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Der VW-Skandal und seine Folgen – Ein Rückblick auf die juristische Aufarbeitung

Die Verantwortlichen stehen vor Gericht, doch Winterkorn bleibt außen vor. Die juristische Aufarbeitung zieht sich weiter hin.

Drei der vier Angeklagten im Prozess um den VW-Abgasskandal vor dem Eingang des Landgerichts Braunschweig. Am Montag soll das Urteil fallen. (Archivbild)
Foto: Julian Stratenschulte/dpa

«Manipulieren und Volkswagen, das darf nie wieder vorkommen» – mit diesem Satz trat Vorstandschef Martin Winterkorn am 22. September 2015 vor die Kamera. «Mr. Volkswagen» entschuldigte sich, räumte Fehlverhalten ein und versprach: «Wir klären das auf». 

Einen Tag später trat Winterkorn zurück und die umfassende Klärung der Verantwortung für die Manipulationen dauert bis heute an. Ein riesiges Betrugsverfahren gegen vier frühere Manager und Ingenieure – aber ohne Winterkorn auf der Anklagebank – steht nun kurz vor dem Abschluss.

Worum geht es in dem Strafprozess genau?

Im April 2019 informierte die Staatsanwaltschaft Braunschweig über ihre Anklage gegen den ehemaligen VW-Chef Winterkorn und vier weitere frühere Führungskräfte beim Autobauer. Die Strafverfolger warfen ihnen eine «Mehrzahl von Straftatbeständen», vor allem aber einen besonders schwereren Fall des Betruges vor. 

Nach einigen coronabedingten Verzögerungen begann das komplexe Verfahren unter den Pandemie-Einschränkungen mit Masken und Abstand in der Stadthalle von Braunschweig. Vor der internationalen Presse startete die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts ihren Versuch, die vermeintliche individuelle Verantwortung von VW-Führungskräften für einen der größten deutschen Wirtschaftsskandale überhaupt aufzuklären.

Es war bereits vor dem Beginn offensichtlich, dass Winterkorn auf der Anklagebank fehlen würde, da sein Prozess aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt wurde. Viele kritisierten das Fehlen des einst bestbezahlten deutschen Konzernlenkers scharf. Viele Beobachter bezeichneten den Auftakt als ohne die eigentliche Hauptperson.

Fast vier Jahre Verhandlung – Wie verlief der Prozess?

Ohne Winterkorn als Schlüsselfigur verlor der Prozess schnell an Aufmerksamkeit. Die Gruppe von Journalisten und anderen Interessierten wurde immer kleiner, bis schließlich nur noch der Kern der Prozessbeteiligten übrig blieb. Das Verfahren wurde in normale Gerichtssäle im Landgericht verlegt und fand dort vertieft in die technischen Details praktisch ohne mediale Begleitung statt.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Ingenieure und Manager stark in die Entwicklung und den Einsatz der Manipulations-Software in Millionen Fahrzeugen involviert waren. Um zu klären, wer wann was über das geheime Programm wusste, beschuldigten die vier Angeklagten sowohl ihren damaligen obersten Chef Winterkorn als auch sich gegenseitig.

So bleibt es bei gegensätzlichen Aussagen. Ingenieure, die angeblich die Abschalteinrichtung vorgeschlagen haben, behaupten: Wir haben unsere Bedenken geäußert und vor möglichen Konsequenzen gewarnt. Die Vorgesetzten kontern: Es wurde über Probleme gesprochen, jedoch niemals über illegales Handeln oder Betrug. Diese Situation blieb während 174 Verhandlungstagen mit etwa 150 Zeugen unverändert.

Was weiß man heute zur Dieselaffäre?

Der Beginn eines der größten deutschen Industrieskandale liegt lange zurück. In den 2000er Jahren wollte VW in den USA mit Dieselfahrzeugen die Konkurrenz einholen. Die Ermittler sind überzeugt, dass Probleme bei der Einhaltung von Abgasnormen zu einer Reihe von Vertuschungen im Zusammenhang mit dem Software-Trick geführt haben.

