1.000 Euro. Creditreform sieht darin einen Grund für den erneuten Anstieg der Überschuldungsfälle bei jüngeren Menschen. 

Auch Verbraucherschützer warnen vor den Angeboten. Dies könne dazu verlocken, mehr zu bestellen, als man sich eigentlich leisten kann. «Zinsen können außerdem dafür sorgen, dass Sie deutlich mehr für einen Artikel bezahlen als bei sofortiger Zahlung», schreibt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und rät in Sachen «Buy now, pay later»: «Nutzen Sie die Funktion (…) am besten nur in Ausnahmefällen.»

Eine Lösung soll die EU-Verbraucherkreditrichtlinie bieten, die im Oktober 2023 in Kraft getreten ist und bis Ende 2025 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Diese Richtlinie sieht auch eine Prüfung bei der Vergabe von kleinen Krediten vor. Darüber hinaus sollen Verbraucher künftig klarer darüber informiert werden, welche Kosten beim Geldleihen bei der Bank entstehen.

dpa