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EU-Parlament stimmt über neue Schuldenregeln ab

Nach langer Debatte steht seit Februar ein Kompromiss zu neuen Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden. Der ist allerdings alles andere als unumstritten. Nicken die Abgeordneten ihn ab?

Grundsätzlich soll in der EU weiterhin gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf.
Foto: Oliver Berg/dpa

Das Europaparlament stimmt heute über neue Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden in der EU ab. Länder sollen bei EU-Zielvorgaben für den Abbau von zu hohen Defiziten und Schulden stärker auf ihre individuelle Lage hin betrachtet werden. Die neuen Pläne beinhalten auch klare Mindestanforderungen für das Senken von Schuldenstandsquoten in hoch verschuldeten Ländern.

Nach einer langen Debatte haben Vertreter des Europaparlaments und der Regierungen der Mitgliedstaaten Anfang Februar einen Kompromiss gefunden. Nach der Abstimmung im Parlamentsplenum müssen nun noch die EU-Staaten die neuen Regeln bestätigen. Dies ist in der Regel eine Formalität und für die kommende Woche geplant.

Was künftig gelten soll

Das bisherige Regelwerk zur Überwachung und Durchsetzung der Vorgaben für Schulden wird von Kritikern seit Langem als zu kompliziert und zu streng angesehen. Grundsätzlich soll in der EU weiterhin gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem gilt es, das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit – also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts – unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu halten.

Zusätzlich sind Schutzmaßnahmen vorgesehen: Länder mit hohen Schulden (Schuldenstand von über 90 Prozent) müssen ihre Schuldenquote jährlich um einen Prozentpunkt reduzieren, während Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte senken müssen. Deutschland hatte besonders auf diese Bedingung bestanden.

Die Gegner von strengen Regeln haben erfolgreich erreicht, dass die EU-Kommission während einer Übergangszeit den Anstieg der Zinszahlungen bei der Berechnung der Anpassungsbemühungen berücksichtigen kann. Falls Mitgliedstaaten überzeugende Reform- und Investitionspläne vorlegen, um die Widerstandsfähigkeit und das Wachstumspotenzial zu verbessern, könnte auch die Frist zur Schuldenreduzierung verlängert werden.

Geplante Regeln sind umstritten

Die Ansichten über den erzielten Kompromiss sind gemischt. Die belgische EU-Ratspräsidentschaft hat mitgeteilt, dass die neuen Regeln dazu beitragen würden, ausgewogene und langfristig tragfähige öffentliche Finanzen zu erreichen sowie Strukturreformen durchzuführen. „Aus seiner Sicht überwiegen die positiven Aspekte“, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Die EVP-Fraktion im Parlament beabsichtigt zuzustimmen.

Kritiker haben jedoch darauf hingewiesen, dass die Regeln Investitionen in Bereichen wie Klimaschutz oder Soziales einschränken. Eine Analyse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) ergab Anfang April, dass nur Dänemark, Schweden und Irland ab 2027 in der Lage sein würden, notwendige Ausgaben zu tätigen, wenn die geplanten Regeln eingehalten werden. Auch in Deutschland würden Investitionen laut der Analyse stark behindert.

Ebenso stehen die Grünen im Europaparlament dem Kompromiss kritisch gegenüber und nennen die geplante Reform eine «verpasste Chance». Es gehe vor allem um die Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft, sagte der deutsche Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen.

Was sind die Folgen?

Falls die Obergrenzen überschritten werden, können Schulden-Strafverfahren, auch bekannt als Defizitverfahren, eingeleitet werden. Daraufhin ist ein Land verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschuldung und das Defizit zu reduzieren. Dies dient hauptsächlich der Sicherung der Stabilität der Eurozone.

Die Strafverfahren wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine waren zuletzt ausgesetzt. Vor allem im Jahr 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern deutlich über der Drei-Prozent-Marke. Ab diesem Frühjahr sollen die Defizitverfahren wieder eröffnet werden können. Laut den neuesten Daten des EU-Statistikamtes Eurostat haben mehrere Länder im vergangenen Jahr die Regeln gebrochen.

Die Einigung zur Reform der aus den 1990er Jahren stammenden Regeln basierte auf Vorschlägen der EU-Kommission. Insbesondere die Bundesregierung hatte Kritik geäußert, da sie befürchtete, dass der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stark aufgeweicht würde. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Regierungen der EU-Staaten daher auf verschiedene Änderungen.

dpa