Der Skandal wurde im September 2015 aufgedeckt, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Kurz zuvor hatte VW falsche Testergebnisse zugegeben. Wenige Tage später trat Konzernchef Winterkorn zurück und der Autobauer geriet in eine der größten Krisen der Unternehmensgeschichte.

Es folgten scharfe Konsequenzen wie Haftstrafen in den USA, VW zahlte ein Milliardenbußgeld an das Land Niedersachsen und Entschädigung für rund eine Viertelmillion Dieselkunden. Seit 2018 wird in einem Anlegerverfahren gegen den Volkswagen-Konzern und die Dachholding Porsche SE um Schadenersatz für Investoren gestritten, die nach der Dieselgate-Affäre Kursverluste in Milliardenhöhe erlitten haben.

Im ersten strafrechtlichen Urteil in Deutschland wurde der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler in München wegen Betrugs zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 1,1 Millionen Euro verurteilt. Zunächst gab es eine Verständigung, aber dann legten die Verteidiger überraschend Revision ein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Kurz vor dem Urteil – Was droht den Angeklagten?

In Braunschweig waren viele Prozessbeteiligte überrascht, als die Ankläger vor einigen Tagen ihre Strafmaßforderungen vorbrachten. Die Staatsanwaltschaft forderte für drei der Angeklagten eine Haftstrafe von drei bis vier Jahren, da eine Bewährungsstrafe ihrer Meinung nach nicht ausreicht. Die Verteidigung hingegen plädierte auf drei Freisprüche und eine Verwarnung.

In emotionalen Schlussworten betonten die Angeklagten, wie kräftezehrend und ermüdend sie den fast vier Jahre langen Prozess empfanden. Die von Haft bedrohten Männer machten deutlich, dass sie das geforderte Strafmaß zehn Jahre nach dem Auffliegen des Skandals fassungslos mache. Sie bezeichneten aber auch die jeweiligen Plädoyers für die anderen Angeklagten unter anderem als «irritierend und erschreckend». 

Die vier Männer sind laut Staatsanwaltschaft des Betrugs überführt, aber sie wehren sich vehement und betrachten sich als Bauernopfer. Am Ende des Prozesses äußerten sie erneut ihr Unverständnis darüber, dass gegen andere Betroffene keine Ermittlungen mehr geführt wurden. Es wird der Vorwurf erhoben, dass sich einige Beschuldigte durch Gefälligkeitsaussagen vor der Verantwortung drücken konnten.

Das Urteil wird nun am Montag (26. Mai) nach dem 175. Verhandlungstag gefällt.

Wie geht es weiter und was ist mit Winterkorn?

Die rechtliche Aufarbeitung, die laut den neuesten Angaben des Konzerns allein VW 33 Milliarden Euro gekostet hat, ist auch nach dem Urteil noch nicht abgeschlossen. In Braunschweig sind neben dem ersten Prozess und dem Verfahren gegen Winterkorn noch vier weitere Strafverfahren aus dem Komplex gegen insgesamt 31 Angeklagte offen, wie ein Sprecher des Landgerichts sagte.

Bei neun Angeklagten wurden die Verfahren nach Angaben der Staatsanwaltschaft gegen Geldauflagen eingestellt. Gegen weitere 47 ursprünglich Beschuldigte des Gesamtkomplexes wurden die Verfahren demnach schon während der Ermittlungen gegen Geldauflagen und mit Zustimmung des Landgerichts eingestellt.

Und Winterkorn? Nach Jahren ohne große Auftritte in der Öffentlichkeit wurde er Anfang 2024 vom Oberlandesgericht Braunschweig als Zeuge im Investorenprozess befragt und wies dabei die Verantwortung für den Dieselskandal von sich. «Ich halte diese Vorwürfe für unzutreffend», sagte Winterkorn. 

Einige Monate später sprach der inzwischen 77-jährige Angeklagte vor Gericht. Er bestritt erneut die Vorwürfe gegen ihn und beklagte, dass seine erfolgreiche Karriere durch die Dieselaffäre beschädigt wurde. Ein Unfall Winterkorns führte jedoch zu einer Unterbrechung des Prozesses nach nur wenigen Tagen. Es ist völlig unklar, ob und wann das Verfahren fortgesetzt werden kann.

dpa