Wenn ein gebuchter Flug mehr als drei Stunden Verspätung hat, haben Passagiere Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Möglicherweise gibt es in Zukunft für Betroffene jedoch deutlich seltener Geld.
EU-Reform könnte Fluggastrechte deutlich schwächen
In Zukunft könnten Fluggäste, die von Verspätungen betroffen sind, möglicherweise weniger oft Anspruch auf Entschädigung haben. Die EU-Staaten diskutieren derzeit über eine Reform der Fluggastrechteverordnung. Verbraucherschützer schlagen angesichts der möglichen Änderungen Alarm – sie befürchten, dass in Zukunft viele betroffene Fluggäste keinen Anspruch mehr auf Entschädigung haben könnten. Auch die Bundesregierung äußert Kritik.
Was plant die EU?
Der Beginn der Reform liegt Jahre zurück: Im Jahr 2013 schlug die Europäische Kommission vor, die wichtige Fluggastrechteverordnung von 2004 (EG 261) zu überarbeiten. Dabei geht es um Änderungen in Bezug auf Entschädigungsansprüche bei Flugverspätungen. Ein Jahr später veröffentlichte das Europäische Parlament seinen Bericht dazu. Doch über Jahre hinweg gab es keine Einigung. Jetzt gibt es wieder Bewegung in dieser Angelegenheit: Das Vorhaben wird derzeit unter den EU-Staaten diskutiert.
Welche Entschädigungen stehen Fluggästen aktuell zu?
Gemäß der aktuellen Fluggastrechteverordnung haben Fluggäste Anspruch auf Entschädigung, wenn die Airline eine Verspätung von mindestens drei Stunden verschuldet hat.
- 250 Euro für Flüge bis 1.500 km
- 400 Euro für Flüge bis 3.500 km
- 600 Euro für Langstreckenflüge mit mehr als 3.500 km
Was würde sich ändern?
Der Vorschlag der Kommission zur Reform sieht vor, die Entschädigungshöhe an verschiedenen Zeiten und Strecken festzulegen:
- 250 Euro erst ab fünf Stunden Verspätung (bis 3.500 km)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 3.500 km innerhalb der EU)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km bei Flügen außerhalb der EU)
- 600 Euro ab zwölf Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km)
Welche Konsequenzen hätte die Reform für Reisende und Airlines?
Laut Flugdaten-Analysten würden nach der von der Kommission vorgeschlagenen Reform die meisten betroffenen Passagiere nicht mehr entschädigt werden. Verbraucherschützer schätzen den Anteil auf etwa 80 Prozent.
Die Entschädigungspflicht sei ein zentraler Anreiz für Fluggesellschaften, planmäßig und pünktlich zu operieren, sagte Tomasz Pawliszyn, CEO des Fluggastrechteportals AirHelp. «Sollte die Änderung angenommen werden, werden deutlich mehr und wesentlich längere Verspätungen zur neuen Normalität im europäischen Luftverkehr werden».
Diese Anpassung wäre ein gravierender Rückschritt, sagte auch die Co-Leiterin des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ), Karolina Wojtal. Die meisten Verspätungen im Luftverkehr lägen zwischen zwei und vier Stunden, die Fluggesellschaften würden daher viel Geld sparen. «Airlines könnten dazu verleitet werden, Flüge gezielt zu verspäten, anstatt sie zu annullieren, um Entschädigungen zu umgehen.»
Laut AirHelp war Deutschland im vergangenen Jahr neben Portugal und Griechenland eines der europäischen Länder mit den meisten Beeinträchtigungen im Flugverkehr, was die Pünktlichkeit betrifft.
Wie steht Deutschland zu dem Reformvorschlag?
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig hat sich klar gegen die diskutierte Änderung der Entschädigungsvorschriften ausgesprochen. «Stundenlange Flugverspätungen sind ein echtes Ärgernis», sagte die SPD-Politikerin, die in der Bundesregierung für den Verbraucherschutz zuständig ist.
Solche Verzögerungen könnten wichtige Pläne stören oder den Beginn des wohlverdienten Urlaubs verderben. „Das kostet wertvolle Lebenszeit“, sagte die Ministerin. Sie werde sich daher dafür einsetzen, dass Flugreisende auch in Zukunft ab einer Verspätung von drei Stunden entschädigt werden.
Wie schätzen Verbraucherschützer die potenzielle Reform ein?
Auch Verbraucherschützer kritisieren die geplante Reform: Zwar könnten Ansprüche künftig leichter geltend gemacht werden – etwa durch digitalere Prozesse, sagte Wojtal. «Doch gehen die wesentlichen geplanten Änderungen zu Lasten der Verbraucher.» Eine Reform dürfe nicht die aktuellen Ansprüche der Verbraucher beschneiden.
Wojtal erklärte, dass die Airlines die Gelegenheit und das schwierige wirtschaftliche Umfeld nutzten, um ihre Lobbyanstrengungen darauf zu konzentrieren, die Reform so zu gestalten, dass ihre Pflichten und finanziellen Belastungen möglichst verringert werden.
Was sagen Airline-Vertreter?
Die europäische Lobbyorganisation «Airlines for Europe» (A4E) befürwortet eine Reform mit verlängerten Zeitschwellen. «Wenn etwas schiefgeht, braucht es Zeit, um ein Ersatzflugzeug oder eine Ersatzcrew zu finden», schreibt A4E auf der eigenen Website. Durch die Verlängerung der Schwellenwerte hätten die Airlines gute Chancen, eine Lösung zu finden, die den Flugplan wiederherstelle und Passagiere ans Ziel bringe. Es käme zu weniger Flugausfällen, teilte A4E mit.
Wie geht es weiter?
Die Reform wurde bisher noch nicht beschlossen. Es ist noch unklar, ob es unter den EU-Staaten eine Mehrheit für die Änderungen gibt. Das Thema wird voraussichtlich bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister in zwei Wochen diskutiert. Außerdem muss auch das EU-Parlament zustimmen.