«Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur», sagte ein früherer Bahnchef. Doch immer mehr Menschen akzeptieren lange Bahnfahrten. Wie sich das Angebot entwickelt.
Mit dem Zug ins Ausland – Wie grenzenlos ist das Bahnfahren?
Paris, Amsterdam, Wien – und bald auch London? «Der internationale Fernverkehr boomt», betont die Deutsche Bahn immer wieder. Seit einigen Jahren baut der Staatskonzern das Angebot in europäische Länder zusammen mit anderen Bahnen kontinuierlich aus. Ganz neu auf der Landkarte der Direktverbindungen könnte in wenigen Jahren die britische Hauptstadt stehen.
Doch wie gut ist das internationale Angebot der Deutschen Bahn wirklich? Wo bestehen noch Lücken? Und welche Verbindungen bietet die Bahn bereits für die bevorstehende Reisesaison an?
Direkte Zugverbindungen, die europäische Metropolen miteinander verbinden, sind noch lange keine Selbstverständlichkeit. Ein europäisches Bahnnetz, das ineinandergreift, bleibt für Fahrgäste nur ein Traum.
Ex-Bahnchef: «Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur»
Es wird offensichtlich, wie die Deutsche Bahn neue Verbindungen wie die zwischen Berlin und Paris bewirbt, wenn man bedenkt, dass seit Ende 2024 ein Zug täglich zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt verkehrt – die Fahrzeit beträgt ungefähr acht Stunden.
Sebastian Wilken, der über das internationale Zugfahren auf seinem Blog Zugpost schreibt, begrüßt derlei Verbindungen. Allein: «Das sind Leuchttürme in einem riesigen Nebelmeer.» Ein Zug täglich zwischen Berlin und Paris ersetze wahrscheinlich nicht mal drei Flüge. «Es wäre schön, wenn man stündlich eine Verbindung hätte, meinetwegen auch mit Umsteigen in Frankfurt.»
Für Wilken sind die Direktverbindungen «auch ein bisschen ein Marketing-Gag». Dabei seien Umsteige-Verbindungen genauso gut – wenn sie denn koordiniert seien. Den Grundgedanken der neuen Verbindungen befürwortet Wilken aber ausdrücklich – «dass die Bahn selbstbewusst sagt: Ja, es gibt Leute, die sich acht Stunden in den Zug setzen. Das war mal anders.» Anfang des Jahrtausends hatte der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn noch gesagt: «Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur.»
Vor allem Strecken mit langer Fahrzeit wachsen
Es gab ein Umdenken – nicht nur bei der Bahn. Auch die Fahrgäste akzeptieren die neuen Verbindungen gut. Laut Angaben der Bahn ist eine Auslastung von 90 Prozent zwischen Berlin und Paris keine Seltenheit. Drei von vier Fahrgästen fahren die gesamte Strecke. «Acht Stunden im Zug für Paris-Berlin ist für mehr Menschen mittlerweile akzeptabel, als es vielleicht noch vor fünf oder zehn Jahren gewesen wäre», sagte Bahn-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson kürzlich der Deutschen Presse-Agentur.
Eine aktuelle Analyse des bundeseigenen Konzerns zeigt, dass das Wachstumspotenzial grenzüberschreitender Verbindungen vor allem auf längeren Strecken hoch ist. Auf kurzen und mittleren Reiseweiten unter vier Stunden stieg das Wachstum von 2023 auf 2024 um 1,5 Prozent. Bei Reiseweiten ab vier Stunden betrug das Wachstum hingegen 5 Prozent. An erster Stelle liegt die Verbindung zwischen Berlin und Krakau (7 Stunden) mit einem Zuwachs von fast 30 Prozent, gefolgt von Hamburg-Kopenhagen (4,45 Stunden) mit 19 Prozent.
Bahn spricht vom «Vier-Stunden-Mythos»
«Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Reisende für weite Strecken die Bahn eher meiden („Vier-Stunden-Mythos“), ist genau dort das Fahrgastwachstum am größten», heißt es aus dem Bahntower.
Von Frankfurt nach London soll es mit der geplanten Direktverbindung nur noch fünf Stunden dauern statt derzeit mit Umstieg mindestens sechseinhalb. Wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» berichtete, will Eurostar «in den frühen Dreißigerjahren» vor allem die Verbindungen nach Deutschland und in die Schweiz kräftig aufstocken. Ob es tatsächlich dazu kommt – unklar. Der frühere Bahnchef Rüdiger Grube kündigte bereits 2010 an, dass spätestens von Ende2013 an ICE-Züge Frankfurt sowie Amsterdam mit London verbinden sollten.
Vor kurzem gab die Bahn bekannt, dass sie eine Partnerschaft mit der italienischen Trenitalia und den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) eingegangen ist, die ab Ende 2026 neue Direktverbindungen von München nach Mailand und Rom beinhaltet.
Nach Angaben des Interessenverbands Allianz pro Schiene sind die direkten Nachbarländer Deutschlands mittlerweile «in den meisten Fällen bereits heute gut mit der Bahn zu erreichen». Das gelte sowohl für Fernzüge als auch für Regionalzüge im «kleinen Grenzverkehr», sagte der Leiter Verkehrspolitik, Andreas Geißler, auf Anfrage.
In acht Stunden von München an die Adria-Küste
Ein Problem für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr ist nach wie vor der verzögerte Ausbau der Infrastruktur: Nur 28 von 57 Eisenbahn-Grenzübergängen von Deutschland in die Nachbarländer sind elektrifiziert. Besonders in Richtung Osteuropa besteht ein erheblicher Nachholbedarf.
Bei der Betrachtung der Auslandsverbindungen der Deutschen Bahn wird ersichtlich: Es gibt Verbindungen in Nachbarländer wie Polen, Tschechien, Österreich, Frankreich oder die Niederlande. Was fehlt, sind hauptsächlich Strecken, die darüber hinausgehen, zum Beispiel nach Spanien, Schweden, ins Baltikum oder nach Kroatien. Ausnahmen bilden unter anderem Italien und Ungarn.
Bereits jetzt gibt es Zugverbindungen von München nach Bozen, Verona, Venedig sowie Rimini und Ancona an der Adria-Küste. Die Fahrtzeit zwischen München und Rimini beträgt knapp acht Stunden. Von Hamburg über Berlin und Dresden aus erreicht man Budapest in gut 14 Stunden.