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Internes Papier: EU-Autoindustrie fürchtet um Millionen Jobs

Krisenstimmung in der Autoindustrie: Ein internes Papier aus der Branche warnt vor Jobabbau und Milliardenstrafen. Helfen soll ein Notfall-Artikel, der schon während Corona zum Einsatz kam.

Zu viel CO2: Wegen Treibhausgasen drohen Autoherstellern Milliardenstrafen. (Archivbild)
Foto: Marijan Murat//dpa

Ein internes Papier aus der europäischen Autobranche warnt angesichts der angespannten Lage der Autoindustrie vor dem Verlust von Millionen Jobs. Die Industrie ist nicht in der Lage, eine bevorstehende Verschärfung von EU-Klimavorgaben einzuhalten, heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt. «Folglich wird die EU-Industrie mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe konfrontiert.» Wer Strafen entgehen möchte, hat «kaum eine andere Wahl, als die Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht», heißt es.

Die “Flottengrenzwerte” sind der Hintergrund. Sie legen den CO2-Ausstoß von Autos fest. Im Durchschnitt aller in der EU zugelassenen Fahrzeuge in einem Jahr darf dieser Wert nicht überschritten werden. Derzeit beträgt er 115,1 Gramm CO2 pro Kilometer pro Fahrzeug, gemessen am WLTP-Testverfahren. Bis 2025 soll er auf 93,6 Gramm und bis 2030 auf 49,5 Gramm sinken. Hersteller müssen Strafen zahlen, wenn sie zu viel CO2 ausstoßen.

Laut dem europäischen Automobilverband Acea ist das Papier dem Verband bekannt, jedoch betont Acea, dass es sich nicht um ein offizielles Papier des Lobbyverbandes handelt. Nach Informationen der dpa ist das Schreiben authentisch und verbreitet sich innerhalb der europäischen Automobilbranche. Auch der Finanzdienstleister Bloomberg hatte zuvor über das interne Papier berichtet.

Milliardenstrafen drohen 

«Es gibt keine reinen Verbrennungsmotoren, die weniger als 95,6 g CO2/km ausstoßen», heißt es darin. Auch kaum ein Hybrid – also ein Auto, das sowohl einen Elektromotor mit Akku als auch einen Verbrennungsmotor hat – schaffe es, den Grenzwert einzuhalten. Da aber ein Durchschnittswert gebildet wird, können Hersteller beispielsweise durch die Zulassung von Elektroautos theoretisch trotzdem unter dem Grenzwert bleiben.

Laut dem internen Dokument beträgt der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines effizienten Verbrennungsmotors rund 120 Gramm pro Kilometer. Daher müsste für vier zugelassene Verbrenner ein Elektroauto zugelassen werden, um keine Strafe zahlen zu müssen. Der Anteil der zugelassenen Elektrofahrzeuge stagniert jedoch und liegt weit unter dem erforderlichen Niveau.

Deshalb könnten Strafzahlungen in Höhe von 13 Milliarden Euro allein für den Verkauf von Pkw drohen. Dazu kämen drei Milliarden Euro Strafe für leichte Nutzfahrzeuge wie Transporter. Obwohl diese andere Grenzwerte haben, fallen sie ebenfalls unter das Gesetz. Das ist eine zusätzliche Belastung für die ohnehin schon angeschlagene Autoindustrie.

Bis zu acht Fabriken dicht machen 

Das Dokument schlägt vor, um den Strafen zu entgehen, die Produktion und den Verkauf von über zwei Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren einzustellen. Dies würde der Leistung von acht Fabriken entsprechen und Millionen Arbeitsplätze gefährden.

Um zu verhindern, dass es so weit kommt, wird vorgeschlagen, einen Notfallmechanismus zu verwenden, der bereits während der Corona-Pandemie eingesetzt wurde. Laut dem im Dokument vertretenen Standpunkt könnte die EU-Kommission die Einführung strengerer Regelungen um zwei Jahre verschieben. Kürzlich hatte auch der VW-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch eine Verschiebung gefordert. Der deutsche Auto-Lobbyverband VDA drängt darauf, dass früher als geplant überprüft wird, ob die EU-Regelungen umsetzbar sind.

Umweltschützer sind empört 

«Der Vorstoß ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten: Die Autohersteller haben in den letzten zwei Jahren über 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht und hatten genügend Zeit, sich auf das seit 2019 bekannte CO2-Ziel vorzubereiten», sagte Sebastian Bock, Geschäftsführer der Umweltorganisation Transport & Environment Deutschland. Jetzt forderten sie, dass ein Notstand ausgerufen werde, um weiterhin schmutzige Autos verkaufen können. 

Der in dem Papier bemühte Artikel sei für wirkliche Notfälle wie Corona oder den Ukraine-Krieg gedacht. «EU und Bundesregierung dürfen nicht zulassen, dass der Klimaschutz dem Managementversagen einiger Autokonzerne zum Opfer fällt», so Bock. 

Für Marion Tiemann von Greenpeace ist es «ein Armutszeugnis, wenn VWs Chefaufseher kurz vor knapp mehr Zeit beim Klimaschutz fordert.» Die Flottengrenzwerte seien vor mehr als fünf Jahren beschlossen worden, der Konzern habe reichlich Zeit gehabt, sich anzupassen. «Das Jammern über angeblich zu strenge Grenzwerte kann die fehlende langfristige Strategie nicht verdecken.» 

Autoindustrie einer der größten Arbeitgeber

Laut Angaben aus der Branche arbeiten im europäischen Automobilsektor allein in der Produktion fast drei Millionen Menschen. Wenn man alle Aktivitäten aus dem Umfeld der Automobilindustrie wie den Verkauf von Fahrzeugen hinzurechnet, sind es laut Acea rund 13 Millionen Menschen.

dpa