Verabredet war es schon lange, doch zuletzt sah FDP-Chef Christian Lindner deshalb Wirtschaftsdynamik in Gefahr. Jetzt ist das Tariftreuegesetz auf dem Weg, aber entschieden ist noch nichts.
Mehr Geld: Was bringt das Tariftreuegesetz?
Es wird erwartet, dass der Bund zukünftig die Einhaltung tariflicher Standards bei der Vergabe von Aufträgen zur Bedingung macht. Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat das Bundesarbeitsministerium einen Entwurf für ein entsprechendes Tariftreuegesetz an die Bundesländer und relevante Verbände geschickt.
Das FDP-geführte Bundesfinanzministerium hatte zuletzt den Beginn der sogenannten Verbände-Anhörung blockiert. Ein Sprecher von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) musste Mitte September einräumen, dass die Gespräche innerhalb der Regierung noch andauerten. Auch der neue Schritt bedeutet noch keine endgültige Einigung, wie es in Kreisen des Finanzministeriums heißt. Es bestehen weiterhin inhaltliche Bedenken, insbesondere hinsichtlich der Schwellenwerte und Anwendbarkeit.
Wie kam es zu dem Gesetzentwurf?
Konkret wurde es bereits 2021. Damals schrieben SPD, FDP und Grüne in ihren Koalitionsvertrag: «Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht.»
Welches Motiv steckt hinter dem Gesetz?
Die abnehmende Tarifbindung soll erneut gestärkt werden. Denn Tarifverträge bringen den Arbeitnehmern im Durchschnitt mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Im Jahr 1998 hatten noch 76 Prozent der Beschäftigten in den alten Bundesländern einen Tarifvertrag. Bis zum letzten Jahr ist die Abdeckung von Tarifverträgen im Westen laut Statistischem Bundesamt um 25 Prozentpunkte gesunken – auf 51 Prozent. In Ostdeutschland hatten im Jahr 1998 63 Prozent der Beschäftigten Branchen- oder Firmentarifverträge.
Bis 2023 ist dieser Anteil um 19 Punkte auf 44 Prozent gesunken. «Dazu beigetragen hat auch der Umstand, dass nicht tarifgebundene Unternehmen bisher grundsätzlich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen gegenüber tarifgebundenen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben», heißt es in dem nun auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf. Denn ohne Tarifvertrag seien die Personalkosten niedriger: Firmen könnten günstige Angebote abgeben.
Warum wurde über das Gesetz gestritten?
In der Ampel steckte fest. Nach Angaben aus dem Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) im September war es entscheidend für das Ministerium angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, dass die Dynamik erleichtert und nicht bürokratische Hürden erhöht werden. Der von Heils Ministerium vorgelegte Gesetzentwurf entspricht nicht diesen Zielen. Nur ein von der Regierung abgestimmter Entwurf wird den Ländern und Verbänden zur Anhörung vorgelegt.
Auch seitens der Arbeitgeber wurde nicht zum ersten Mal ein Stopp des gesamten Vorhabens gefordert – ihr Argument: Die Regierung wolle die Tarifautonomie durch «Tarifzwang» ersetzen. Nach Wahlniederlagen der SPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wertete SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich das Tariftreuegesetz als eines der wichtigsten Projekte der Ampel in den nächsten Monaten. Zum 75. Gründungstag des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) vor knapp zehn Tagen schließlich versprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): «Diese Verbesserung kommt.»
Was steht im Gesetz und was soll das bringen?
In dem der dpa vorliegenden Gesetzentwurf heißt es nun: «Unternehmen sollen ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern künftig, wenn sie öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes ausführen, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssen.» So werde der Verdrängungswettbewerb über die Lohn- und Personalkosten eingeschränkt. Konkret bringen Tarifverträge – so argumentiert Arbeitsminister Heil – den Beschäftigten höhere Löhne als der Mindestlohn. «Durchschnittlich ist der Stundenlohn bei Tariflöhnen 4,50 Euro besser», so Heil. Im Monat seien das bei Vollzeitjobs 700,50 Euro mehr. Der Staat habe eine Vorbildfunktion.
Sieht der Gesetzentwurf weitere Punkte vor?
Ja. Online-Betriebsratswahlen sollen erprobt werden. Betriebsratswahlen sollen so ans Zeitalter der Digitalisierung angepasst werden: «Im Rahmen der Erprobung von Online-Betriebsratswahlen soll bei den zwischen dem 1. März und 31. Mai 2026 stattfindenden regelmäßigen Betriebsratswahlen in Betrieben, in denen bereits ein Betriebsrat besteht, die Möglichkeit geschaffen werden, die Stimme alternativ auch elektronisch abgeben zu können.»
Warum soll ein neues Offizialdelikt kommen?
Geplant ist, den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Gründung eines Betriebsrats zu stärken. Die Betriebsratstätigkeit selbst soll ebenfalls besser geschützt werden. Dafür sollen Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder künftig nicht mehr nur auf Antrag verfolgt werden, sondern als Offizialdelikt von Amts wegen. Dies soll es erleichtern, gegen Unternehmen vorzugehen, die die Betriebsratsarbeit boykottieren. Bei einem Offizialdelikt muss die Staatsanwaltschaft automatisch Ermittlungen aufnehmen, sobald sie von einem möglichen Delikt erfährt – hier einer Behinderung der demokratischen Mitbestimmung. Bisher wurde die Behinderung der betrieblichen Mitbestimmung nur auf Antrag verfolgt.
Welche Schritte für mehr Tarifbindung gibt es schon?
Im Jahr 2014 wurde das Tarifautonomiestärkungsgesetz verabschiedet. Damals wurde es erleichtert, dass die Regierung Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären kann. Das bedeutet, dass der Tarifvertrag auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich ist, die nicht bereits Mitglieder der Verbände oder Gewerkschaften sind, die den Tarifvertrag abgeschlossen haben. Das Arbeitsministerium kann auch über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Vorgaben eines Tarifvertrags für alle Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags festlegen.