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Zu wenig Fachkräfte-Nachwuchs – Helfen Azubi-Appartements?

Nach zwei Corona-Jahren steht auch das neue Ausbildungsjahr wegen der Folgen des Ukraine-Krieges unter keinem guten Stern. Die Frage bleibt: Wie gewinnt man den Fachkräfte-Nachwuchs, der überall gebraucht wird?

Für Studenten und Auszubildende ist die Wohnungssuche oftmals kein leichtes Unterfangen.
Foto: Christoph Soeder/dpa

Zum Start ins neue Ausbildungsjahr am kommenden Montag haben Experten und Verbände ihre Warnungen vor einem Nachwuchsmangel in vielen Branchen bekräftigt und für die Berufsausbildung geworben.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schlug als eine mögliche Gegenmaßnahme die flächendeckende Schaffung von Azubi-Apartments vor. «Wenn unsere Gesellschaft mehr Fachkräfte braucht, dann muss sie auch dafür sorgen, dass die Auszubildenden mobiler sein können und sich in der Nähe des Ausbildungsbetriebs eine Miete leisten können», sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der Deutschen Presse-Agentur.

In einem Positionspapier zum Thema, das der dpa vorliegt, spricht sich der DGB für «die Einrichtung von flächendeckenden, attraktiven Azubi-Wohnheimen in Form von Azubi-Appartements» aus. Die Miete in geförderten Appartements und Wohnheimen solle nicht mehr als 25 Prozent der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung betragen. «Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihr angekündigtes Förderprogramm für junges Wohnen schnell auf den Weg bringt», sagte Körzell.

Dreistellige Millionenbeträge vorgesehen

Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien vereinbart, ein Bund-Länderprogramm «für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende» aufzulegen. Bundesbauministerin Klara Geywitz hatte zuletzt in einem Interview mit dem DSW-Journal des Deutschen Studentenwerks gesagt: «Ich möchte das Programm Anfang 2023 an den Start bringen.» Dabei hatte sie günstige Wohnmöglichkeiten auch für Azubis betont. Der genaue Finanzrahmen werde gerade ausgehandelt. Es gehe um dreistellige Millionenbeträge, sagte Geywitz.

Dauerbaustelle Nachwuchsmangel

Zum Start in das neue Ausbildungsjahr machte der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) Friedrich Hubert Esser noch einmal deutlich, wie die Lage ist: «Das Spektrum der Fachkräfte, die zunehmend fehlen, ist groß: vom Dachdecker bis zum Softwareentwickler». Der jahrelange Rückgang der Ausbildungsvertragszahlen müsse endlich gestoppt werden. «Sonst haben wir in naher Zukunft niemanden mehr, der Windkraftanlagen baut oder moderne Heizungs- und Solaranlagen installiert.»

Damit schlug Esser auch den Bogen zur aktuellen Lage: Die politischen Ziele auf dem Papier, sich von der Abhängigkeit von Gas und Öl etwa aus Russland zu lösen, können nur schwer erreicht werden, wenn es keine ausgebildeten Leute gibt, die das mit ihren Händen auch praktisch umsetzen können.

«Uns fehlen in der Ausbildung sehr viele junge Leute», hatte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer vor wenigen Tagen gesagt. Er geht von einer Viertelmillion fehlender Fachkräfte allein im Handwerk aus. Ziele etwa beim Einbau von Wärmepumpen seien dann schwierig zu schaffen.

BIBB-Präsident Esser äußerte die Befürchtung, dass eine erhoffte Erholung am Ausbildungsmarkt nach den zwei Corona-Jahren nun in Folge des russischen Angriffskriegs doch nicht eintreten könnte, da hohe Energiepreise und die drohende Gasknappheit die Unternehmen belasten und die Rezessionsgefahr erhöhen.

Weniger Verträge und die Sache mit dem Passungsproblem

473.100 neue Ausbildungsverträge wurden im vergangenen Jahr (Stichtag 30. September) geschlossen. In den 2000er Jahren waren es im Schnitt noch etwa 585.000 Verträge pro Jahr. Das zweite Problem: Rechnerisch ist zwar für jeden, der einen Ausbildungsplatz sucht, auch einer da. Aber die Realität sieht so aus: 63.200 Ausbildungsstellen blieben im vergangenen Jahr unbesetzt – ein Plus von 3200 und mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Gleichzeitig blieben 24.600 Bewerberinnen und Bewerber unversorgt. Experten sprechen von einem Passungsproblem.

Es gibt Branchen mit Azubi-Mangel, etwa im Lebensmittelverkauf, in der Gastronomie, bei Metzgereien, Klempnerbetrieben, Kurierdiensten oder im Beton- und Stahlbau. Anderswo gibt es zum Teil mehr Bewerber als Plätze, zum Beispiel in der Mediengestaltung, Tierpflege oder Fitnessbranche. Dazu kommen regionale Unterschiede.

Berufsausbildung attraktiver machen

International sei die duale Berufsausbildung in Deutschland – die Kombination von Theorie in der Berufsschule mit der Praxisausbildung im Unternehmen ein «beachtetes Modell», heißt es bei der Kultusministerkonferenz. Das Bundesbildungsministerium nennt die berufliche Bildung einen «Erfolgsfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland».

Nach Ansicht von Handwerkspräsident Wollseifer müsste politisch aber mehr getan werden, um die Berufsausbildung auch im Land attraktiver zu machen. Er spricht von mehr Wertschätzung, mehr Anerkennung und einer auskömmlichen Finanzierung. «Unsere Bildungsstätten sowie die Berufsschulen dürfen nicht länger als bildungspolitische Stiefkinder behandelt werden. Es darf keine Zweiklassengesellschaft in der Bildungspolitik mehr geben.» Man müsse weg von der Vorstellung, dass nur ein Studium beruflichen und persönlichen Erfolg bringen könne.

Nach BIBB-Angaben können Jugendliche und junge Erwachsene mit Beginn des neuen Ausbildungsjahres aus insgesamt 327 anerkannten Ausbildungsberufen auswählen. Der Top-Ausbildungsberuf bei jungen Frauen war im vergangenen Jahr die «Medizinische Fachangestellte», bei Männern war es erneut der «Kraftfahrzeugmechatroniker».

dpa