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Bahnchef auf Abruf? Lutz muss schlechte Zahlen verteidigen

Die Bahn gibt ein beklagenswertes Bild ab. Die Züge sind unpünktlich wie nie, und die wirtschaftlichen Ziele verfehlt der Konzern erneut. Erklären muss all das jemand, der bald womöglich weg ist.

Die Lage bei der Bahn sieht düster aus. (Archivbild)
Foto: Paul Zinken/dpa

Die Deutsche Bahn hinkt weiterhin der erhofften Trendwende hinterher. Vorstandschef Richard Lutz wird heute die Jahresbilanz für 2024 erneut mit roten Zahlen verkünden – und weiterhin behaupten, dass ein Umschwung möglich sei.

Die Zukunft des 60-Jährigen unter einer neuen Bundesregierung ist ungewiss. In den Koalitionsverhandlungen fordern Unterhändler von CDU, CSU und SPD seine Absetzung. Lutz ist seit 2017 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Acht Jahre später sieht die Lage düster aus.

Die (Un-)Pünktlichkeit – Ein historischer Tiefstwert

Im vergangenen Jahr waren 62,5 Prozent der Fernzüge pünktlich, was bedeutet, dass nicht einmal jeder zweite ICE und IC rechtzeitig ankam. Nicht berücksichtigt in dieser Statistik sind ausgefallene Züge. Ein Zug gilt erst ab einer Verzögerung von sechs Minuten als verspätet.

Im internen Strategiepapier «S3», das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, ist von einer «historisch schlechten» Pünktlichkeit die Rede. Wegen der – auch streikbedingten – Verspätungen zahlte die Bahn Reisenden 2024 fast 200 Millionen Euro Entschädigung. Das waren knapp 70 Millionen Euro mehr als im Jahr davor.

Die Baustellen – Was wird aus dem Schienennetz?

Hauptschuldige an den unzähligen Verspätungen ist aus Bahn-Sicht die marode Infrastruktur. Sie führt zu vielen ungeplanten Baustellen, die den Fahrplan zerschießen. Hinzu kommt die zu hohe Auslastung des Netzes. Teilweise sei man «bereits im Regelbetrieb, spätestens im Störfall an oder deutlich oberhalb der Belastungsgrenze der Infrastruktur», heißt es im «S3»-Papier.

Die Unterlage dient als Vorlage für ein umfassendes Sanierungsprogramm, mit dem die Bahn das Steuer herumreißen möchte. Anstelle von mehr Verkehrswachstum steht nun die Stabilisierung des gesamten Bahnsystems im Fokus. Die drei Hauptziele sind die Optimierung des Betriebs, die Sanierung der Infrastruktur und solide Finanzen. Neben einem umfassenden Stellenabbau umfasst das Konzept vor allem die Modernisierung des Kernnetzes.

Bis Anfang der 2030er Jahre sollen mehr als 40 wichtige Streckenabschnitte generalsaniert werden. 2024 begann die Sanierung der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt. Ab August steht die deutlich längere Strecke zwischen Hamburg und Berlin an. Die Bahn strebt bis 2027 eine Pünktlichkeit von 75 bis 80 Prozent mit diesen Baumaßnahmen an.

Die Finanzen – Von schwarzen Zahlen weit entfernt

Die Bahn muss auch finanziell umlenken. Es ist seit Monaten bekannt, dass sie ihre wirtschaftlichen Ziele auch 2024 verfehlt hat. Besonders im Fern- und Güterverkehr belasten die Bilanz. Im Fernverkehr erklärt das Unternehmen das Minus unter anderem mit den Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Frühjahr, die Hunderte Millionen Euro gekostet hätten.

Im Bahntower werden auch die zahlreichen Baustellen als Ursache für das negative Ergebnis genannt. Wenn sich die Fahrzeit um mehr als eine Stunde verlängert, kaufen anscheinend deutlich weniger Kunden ein Ticket.

In der seit langem kriselnden Güterverkehrssparte war der Verlust geplant, jedoch in deutlich geringerem Umfang als die etwa 330 Millionen Euro im operativen Geschäft, die angeblich im vergangenen Jahr entstanden sind. Die Tochtergesellschaft muss bis 2026 wieder profitabel werden – das verlangt die EU-Kommission.

Die Deutsche Bahn hat auch mit hohen Kosten zu kämpfen. Die Sanierung der Riedbahn allein kostete 1,5 Milliarden Euro – 15 Prozent mehr als ursprünglich geplant. Für Hamburg-Berlin sind 2,2 Milliarden Euro vorgesehen. Dazu kommen zahlreiche kleinere Baustellen, ganz zu schweigen von Aus- und Neubau sowie der Digitalisierung des Netzes.

In der Debatte um den geplanten Infrastrukturfonds der Bundesregierung in Höhe von rund 500 Milliarden Euro hat die Bahn bereits erste Maßnahmen ergriffen. Laut Unterlagen für den Aufsichtsrat benötigt das Unternehmen bis zu 150 Milliarden Euro aus dem Schuldentopf. Darüber hinaus geht die Bahn davon aus, dass bis 2034 weitere 142 Milliarden Euro aus dem regulären Haushalt fließen werden – vorausgesetzt, dass der Bund nach 2028 ähnliche Beträge wie zuletzt bereitstellt.

Die neue Bundesregierung und die Frage einer Zerschlagung

Es war lange unklar, wie die neue Regierung zu all dem steht. Im Wahlkampf forderten CDU und CSU wiederholt, Schienennetz und Bahnbetrieb zu trennen. Die Infrastruktur sollte ähnlich wie die Autobahn in eine bundeseigene GmbH überführt werden, die Weisungen unterliegt.

Inzwischen ist ein radikaler Kurswechsel unter Schwarz-Rot unwahrscheinlich. Die SPD lehnt eine Zerschlagung des Konzerns grundsätzlich ab. Die Unterhändler der drei Parteien schlagen stattdessen vor, die Infrastruktursparte InfraGo innerhalb des «integrierten Konzerns» weiter vom Konzern zu entflechten, wie aus einem Papier der Arbeitsgruppe Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen hervorgeht, das der dpa vorliegt. 

Denkbar ist zudem, dass Vorstandschef Lutz und andere Mitglieder aus Vorstand und Aufsichtsrat unter einer neuen Bundesregierung gehen müssen. Sowohl beim Bahn-Konzern als auch bei der InfraGo solle eine «Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand» angestrebt werden, heißt es in dem Papier.

Die Bahn will die Trendwende dennoch schaffen

Konzepte, wie alles besser werden soll, wurden im Berliner Bahntower am Potsdamer Platz schon viele geschrieben. Genauso regelmäßig werden selbst gesteckte Ziele verfehlt. Auf Begeisterung stoßen die aktuellen Bemühungen nicht überall: Mit «S3» bleibe die Bahn «Ideen und Transparenz schuldig», sagte der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, Martin Burkert, der selbst Mitglied des Aufsichtsrats ist. 

«Die Aufgaben für Bahnvorstand und die neue Bundesregierung sind groß. Ansonsten droht aus dem großen Sanierungsprogramm ein Abwicklungsprogramm zu werden», mahnt Burkert. Der Erfolg des «S3»-Papiers bleibt also abzuwarten – ebenso wie die Zukunft des Bahnchefs.

dpa