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Deutsche Industrie verliert gegen China im Wettbewerb

Deutsche Exporte sinken, chinesische steigen – Preisdruck und Überkapazitäten bedrohen die deutsche Industrie.

Die chinesische Autoindustrie hat auf ihrem Heimatmarkt die deutsche Konkurrenz weit hinter sich gelassen. (Symbolbild)
Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa

Im Vergleich zu China verliert die deutsche Industrie an Boden. Laut Statistischem Bundesamt sanken die deutschen Exporte im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent auf rund 1,65 Billionen Euro. Im Gegensatz dazu stiegen die chinesischen Ausfuhren um 7,1 Prozent auf über drei Billionen Euro (25,4 Billionen Yuan), wie aus einem Vergleich der Handelsbilanzen hervorgeht. Ökonomen und Fachleute sind besorgt über die Preiskämpfe chinesischer Unternehmen auf ihrem Heimatmarkt und deren Überkapazitäten, die für die deutsche Industrie gefährlich werden könnten.

Die enttäuschenden Zahlen aus deutscher Perspektive sind keine Ausnahme. Die chinesische Regierung meldete ein Exportwachstum im achten aufeinanderfolgenden Jahr, während es in Deutschland bereits im Jahr 2023 einen deutlichen Rückgang gab.

China wird für die deutsche Industrie vom Erfolgs- zum Risikofaktor

Die Veränderungen in der Welt für die deutsche Industrie lassen sich an verschiedenen Indikatoren erkennen. Zwei Beispiele: Auf der Hannover Messe waren 2014 500 chinesische Aussteller vertreten, im vergangenen Jahr waren es 1.145. Der VW-Konzern hat 2018 weltweit noch 10,1 Millionen Pkw ausgeliefert. Im vergangenen Jahr waren es 8,6 Millionen – ein Rückgang von fast 15 Prozent.

Die Hauptursache für den Rückgang war der Misserfolg in China: Volkswagen hat fast 1,3 Millionen weniger Autos ausgeliefert als sechs Jahre zuvor, obwohl der chinesische Automarkt inzwischen größer geworden ist. Die chinesischen Hersteller von Elektroautos haben die deutschen Unternehmen – einschließlich Volkswagen – weit überholt.

«Bis zum hundertjährigen Bestehen der Volksrepublik 2049 möchte China Technologieführer sein, vielleicht sogar der weltweite Technologieführer», sagt Philipp Böing, Ökonom und Professor für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität Frankfurt und dem ZEW Mannheim. «Die politischen Maßnahmen waren nicht immer effizient, aber sie waren zumeist effektiv.» 

Das Ziel: Selbststärkung

Nach den ersten Wirtschaftsreformen Ende der 1970er Jahre warb die Kommunistische Partei Chinas jahrzehntelang um die Ansiedlung ausländischer Industrieunternehmen, die im Gegenzug Zwangspartnerschaften mit chinesischen Firmen eingehen mussten. Für die deutsche Industrie war dies äußerst vorteilhaft, da Verkaufszahlen, Umsätze und Gewinne viele Jahre lang stiegen.

Doch die Pekinger Industriepolitik hatte es nie darauf angelegt, ausländische Konzerne groß und stark zu machen. Ziel war von Beginn an «ziqiang», die «Selbststärkung». Ausländischen Managern war in der Regel nicht bewusst, dass ihre Präsenz in der Volksrepublik für die chinesische Führung nur Mittel zum Zweck war. Eine ähnliche Strategie der Selbststärkung mit Hilfe ausländischer Technologie gab es schon im 19. Jahrhundert – damals erfolglos. Im zweiten Anlauf ist die Aufholjagd geglückt. 

Lehrling übertrumpft Meister

«Die chinesischen Wettbewerber haben immer weiter aufgeholt und sind zunehmend in Produktbereichen und Industriesegmenten aktiv, in denen die deutsche Industrie traditionell sehr gut aufgestellt war», sagt Böing. Insbesondere in Bereichen der Digitalisierung und der generativen künstlichen Intelligenz seien chinesische Firmen «teilweise schon über die technologische Leistungsfähigkeit deutscher Wettbewerber hinausgeklettert».

