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Leerstand als Gelegenheit: Innenstädte doch mit Zukunft?

Schlechte Kauflaune, magere Umsätze, Insolvenzen: Der stationäre Handel steckt in der Krise. Händler wie Decathlon nutzen die Lücken in den deutschen Innenstädten aber auch – und wollen expandieren.

Decathlon will in den kommenden Jahren mehr als 60 neue Filialen eröffnen.
Foto: Michael Bahlo/dpa

In den letzten Jahren kamen aus den Innenstädten Deutschlands viele schlechte Nachrichten: Die Kauflaune der Menschen ist im Keller, die Umsätze dümpeln vor sich hin, bekannte Händler sind pleite und Leerstand prägt vielerorts das Bild. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Es gibt aber auch Gegenbewegungen: Jüngstes Beispiel ist der Sportartikelhändler Decathlon. Das französische Unternehmen plant bis Ende 2027 mehr als 60 neue Filialen in Deutschland zu eröffnen – viele davon in zentralen Fußgängerzonen.

Decathlon-Deutschland-Chef Arnaud Sauret sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Aktuell haben wir 86 Filialen. In drei Jahren, also Ende 2027, sollen es mehr als 150 sein». Geplant sei, bis zu 100 Millionen Euro in die Neueröffnungen und die Modernisierung bestehender Geschäfte zu investieren. Mehrere Tausend neue Arbeitsplätze sollen entstehen.

Firmenziel: Höchstens 20 Minuten Fahrt zu Decathlon

Decathlon möchte näher an seine Kunden heranrücken. Bisher hatte das Unternehmen hauptsächlich Geschäfte, die eine breite Produktpalette auf großen Verkaufsflächen anbieten. Diese befinden sich jedoch meist außerhalb der Stadtzentren. In Top-Lagen waren die Franzosen bisher nicht vertreten. Dies soll sich nun ändern: Neben den großen Geschäften sollen zukünftig kleinere Filialen in Einkaufszentren und Fußgängerzonen eröffnet werden – teilweise mehrere in einer Stadt.

Der Sportartikelhändler plant in diesem Jahr noch zwei Eröffnungen: Eine kleinere Filiale am Potsdamer Hauptbahnhof und eine große im Hamburger Zentrum. Danach sollen weitere Lücken auf der Decathlon-Deutschlandkarte geschlossen werden. Es sind Filialen in Nürnberg, Freiburg, Rostock, Oberhausen und der Region Kassel im Gespräch.

«Wir sind leider nicht überall in Deutschland präsent – obwohl wir wissen, dass wir eine größere Rolle spielen könnten. Zugleich gibt es in den Innenstädten sehr viele Gebäude, die einfach leer sind. Das ist unsere Gelegenheit», sagt Expansionschef Stefan Kaiser.

Wettbewerbsdruck in einem Milliardenmarkt

Der Sportfachmarkt in Deutschland ist ein Milliardengeschäft – und hart umkämpft. Der Marktführer ist Intersport. Im Geschäftsjahr 2022/23 waren mehr als 700 Händler mit insgesamt über 1400 Geschäften Teil des genossenschaftlich organisierten Verbunds. Der Umsatz betrug etwa 3,5 Milliarden Euro. Bis 2030 plant Intersport, hierzulande mindestens 100 neue Geschäfte zu eröffnen, darunter große Premium-Stores. Der Umsatz soll sich bis dahin nahezu verdoppeln.

Der zweite bedeutende Spieler ist der Einkaufsverbund Sport 2000 mit einer ähnlichen Anzahl von Geschäften. Der Umsatz im Jahr 2023: 2,95 Milliarden Euro. Sport 2000 eröffnet derzeit vor allem neue Geschäfte, die sich beispielsweise auf Teamsport spezialisiert haben. Die Franzosen – die lange Zeit den Ruf als Aldi des Sportfachhandels hatten – erzielten zuletzt einen Umsatz von gut 1,1 Milliarden Euro.

Decathlon will Marktanteile ergattern

Nun bläst Decathlon zum Angriff: «Wir haben in Deutschland zwei sehr starke Mitbewerber, die einen tollen Job machen. Aber das verpflichtet uns, noch besser zu sein. Als Sportler lieben wir die Challenge», so Sauret. In anderen Ländern Europas sei man bereits Marktführer – auch, weil es dort ein größeres Filialnetz gebe. Marktanteil und Umsatz sollen sich durch die Expansion hierzulande deutlich erhöhen. Konkrete Zahlen nannte der Manager nicht. 

Die Branche profitiert nach laut Johannes Berentzen von der Handelsberatung BBE vom anhaltenden Trend zu Gesundheit und Sport. Gesetzt werde gezielt auf die Nachfrage nach Sportmode und eine stärkere Spezialisierung der Geschäfte. «Mit dem Rückgang kleiner Fachhändler und dem Wegfall von Modegeschäften und Warenhäusern mit Sportsortimenten entstehen Marktlücken, die Intersport und Decathlon strategisch nutzen», erklärt Berentzen. 

Viele bekannte Händler haben Probleme

Während asiatische Shoppingportale wie Temu stark zulegen, haben viele etablierte Händler Schwierigkeiten. Einige Unternehmen haben kürzlich aufgrund von Insolvenzen ihr Filialnetz reduziert oder alle Geschäfte geschlossen. Die Auswirkungen sind offensichtlich: Die Warenhauskette Galeria hat im Sommer erneut Standorte geschlossen. Die Modemarke Scotch & Soda hat alle Filialen geschlossen, während der Kosmetikhändler Body Shop etwa die Hälfte seiner Läden geschlossen hat. Bei Esprit werden derzeit die letzten Waren verkauft, bevor die Geschäfte Ende des Monats schließen. Es ist unklar, wie es mit dem insolventen Dekohändler Depot weitergeht.

Seit 2015 hat sich die Anzahl der Einzelhandelsgeschäfte laut Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) von 372.000 auf 306.000 verringert. Für das laufende Jahr erwartet der HDE etwa 5.000 Schließungen.

Kreative Konzepte trotzen der Krise

Auch außerhalb der Sportfachgeschäfte gibt es Beispiele von Unternehmen, die in die Innenstädte ziehen: Discounter wie Action, Tedi und Woolworth planen, ihr Filialnetz in den nächsten Jahren stark zu erweitern. Auch MediaMarktSaturn plant noch in diesem Jahr die Eröffnung von fünf sogenannten Smart-Märkten – ein neues und kleines Ladenformat. Der Elektronikhändler Coolblue plant bis 2029 weitere 36 Filialen. Derzeit existieren vier.

Zukunftsfähige Konzepte im stationären Einzelhandel sind laut Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung in Köln (IFH Köln) kreativ. Einige Marken zeigten das exemplarisch: «So ist beispielsweise Thalia nicht nur online stark unterwegs, sondern auch in den Innenstädten. Es werden neue Filialen eröffnet, Traditionsunternehmen weitergeführt und Filialen umgebaut.»

Zusätzlich gibt es auch im anspruchsvollen Modemarkt Neueröffnungen: Marken wie Copenhagen, Hugo Boss oder Marc O‘Polo eröffnen laut Stüber Flagship-Stores. Es kommen auch neue Filialen von Marken des spanischen Konzerns Inditex (Zara) hinzu. Und auch Start-ups und Onlinemarken wie das Schmucklabel Purelei oder die Accessoire-Firma Kapten & Son suchen die Begegnung mit den Kunden in den Innenstädten.

dpa