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Mindestlohnrichtlinie auf dem Prüfstand – EuGH fällt Urteil

Macht ein EU-Urteil Änderungen am deutschen Mindestlohn-System notwendig? Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie die Politik blicken an diesem Dienstag gespannt nach Luxemburg.

Der Europäische Gerichtshof spricht an diesem Dienstag ein mit Spannung erwartetes Urteil zur EU-Mindestlohnrichtlinie. (Archivbild)
Foto: Harald Tittel/dpa

Der Europäische Gerichtshof wird heute über die Zukunft der EU-Mindestlohnrichtlinie entscheiden. Die Richter der Großen Kammer müssen feststellen, ob das Regelwerk, das 2022 von den EU-Staaten per Mehrheitsentscheidung beschlossen wurde, mit den europäischen Verträgen vereinbar ist. Dänemark hat mit Unterstützung von Schweden Klage eingereicht und fordert deswegen eine Entscheidung.

Die Standards für die Festlegung, Aktualisierung und Durchsetzung gesetzlicher Mindestlöhne werden durch die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne definiert.

Dänemark behauptet, dass der EU-Gesetzgeber durch die Verabschiedung der Richtlinie seine Befugnisse überschritten hat. Es beruft sich dabei auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser ermöglicht aus dänischer Sicht unter anderem Richtlinien für Arbeitsbedingungen, jedoch nicht für das Arbeitsentgelt.

Generalanwalt für Abschaffung der Richtlinie

Der Generalanwalt des EuGH hat in seinen Schlussanträgen dem Gerichtshof empfohlen, die Richtlinie in vollem Umfang für nichtig zu erklären, aber die Richter sind nicht daran gebunden.

Falls die Mindestlohnrichtlinie aufgehoben wird, würde die Debatte in Deutschland über die Anpassung der seit elf Jahren geltenden nationalen Regelungen im Mindestlohngesetz an EU-Recht obsolet. Es wird schon seit einiger Zeit gefordert, den Mindestlohn auf Basis eines in der EU-Richtlinie genannten Referenzwertes festzulegen. Dies würde bedeuten, dass Arbeitgeber mindestens 60 Prozent des mittleren Bruttolohns in Deutschland zahlen müssten. Der mittlere Bruttolohn ist der Lohn, bei dem die eine Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere Hälfte weniger verdient.

Muss Deutschland den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen? 

Die Bundesregierung hat kürzlich beschlossen, dass der aktuelle Mindestlohn von 12,82 Euro zum 1. Januar auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später um weitere 70 Cent auf 14,60 Euro pro Stunde erhöht wird. Nach Angaben der Gewerkschaften hätte er jedoch bei Verwendung des mittleren Lohns eigentlich auf mehr als 15 Euro angehoben werden sollen.

Gemäß der Richtlinie müsste Deutschland außerdem einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen vorlegen, da zuletzt nur etwa 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik in einem durch Tarifvertrag geregelten Beschäftigungsverhältnis standen. Das Ziel ist es, den Anteil der Arbeitsverhältnisse zu erhöhen, die durch einen Tarifvertrag abgedeckt sind. Ein Aktionsplan gemäß der Richtlinie ist nur dann nicht erforderlich, wenn die tarifvertragliche Abdeckung bei 80 Prozent oder höher liegt.

Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Deutschland bisher noch keinen Aktionsplan bei der EU-Kommission eingereicht. Dies soll den Angaben zufolge bis zum 31. Dezember geschehen.

Der Arbeitsrechtsprofessor Adam Sagan von der Universität Bayreuth sagte der Deutschen Presse-Agentur, eine Nichtigkeitserklärung der Mindestlohnrichtlinie wäre ein herber Rückschlag für die Sozialpolitik der EU. Erkläre der EuGH sie hingegen für wirksam, werde Deutschland sein Mindestlohngesetz reformieren müssen, etwa bei der Frage, wer den Mindestlohn beanspruchen könne und welche Kriterien bei seiner Festsetzung zu berücksichtigen seien. «Das bedeute nicht, dass sich am Ergebnis etwas ändern müsste», betonte Sagan. Es könnte am Ende auch bei den beschlossenen 13,90 Euro als Mindestlohn bleiben.

Der Politikwissenschaftler Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung weist darauf hin, dass die Vorgaben der Richtlinie teilweise unklar und interpretierbar sind. Seiner Meinung nach wäre Deutschland auch im Falle einer Abweisung der dänischen Klage wahrscheinlich auf der sicheren Seite. Jedoch wird Deutschland der Kommission den Aktionsplan zur Verbesserung der Tarifbindung im Hinblick auf die Tarifbindungsziele übermitteln müssen.

«Entgegen dem europäischen Trend ist die Tarifabdeckung in Deutschland in den letzten zwei Dekaden rapide gesunken, auf um die 50 Prozent», sagt der Professor. Das sei dramatisch, der deutsche Gesetzgeber sollte hier unbedingt mehr tun, so Höpner. Dies könne er jedoch sowohl mit als auch ohne EU-Richtlinie.

dpa