In Deutschland sei die Industrieproduktion bereits seit zehn Jahren rückläufig, sagt Jens Burchardt, Industriefachmann und Partner bei der internationalen Unternehmensberatung BCG. Hauptursache sei die im internationalen Vergleich teure Energie. «Das Problem der höheren Energiepreise wird absehbar nicht verschwinden, weil diese sich hierzulande auf einem Niveau einpendeln, das deutlich über dem anderer Länder liegt.»

Gefahr für die deutsche Industrie sieht Burchardt in erster Linie für energieintensive Branchen wie die Grundstoffchemie, an zweiter Stelle für den Automobilsektor. «Die Elektromobilität wird bereits Anfang der 2030er mehr als die Hälfte des Weltmarkts ausmachen. Deutsche Hersteller werden nur dann ihre aktuelle Rolle erhalten können, wenn sie bei elektrischen Antrieben eine ähnlich große Rolle spielen wie traditionell bei Verbrennern.» Erst dahinter, «aber trotzdem materiell», sieht die BCG eine Gefahr durch wachsende chinesische Konkurrenz für deutsche Unternehmen in Sektoren wie Maschinenbau und Elektroindustrie.

Chinas Schuldenproblem

Der Erfolg Chinas hat jedoch seinen Preis. Viele Unternehmen haben hohe Überkapazitäten auf Kredit aufgebaut. Die Verschuldung des chinesischen Privatsektors – Haushalte und Unternehmen ohne Finanzbranche – hat astronomische Ausmaße erreicht und beträgt laut Zahlen des Internationalen Währungsfonds mittlerweile über 300 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, mit steigender Tendenz. Einige Ökonomen warnen seit mehr als einem Jahrzehnt davor, dass in China eine große Finanzkrise droht.

«Typischerweise hat sich da die Strategie durchgesetzt, relativ lange auf Profite zu verzichten, ganz stark zu skalieren und zu versuchen, Wettbewerber einige Jahre lang in Schach zu halten und eines von den wenigen überlebenden Unternehmen zu sein», sagt Ökonom Böing. «Für einige Jahre ist das ein reines Verlustgeschäft und es geht nur um die Skalierung.» Das bedeutet: Ein Unternehmen produziert umso kostengünstiger, je mehr Stückzahlen es fertigt. «Die Produktion kann häufig im chinesischen Binnenmarkt gar nicht absorbiert werden und geht dann halt in den Export.»

Überkapazitäten für deutsche Firmen «extrem gefährlich»

Allein der riesige Heimatmarkt ist ein Vorteil für chinesische Firmen. «Bei Windturbinen etwa können chinesische Wettbewerber aufgrund des extremen Zubaus im eigenen Markt sehr viel Know-how und technische Kompetenzen aufbauen», sagt BCG-Berater Burchardt. «In China entstehen in sehr vielen Technologien große neue Produktionskapazitäten, die die chinesischen Hersteller in extreme Preiskämpfe zwingen, so dass sie außerhalb Chinas neue Absatzmärkte finden müssen.» Das sei für deutsche Unternehmen «extrem gefährlich».

In der Breite habe Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen technologisch führende Industrie, sagt Burchardt. «Sie sieht sich jetzt aber einem Wettbewerber gegenüber, der auch für viele moderne Technologien einen deutlich größeren Heimatmarkt hat, auf insgesamt niedrigerem Produktionskostenniveau produzieren kann und offensichtlich geringerem Kapitalmarkt- und Renditedruck ausgesetzt scheint.»

Technologiewettbewerb entscheidet Systemwettbewerb

Die weitere Entwicklung hängt nicht zuletzt vom weiteren Verlauf der von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelskonflikte ab. «Prognosen abzugeben, ist wegen der schlagartigen Politikwechsel in den USA relativ schwer», sagt Ökonom Böing. 

Eine dauerhafte Entspannung erwartet er nicht: «Dahinter steht aus meiner Sicht der Systemwettbewerb zwischen China und dem Westen, insbesondere den USA.» Über den Erfolg dieses Systemwettbewerbs werde der Technologiewettbewerb entscheiden. «Die Zölle sind jetzt quasi eine Lupe, mit der wir uns das anschauen. Ich denke, dass es da in Zukunft immer wieder auch anders gelagerte Konfrontationen im Bereich des Handels, im Bereich des Innovationswettbewerbs geben wird.»

dpa