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Steuerraub mit Cum-Ex-Geschäften hält an, sagt Ex-Ermittlerin

Die ehemalige Chefermittlerin Anne Brorhilker warnt vor fortgesetztem Steuerbetrug durch Cum-Ex-Geschäfte trotz Gesetzesänderungen, mit hohen Risiken für Banken.

Die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist überzeugt, dass Banken immer noch Cum-Ex-Aktiendeals machen - trotz einer Gesetzesänderung (Archivbild).
Foto: Carsten Koall/dpa

Die ehemalige Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker ist fest davon überzeugt, dass Steuerbetrug mit illegalen Aktiengeschäften noch immer verbreitet ist in der Finanzwelt. «Cum-Ex läuft weiter – auch lange nach der Gesetzesänderung von 2012», sagte die frühere Oberstaatsanwältin und heutige Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende der Deutschen Presse-Agentur. 

Die Cum-Ex-Deals, die zwischen 2006 und 2011 ihren Höhepunkt hatten, werden als größter Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik angesehen. Banken und andere Investoren inszenierten ein Verwirrspiel mit Aktien und erhielten von den Finanzämtern Steuerrückerstattungen, die sie nie gezahlt hatten. Der Staat verlor schätzungsweise mindestens zehn Milliarden Euro, worauf die Politik mit einer Gesetzesänderung reagierte, die 2012 in Kraft trat.

«Die Deals sind definitiv immer noch möglich»

Brorhilker zufolge setzte der Steuerraub jedoch fort. Als Beispiel erwähnt sie eine Stiftung, die 2016 von vermutlichen Kriminellen für Cum-Ex-Deals genutzt wurde. Sie schätzt die Wahrscheinlichkeit als hoch ein, dass Cum-Ex-Geschäfte und ähnliche Cum-Cum-Deals auch heute noch stattfinden.

«Es heißt immer, die Geschäfte seien technisch inzwischen unmöglich, weil die Regelungen geändert wurden», sagte Brorhilker. Aber die Täter hätten Cum-Ex-Deals europaweit durchgeführt und damit auch in Ländern mit anderen Regelungen und Systemen als in Deutschland. «Die Täter müssen die Deals vielleicht etwas anders abwickeln, möglich sind sie aber definitiv immer noch.»

«Die Banken wissen: Keiner kann es uns beweisen»

Nach wie vor sei das Risiko für Banken, bei kriminellen Machenschaften entdeckt zu werden, sehr gering, sagte Brorhilker, die von 2013 bis Frühjahr 2024 bei der Kölner Staatsanwaltschaft für Cum-Ex-Fälle zuständig war und die Strafverfolgung wesentlich vorantrieb. «Die Banken wissen: Keiner kann es uns beweisen. Wir haben ein Kontrolldefizit, egal, welche Regeln wir aufstellen. Und die kriminelle Energie der Branche versiegt nicht.»

Ein großes Problem bei der Cum-Ex-Aufklärung sei, dass Banken Daten im Ausland horteten, sagte Brorhilker. «Banken und Steuerberater verschieben große Datenmengen in nahezu rechtsfreie Räume in anderen europäischen Staaten, doch die Strafverfolgung endet faktisch an der deutschen Grenze.» Sie habe bei Cum-Ex-Ermittlungen erlebt, dass Banken falsche Angaben gegenüber Behörden machten, dies aber nur sehr schwer überprüft werden könne. 

Die 51-Jährige fordert, dass Banken ihre Daten in Deutschland lagern müssen. «Wenn eine Finanzbehörde bei einem Friseursalon oder einer Imbissbude das Gefühl hat, dass geschummelt wird, dann kann sie überprüfen, ob das Kassensystem manipuliert ist – bei Banken ist das hingegen nicht möglich, deren technische Systeme sind so gesichert, dass kein Staat ohne Mithilfe der Bank an die Daten kommt.»

«Investmentbanken rauben uns aus»

Brorhilker war die wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin in Deutschland. Im April verkündete sie den Ausstieg aus dem Staatsdienst – verbunden mit Kritik am Umgang mit schwerer Wirtschaftskriminalität. Brorhilker fordert erneut eine schnellere Aufklärung von Cum-Ex-Geschäften sowie Cum-Cum-Deals, die den Fiskus geschätzt weitere gut 28 Milliarden Euro gekostet haben. «Wir lassen es in Deutschland zu, dass internationale Investmentbanken uns ausrauben.»

Im Rahmen von Cum-Ex-Deals wurden Aktien im großen Umfang um den Dividendenstichtag herum zwischen Beteiligten mit («cum») und ohne («ex») Ausschüttungsanspruch hin- und hergeschoben. Zahlreiche Banken sind in den Skandal verwickelt. Im Jahr 2021 entschied der Bundesgerichtshof, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung anzusehen sind. Im Falle von Cum-Cum erzielten Banken jedoch illegale Steuervorteile für ausländische Inhaber deutscher Aktien.

Vorwürfe gegen Scholz

Die Anschuldigungen gegen Kanzler Olaf Scholz reichen bis in die höchsten politischen Ebenen. Vor dem Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal in Hamburg lehnte er jegliche politische Einflussnahme entschieden ab.

Immer mehr Verdächtige werden im Zuge des Skandals verurteilt, angeführt von der Hauptfigur Hanno Berger. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt allein gegen etwa 1.700 Beschuldigte.

Brorhilker: Brauchen zentrale Behörde in Deutschland

Brorhilker ist der Meinung, dass Deutschland eine zentrale Behörde gegen schwere Wirtschaftskriminalität nach österreichischem Vorbild benötigt. Er kritisiert die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Behörden wie der Finanzaufsicht Bafin, dem Bundeszentralamt für Steuern, den Betriebsprüfern des Bundesfinanzministeriums und den Landesfinanzbehörden.

In Deutschland mangle es zudem an spezialisierten und erfahrenen Staatsanwälten. In der Justiz sei es üblich, dass Beamte häufig die Abteilung wechselten, um verschiedene Gebiete kennenzulernen. «Im Ergebnis haben die Ermittler nicht genug Zeit, sich in die komplexe Cum-Ex-Materie einzuarbeiten. Teils sind Ermittler damit befasst, die keinerlei Prozesserfahrung haben.»

Notgedrungen konzentriere sich die Justiz auf kleinere Fälle, die leichter abzuarbeiten sind, um Erfolge vorzuweisen. «Die großen Fälle bleiben liegen.» 

Erst kleiner Teil der Gelder zurückgeholt

Brorhilker kritisierte, dass die Aufklärung illegaler Aktiendeals nach wie vor schleppend verläuft. Laut Zahlen des Bundesfinanzministeriums (BMF) von Ende 2023 hat der Staat bisher nur 3,1 Milliarden Euro der entgangenen Cum-Ex-Gelder rechtssicher zurückgeholt. Es gibt 380 Fälle mit einem Volumen von 3,8 Milliarden Euro, die noch bearbeitet werden. Die Bilanz bei Cum-Cum ist noch schlechter: Bis Ende 2023 hat sich der Fiskus laut BMF lediglich 205 Millionen Euro gesichert.

Von einer neuen Bundesregierung fordert Brorhilker mehr Engagement bei der Aufklärung vor allem von Cum-Cum-Deals. «Ich erwarte, dass sie den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität zur Chefsache macht. Sonst werden viele Fälle verjähren und Milliarden an Steuergeld sind unwiderruflich weg.»

dpa