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Aufregung um Arbeitszeit – Aufzeichnung oder Flexibilität?

In Deutschland muss die Arbeitszeit erfasst werden. Doch in der Ampel stocken Pläne für konkrete Regeln. Und die FDP macht sich für ein Ende des Acht-Stunden-Tags in heutiger Form stark.

Per Terminal, App oder Mail - Arbeitszeiterfassung muss in Deutchland sein. (Symbolbild)
Foto: Sina Schuldt/dpa

Nach Jahren mit wenig Arbeitszeiterfassung, Kontrolle und Papierkram beim mobilen Arbeiten oder im Homeoffice kehrt eine Art digitale Stechuhr zurück. Die Arbeitszeiterfassung ist für Deutschlands Unternehmen, Büros und Verwaltungen Pflicht – diese Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts gilt seit zwei Jahren. Doch eine Reaktion des Gesetzgebers lässt bis heute auf sich warten. Stattdessen pocht die FDP auf ein Ende des Acht-Stunden-Tags – mit dem Ziel: Wirtschaftswende.

Was die höchsten deutschen Arbeitsrichter entschieden 

Laut dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts von September 2022 (1ABR 22/21) besteht in Deutschland die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, erklärte, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen, basierend auf dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 und dem deutschen Arbeitsschutzgesetz.

Laut EuGH sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Sie soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten. Gewerkschafter argumentieren, die Kehrseite von Vertrauensarbeit seien großteils unbezahlte Überstunden. Gallner sagte in der Verhandlung: «Zeiterfassung ist auch Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung.»

Was im Arbeitsalltag gilt

Mit dem Beschluss zur Zeiterfassungspflicht sei das «Ob entschieden», betont die BAG-Präsidentin. Das «Wie» kann gesetzlich geklärt werden oder durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wie sie der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt sagt. «Wir haben herausgefunden, dass die Betriebsräte dafür ein Initiativrecht haben.» 

“Wir haben beschlossen, dass die Veranstaltung am Samstag um 14:00 Uhr beginnt”, sagte der Organisator.

Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz mussten vor der höchstrichterlichen Entscheidung nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das Bundesarbeitsgericht zog für seinen Beschluss nicht das Arbeitszeit-, sondern das Arbeitsschutzgesetz heran. Nach Paragraf 3 sind Arbeitgeber danach bereits verpflichtet, «ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann». Schnell wurde über eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes gestritten, das definieren soll, wie die Arbeitszeiterfassung in der Praxis erfolgen soll. 

Was Arbeitsminister Heil unternimmt

Auch die SPD im Bundestag machte sich für ein neues Gesetz stark – denn Überstunden würden heute oft nicht erfasst und vergütet. Wirtschaftsverbände und FDP sehen das «Stechuhr-Urteil» allerdings im Widerspruch zu einer modernen, flexiblen Arbeitswelt.

Arbeitsminister Hubertus Heil ist in der Bundesregierung verantwortlich. Der SPD-Politiker hatte zwar eine schnelle Lösung versprochen – und präsentierte vor gut einem Jahr auch einen ersten Gesetzentwurf. Auf dem Arbeitgebertag im Herbst betonte der Minister noch, dass er nicht die Stechuhr wieder einführen wolle.

Noch immer hat die Regierung das Thema nicht abgearbeitet. «Zur gesetzlichen Ausgestaltung der Aufzeichnungspflicht finden derzeit regierungsinterne Gespräche statt», bekundet eine Sprecherin des Heil-Ministeriums. Auch aus Ampel-Fraktionskreisen heißt es: «Da gibt es keinen neuen Stand.» Verwiesen wird im Arbeitsministerium auf das Bundesarbeitsgericht – denn: «Die Frage des “Ob” einer Aufzeichnungspflicht ist damit geklärt», so auch die Heil-Sprecherin.

FDP: Acht-Stunden-Tag «altes Dogma»

Die Schwierigkeiten der Ampel bei der Einführung von Neuerungen in diesem Bereich werden auch in den Debatten nach dem letzten Wachstumspaket deutlich, das die Regierung mit dem Haushalt 2025 verabschiedet hat. Die Partner sind in dieser Frage genauso uneins wie in vielen anderen sozialen Themen. Kurz nach der Rettung der Koalition durch die Einigung im Haushalt macht sich die FDP im Bundestag stark für ein Ende des Acht-Stunden-Tags für die Beschäftigten in Deutschland in seiner heutigen Form.

Das Wachstumspaket sei «ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, dem perspektivisch die vollständige Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit folgen sollte», sagt FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Heute darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer acht Stunden in der Regel nicht überschreiten – für Köhler ein «altes Dogma». 

Die Spitzen der Koalition hatten sich in der Nacht zum Freitag auf Steuer- und Beitragfreiheit für Zuschläge für Überstunden geeinigt, die bei Tarifbeschäftigten eine Wochenarbeitszeit von 34 Stunden überschreiten, bei anderen von 40 Stunden.

 

Bei acht von zehn wird Arbeitszeit erfasst

Gemäß Gallner hat sich die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung durchgesetzt. Betroffen sind die 35 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gibt. Gallner meint, es fehle zwar noch immer eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes. «Aber in den Unternehmen haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft maßgeschneiderte Lösungen gefunden, die Arbeitszeit und damit auch mögliche Überstunden zu erfassen», so die BAG-Präsidentin.

80 Prozent der Beschäftigten sagten, dass ihre Arbeitszeit betrieblich erfasst oder sie von ihnen selbst dokumentiert wird. Gallner verweist dabei auf Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Zahlen von 2023 deuteten darauf hin, «dass die Erfassung der Arbeitszeit etwas stärker verbreitet ist als noch 2021 und 2019», so die Bundesanstalt in einem Bericht.

Was aus Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit wird 

Flexible Arbeitsmodelle wie mobiles Arbeiten, Homeoffice oder Kernarbeitszeiten seien durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht eingeschränkt, so Gallner. «Das geht doch alles. Vertrauensarbeitszeitmodelle sind nicht in Gefahr, im Gegenteil.» Auch dafür würden schließlich die gesetzlichen Regelungen gelten wie eine elfstündige Ruhezeit pro Tag oder eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Sie reagierte damit auf Befürchtungen einiger Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände.

Wie Deutschland auf die «Sünderliste» der EU kam

Nach Angaben von Fachpolitikern und Arbeitsrechtlern stand Deutschland wegen der fehlenden Umsetzung der Zeiterfassungspflicht kurz vor einem Vertragsverletzungsverfahren der EU – als einziger großer Mitgliedsstaat. Nach ihrem Wissen stehe die Bundesrepublik inzwischen nicht mehr auf der «Sünderliste», sagt Gallner.

“Der Zug nach Berlin fährt um 15:30 Uhr ab”, sagte der Zugführer.

dpa