Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Mercedes-Kunden siegen vor Gericht

Das OLG Stuttgart bestätigt unzulässige Abschalteinrichtungen bei bestimmten Diesel-Fahrzeugen von Mercedes. Verbraucherschützer fordern Schadenersatzansprüche.

Mercedes muss sich seit Jahren mit Abgas-Vorwürfen auseinandersetzen.
Foto: Marijan Murat/dpa

Ein Teilerfolg für Mercedes-Kunden wurde erzielt: Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat festgestellt, dass in bestimmten Diesel-Fahrzeugen des Autoherstellers unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut waren. Dies geht aus einem Musterfeststellungsurteil hervor, das der Vorsitzende Richter Thilo Rebmann am Donnerstag in Stuttgart verkündete. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat somit teilweise mit einer Klage Erfolg gehabt, die er im Rahmen des Dieselskandals gegen Mercedes-Benz eingereicht hatte.

Der Verbraucherschützer forderten Mercedes auf, Verantwortung für die Abschalteinrichtungen zu übernehmen. «Das Gericht hat die Auffassung des vzbv bestätigt», teilte der für Sammelklagen zuständige Teamleiter, Ronny Jahn, mit. Nun seien wichtige Weichen für Schadenersatzansprüche gestellt. 

Mercedes kündigt Revision an

Der Stuttgarter Autobauer kündigte nach dem Urteil an, beim Bundesgerichtshof Revision einlegen zu wollen. «Wir vertreten eine andere Rechtsauffassung als das Gericht», sagte ein Sprecher. Die Auslegung der komplexen Vorschriften sei zum damaligen Zeitpunkt zumindest vertretbar gewesen und nicht in der Absicht erfolgt, unrechtmäßig zu handeln. Die Ansprüche halte man weiter für unbegründet.

Mercedes kämpft seit Jahren mit Anschuldigungen bezüglich der Abgasemissionen. Im Jahr 2018 und 2019 erließ das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) Rückrufbescheide für mehrere Hunderttausend Fahrzeuge des Herstellers. Laut KBA waren in diesen Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, die die Abgasreinigung beeinträchtigten. Mercedes bestreitet die Vorwürfe und legt juristisch gegen die Bescheide Einspruch ein.

Um diese Modelle geht es

Die Verbraucherschützer haben in der Musterklage verschiedene Geländewagen-Modelle mit einem spezifischen Motortyp und den Abgasnormen Euro 5 und 6 untersucht. Diese Fahrzeuge wurden zwischen 2012 und 2016 hergestellt und waren von den KBA-Bescheiden betroffen.

Die Kammer stufte sowohl Thermofenster als auch die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) als unzulässige Abschalteinrichtungen ein. Erstere, die auch von anderen Herstellern standardmäßig verwendet wird, reduziert die Emission von giftigen Stickoxiden durch Verbrennung eines Teils der Abgase direkt im Motor. Bei kaltem Wetter wird dieser Prozess jedoch automatisch reduziert. Die Hersteller argumentieren, dass dies notwendig ist, um den Motor zu schützen. Bei der KSR führt die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu einer geringeren Schadstoffemission. Der Vorwurf lautet, dass diese Technik fast ausschließlich im Labor funktioniert.

OLG: Keine Anhaltspunkte für Anordnung aus dem Vorstand

Das Gericht wies allerdings den Vorwurf der Verbraucherschützer ab, dass Mitglieder des Vorstandes der damaligen Daimler AG den Einsatz der Abschalteinrichtungen angeordnet oder gebilligt hätten. Es habe sich um einen «Vortrag ins Blaue» gehandelt. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Vorwürfe lieferte der Verband nach Ansicht der Richter nicht.

Bei den Euro-6-Fahrzeugen stellte der Senat aber fest, dass Mitarbeiter von Mercedes «zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass es sich (…) um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt». Bei den Fahrzeugen mit der Abgasnorm Euro 5 sah die Kammer kein vorsätzliches Handeln.

Je nach Modell könnte den Verbrauchern nun entweder eine komplette Rückabwicklung des Kaufvertrags oder eine Art «kleiner Schadenersatz» zustehen. In letzterem Fall könnten sie für ihr Auto einen pauschalen Ausgleich in Höhe des Wertverlustes bekommen, der ihnen durch die verbauten Abschalteinrichtungen entstanden ist. Wie viele Autobesitzerinnen und Autobesitzer von dem Urteil genau profitieren könnten, war zunächst offen. 

Nach Angaben des vzbv hatten sich mehr als 2800 Personen der Musterklage angeschlossen. Sie müssen jedoch geduldig sein: Erst wenn das Urteil in Karlsruhe rechtskräftig wird, können sie ihre Ansprüche geltend machen. Dies müssen sie dann eigenständig tun.

Die Verbraucherschützer reichten die Musterfeststellungsklage vor fast zweieinhalb Jahren ein. Das Verfahren begann im Juli 2022, wurde jedoch mehrmals verschoben. Im Frühjahr 2023 hat der Europäische Gerichtshof die bisherige Rechtsprechung des BGH im Dieselskandal in Frage gestellt und die Hürden für Schadenersatzansprüche gesenkt. Daraufhin kam der BGH den Verbrauchern in Deutschland entgegen. Seitdem können sie berechtigte Hoffnungen auf Entschädigung haben, wenn illegale Abschalteinrichtungen verbaut sind.

Investoren-Prozess geht im Sommer weiter

Mercedes-Benz muss seit der Veröffentlichung der KBA-Bescheide regelmäßig vor Gericht erscheinen. Im Jahr 2019 wurde der Konzern aufgrund der Diesel-Verwicklungen zu einer Geldstrafe von 870 Millionen Euro verurteilt. Darüber hinaus gab es millionenschwere Vergleiche im Ausland und mehrere Strafbefehle gegen Mitarbeiter von Mercedes.

Aktuell sind in Stuttgart laut Gerichtsangaben noch rund 13.000 einzelne Dieselverfahren von Verbrauchern gegen den Autobauer anhängig. Zudem läuft ein weiteres Musterverfahren, das von Investoren angestrebt wurde. Diese werfen Mercedes vor, sie nicht rechtzeitig über den Skandal informiert zu haben, und fordern Hunderte Millionen Euro Schadenersatz. Die Fortsetzung des Verfahrens ist für den Sommer geplant.

dpa