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Neue Impulse für Landwirtschaft: Scholz und Koalition suchen Lösungen

Nach wochenlangen Bauernprotesten bemüht sich die Regierung um Entlastungen und Finanzierung für Tierhaltungsumbau.

Lud die «Zukunftskommission Landwirtschaft» zum Austausch ein: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Traktoren sind erneut auf den Feldern unterwegs. In zahlreichen Dörfern herrscht jedoch weiterhin Unmut über die Agrarpolitik in Berlin. Trotz wochenlanger Bauernproteste gegen das Ende der langjährigen Diesel-Vergünstigungen bemüht sich die Koalition, der Branche mit alternativen Entlastungen entgegenzukommen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beteiligt sich und traf sich mit der Regierungskommission zur Zukunft der Landwirtschaft. Es werden verschiedene Erleichterungen diskutiert und auch die lang ungelöste Frage, wie eine gesicherte Finanzierung für eine Umstrukturierung der Tierhaltung aussehen soll – mit potenziellen Auswirkungen auf die Preise im Supermarkt.

Wirtschaftsrunden im Kanzleramt kommen sonst eher zusammen, wenn es etwa um die Autoindustrie geht. Jetzt lud Scholz die noch von Vorgängerin Angela Merkel eingesetzte «Zukunftskommission Landwirtschaft» zum Austausch ein, die aber keine reine Interessenvertretung der Branche ist. Vertreten sind Bauern und Ernährungswirtschaft, Natur- und Verbraucherschützer, Handel und Wissenschaft. Das breit besetzte Gremium brachte 2021 mit Empfehlungen für einen Umbau des Ernährungssystems eine Art Agrarfrieden zustande. Das ist nun wieder aktuell.

Es gab bereits vor dem Treffen Wirbel um einen zentralen Punkt, bei dem die Politik seit Jahren nicht vorankommt: Bauern sollen nicht alleine auf den Mehrkosten für den Umbau der Tierhaltung zu besseren Bedingungen sitzen bleiben. Die Ampel hat eine Milliarde Euro für Schweinehalter als Anschub reserviert. Es wird jedoch ein dauerhaftes Modell für die gesamte Tierhaltung gesucht. Seit 2020 liegt ein Konzept einer anderen Kommission um Ex-Agrarminister Jochen Borchert vor, das eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Tierwohlabgabe auf tierische Produkte vorschlägt.

Das Modell einer schrittweisen Anhebung der Mehrwertsteuer von ermäßigten 7 Prozent bis zum Regelsatz von 19 Prozent ist auch in einem Entwurfspapier der Zukunftskommission genannt, über das zunächst die «Bild» berichtet hatte. Agrarminister Cem Özdemir begrüßte die Idee umgehend. Denn er habe immer betont, auch für andere Finanzierungswege offen zu sein. Inmitten der Bauernproteste warb der Grünen-Politiker offensiv für einen «Tierwohlcent», der zunächst auch kleiner ausfallen könnte als die von der Borchert-Kommission ins Spiel gebrachte Tierwohlabgabe mit einem denkbaren Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch.

In der Koalition prallte die Idee vorerst ab, da das FDP-geführte Finanzressort den Ball nicht aufnahm. Kommt nun über die breit anerkannte Zukunftskommission eine neue Dynamik in Gang? Der Bauernverband signalisierte Ablehnung gegen eine Mehrwertsteuer-Anhebung gleich auf 19 Prozent, trägt das Borchert-Konzept aber prinzipiell mit. Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte: «Mehrwertsteuer auf Fleisch hoch, auf Obst und Gemüse auf null: Das wäre eine sofort umsetzbare Maßnahme, die hilft, das Klima zu schützen und gesunde Ernährung zu fördern.»

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft betrachtet eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch, Wurst oder Milch nicht als optimalen Ansatz. Allerdings wäre dies aufgrund eines geringeren Verwaltungsaufwands zumindest am einfachsten umsetzbar. Die damit verbundenen Nachteile für Bio-Betriebe, deren Produkte dadurch überdurchschnittlich teurer werden würden, müssten bei der Berechnung von Prämien für Höfe berücksichtigt werden.

Die Regierungskommission hat nach der Kanzlerrunde angekündigt, bald ein Gesamtpaket mit Vorschlägen vorzulegen, die von allen Mitgliedern unterstützt werden. Das Gremium setzt sich für einen fairen Interessenausgleich ein und zögert nicht, auch kontroverse Themen wie die Umstrukturierung der Tierhaltung und deren Finanzierung im Konsens zu lösen, betonten die Agrarwissenschaftlerin Regina Birner und der Agrarökonom Achim Spiller als Sprecherteam.

Die Regierung sagte, dass das Gespräch in einer vertrauensvollen Atmosphäre stattfand. Die Erwartungen der Branche sind hoch, dass nun auch bei anderen Aspekten konkrete Schritte für eine Umsetzung folgen. Die Ampel-Koalition hat zugesichert, Beschlüsse noch vor dem Sommer zu fassen. Hier ist ein Überblick über den Katalog:

Flächen

Özdemir setzt eine gelockerte EU-Umweltauflage um. Ab 2024 entfällt die Vorgabe, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen. Die Regierung strebt an, dass diese Regelung in den nächsten Jahren bestehen bleibt und nicht jedes Jahr neu entschieden werden muss.

Steuern

Geplant sind Erleichterungen, wenn Bauern beispielsweise aufgrund von Witterungsbedingungen nur in bestimmten Jahren hohe Gewinne erzielen und dann hohe Steuern zahlen müssen.

Marktstellung

Die Landwirte sollen in der Handelskette bis zu den großen Supermärkten gestärkt werden – beispielsweise durch eine verbesserte Markt- und Preisbeobachtung, die den Bauern als Grundlage für Verkaufsentscheidungen dient.

Technologien

Die Regierung plant zu untersuchen, wie die Einführung alternativer Antriebe vorangetrieben werden kann – auch durch Steuererleichterungen für Kraftstoffe.

Bürokratie

Erleichterungen bei Auflagen und Vorgaben, wie z.B. Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten für Tierhalter oder Düngeregeln, sind im Fokus.

dpa